Ausgabe 15

  • 24/05/2025

Vorwort #15

HINWEIS: IN DIESER ONLINE-AUSGABE BEFINDEN SICH NUR TEXTE DER RUBRIK „FREIER TEIL“. FÜR DEN GENUSS EINER VOLLSTÄNDIGEN AUSGABE KONTAKTIEREN SIE UNS PER MAIL (autorenseelsorge@literatur-wuerzburg.de) ODER BESTELLEN SIE EIN EXEMPLAR AUF liberladen.org.

Mergentheimer Str. 13, Di 08.04.2025, 20:07 Uhr, KLW Stammtisch

Okay nächster Punkt: Die Lesebühne

Neeiiiin, das Vorwort!!!

Ach stimmt, sorry sorry, das Vorwort. Wie sollen wir’s machen. Wollen wir so jeder sagt ein Wort machen?

Das wird dann scheiße! Ich wär für Halbsätze. Halbsätze sind gut.

Oder jeder ein Satz.

Ne Halbsatz. Und danach nochmal remixen oder so.

Soll ich mitschreiben, oder macht das sonst jemand… Ich schreib mit ja?

Wir können’s doch zumindest probieren mit jeder ein Wort. Und schauen, wie das dann wird?

Meinetwegen eigentlich schon.

Wenns sein muss.

Hase, du Vogel. Hast du einen Avantgardgeruch? Kannst du mich lieben? Bist du genug oder fast pizzageil?

Vielleicht sollten wir mehr so zwei oder drei Worte sagen, statt alle nur eins…weil sonst wirds glaub ein Bisschen arg…durcheinander.

Ich fänds cool, wenn wir versuchen, so wirklich im Kreis, so ohne lange nachzudenken, so flüssige Sätze sagen würden. Und man darf auch mehrere Wörter sagen, aber halt keinen ganzen Satz. Ja?

okay

Ja?

***

Eigentlich wusste ich ja schon lange, dass ich gar kein Vorwort schreiben kann. Aber diese eine Sache da, die hat mir wirklich geholfen. Diese unendliche Gier nach Hefeweizen und Pils, und dann später kam noch dazu, dass mein Geisteszusatnd dem eines nassen Otters glich. So ähnlich wirkte mein Haar. Und dann diese unendliche Gier danach, wieder nüchtern zu werden. Uwe sagt ja immer – nein, ich sag ja immer – Uwe: unten wird’s eklig. Ich bin durch, nein also ich bin wirklich durch, hör auf das mitzuschreiben jetzt. Der beste Satz ist der letzte Satz unten im Getränk, die Schlacke.

***

Kommentare,

Leserbriefe,

Liebesbriefe,

Fragen,

Tiraden,

Gedichte,

Romane,

Erzählungen,

Essays

und alles andere

wird erwünscht und erhört:

autorenseelsorge@literatur-wuerzburg.de


die fortschreitende erosion der blumentöpfe

in meinem garten / winterfest sollen sie sein / aber nach jedem winter / fallen stücke ab / macht nachdenklich / nicht trübsinnig, nein, das nicht / es ist ja amüsant / dass man selbst länger lebt / als ein blumentopf. / ich betrachte die schuppen / die herunterfallen / manche bröseln schuppig / andere mit rissen / quer hindurch. / letztes jahr / brach ich ein stück ab / mit der hand / & heraus kamen engerlinge / die sich wanden im licht / sie taten mir leid / & ich rettete sie / in einen anderen topf.


Ein schattiges Plätzchen – Neunlinden, 1992

Jeden Morgen, bevor er seine Schanne schultert und sich zum Brunnen aufmacht, besorgt sich Cheng San etwas Sonnenlicht. Obwohl er tief im Inneren von Neunlinden lebt, hat er nahe seiner Wohnparzelle einen Quell ausfindig gemacht. In einem aufgebrochenen Installationsschacht. Da das Licht diesen Ort nicht gewohnt ist, weiß es nicht recht, wie es sich verhalten soll. Es fließt eher, als dass es strahlt, tröpfelt aus provisorischen Wasserleitungen, sammelt sich als schwammig konturierter Fleck am Boden des Schachts. Cheng San schöpft es mit einem leeren Parfumflakon heraus. Einem Pröbchen Hugo Boss. Ich rieche weißen Moschos, während ich darauf warte, dass er sein Ritual beendet.

Neunlinden ist eine Anomalie. Eine chinesische Exklave inmitten der britischen Kolonie Hongkong; ein blinder Fleck, den beide Regierungen lange Zeit ignorierten. Über fünfzig Jahre hinweg wucherte dieser Ort unkontrolliert zu dem heran, was er heute ist: Ein massiver, zusammenhängender Komplex vierzehnstöckiger Hochhäuser, durchzogen von einem wirren Geflecht labyrinthischer Gänge. Steuerfreiheit und geringe Mieten zogen nach dem zweiten Weltkrieg vor allem chinesische Flüchtlinge in die Stadt, die damals noch unter der Kontrolle der Triaden stand. Wenn der Platz knapp wurde, baute man einfach weiter in die Höhe und nun ist Neunlinden mit dreiunddreißigtausend Bewohnern auf zweieinhalb Hektar der am dichtesten besiedelte Ort der Welt.

Namen hat der Komplex viele. Kowloon Walled City. Hak Nam Zi Sing. City of Darkness. Da mir keiner von ihnen sonderlich passend erscheint, habe ich mir etwas Übersetzungsfreiraum genommen, etymologische Wurzeln umgetopft und einen eigenen gefunden. Man muss ja nicht immer alles beim Namen nennen.

Cheng San ist einer der letzten seiner Art: ein Wasserträger. Seit den 50er-Jahren lebt er in Neunlinden und seit Mitte der Sechziger geht er seinem heutigen Beruf nach. Damals war die Wasserversorgung dieses Ortes weitaus prekärer als heute; fünf Standrohre mit Handpumpen für die gesamte Bewohnerschaft, allesamt außerhalb der Stadtgrenzen. Viele junge Männer verdienten sich zwölf bis fünfzehn Hongkong-Dollar im Monat damit, täglich sechs Kerosinkanister Wasser in Wohnungen oder Betriebe von Neunlinden zu schleppen.

Cheng San tut es auch heute noch, obwohl kaum noch Bedarf besteht. Wer ihn beauftragt, tut dies selten aus Not, meistens aus Mitleid oder verklärter Nostalgie. Was Cheng San zu tun gedenkt, wenn sie Neunlinden nächstes Jahr abreißen werden, frage ich nur mich, denn ihn zu fragen traue ich mich nicht.

Über drei Jahrzehnte Erfahrung sieht man ihm an: Er trägt das Wasser mittlerweile mithilfe einer langen, hölzernen Tragestange. Dān zhàng sagt er dazu, oder so, ich kenne sie als Schanne oder Dracht. Die in Stoff eingewickelte Mitte der Stange legt er je nach Bedarf über eine Schulter oder in den Nacken. An ihren Enden baumeln Eimer, Fässer fast, in denen hölzerne Kreuze dafür sorgen, dass niemals auch nur ein Tropfen überschwappt. Sie schmiegen sich sachte an die Wasseroberfläche. Manchmal kann ich hören, wie sie ihr beruhigende Dinge zuflüstern.

Nach der Arbeit begeben wir uns jeden Abend ins gemeinschaftliche Zentrum, einen Innenhof, in dem Licht tatsächlich strahlt, nicht tröpfelt. Hier betrinken wir uns in einem von etlichen kleinen Lokalen, schlagen uns die Bäuche mit Speisen voll, die es weder draußen in Hongkong noch irgendwo sonst gibt, und verlieren absurde Summen beim Würfeln. Irgendwann sitzen wir dann auf einem der vielen Balkone und schauen dem Treiben im Hof zu. Cheng San, ich, und ein paar Flaschen Bier. Schweigend, da wir uns nichts zu sagen haben, das wir verstehen würden. Es sind diese Momente, in denen mir klar wird, dass diese City gar nicht so dark ist, wie einen ihr wahrer Name glauben machen will, nicht mal düster eigentlich, sondern schattig, allerhöchstens.

Am letzten Abend meines Aufenthalts genehmige ich mir auf einem der Flachdächer mit Cheng San eine Raucherpause, dabei rauche ich gar nicht und wir hatten auch gar nichts getan, von dem wir eine Pause gebraucht hätten. Wir stehen da, auf ein quietschendes Geländer gelehnt, und blicken auf die anderen Dächer. Manche der verzerrten Rechtecke sind Baustellen, manche gemeinschaftliche Plätze, manche gleichen Müllhalden, überladen mit ausrangierten Möbeln, Säcken und Elektroschrott. Die Rauchwolken, die wir in die kühle Abendluft blasen, verklären hin und wieder diese spektakuläre Aussicht.

Unsere Zigaretten mögen bis zur Hälfte runtergebrannt sein, als Cheng San auf einmal zu reden anfängt. Seine Stimme klingt sanft, aber bestimmt, er scheint mir von Dingen zu erzählen, die ihm wichtig sind, von wahrhaftigen, elementaren Dingen, doch genau kann ich das nicht sagen, schließlich spreche ich kein Kantonesisch. Ich lausche ihm trotzdem, versuche allein durch den Klang der Laute, den Rhythmus seines Sprechens, den Ton seiner Stimme zu erschließen, was er mir mitzuteilen versucht, und obwohl ich absolut keine Ahnung habe, wovon er redet, habe ich doch das Gefühl, ihn am Ende seiner Rede besser zu kennen als zuvor. Ich lächle und nicke. Er klopft mir lachend auf die Schulter. Wir schnippen unsere Zigarettenstummel über das Geländer und schauen ihnen hinterher, diesen kleinen glühenden Punkten, wie sie im Abgrund verschwinden.

Etwas später stehe ich im Türrahmen einer kleinen Nudelfabrik. Hier hat es, so scheint es auf den ersten Blick, geschneit. Dabei ist es Sommer. Die gesamte Einrichtung, die Schränke und Arbeitsplatten, die Nudelhölzer und Kanister, ja selbst das alte Telefon mit Wählscheibe auf dem Schreibtisch, alles ist mit einer pulvrigen, weißen Schicht bedeckt. Das Mehl der letzten Wochen, Monate, Jahre, vielleicht auch äonenaltes Urmehl aus düsterer Vorzeit, wer weiß das schon. Sie bietet ein ungemein friedvolles Bild, diese gemahlene Winterlandschaft. Ich krame meine Polaroid hervor, um sie festzuhalten, als mich plötzlich jemand von der Seite auf Englisch anspricht.

So, you’re that other guy, huh?

Ein weißer Mann mit Brille und nassgeschwitztem Hemd steht neben mir und versprüht einen leichten Geruch von Maple Syrup, ist also vermutlich Kanadier. Er streckt mir die Hand hin und ich drücke sie, ein wenig zu leicht.

Greg, sagt er.

Leo, sage ich, und versuche dabei überzeugend zu klingen.

Greg erzählt, er hätte in letzter Zeit schon häufiger gehört, dass ein Kollege durch Neunlinden zöge, und habe sich vorstellen wollen. Er arbeite mit seinem Freund Ian an einem umfangreichen Bildband über die Stadt, der nächstes Jahr bei Ernst & Sohn erscheinen werde. Einen solch faszinierenden Ort wie diesen müsse man doch für die Nachwelt konservieren. Für wen ich denn schreibe, fragt er und erwischt mich damit kalt. Ich schwafle etwas davon, dass schreiben und reisen für mich untrennbar miteinander verbunden seien, dass ich gar nicht hier sein könnte, wenn ich nicht darüber schriebe, es für meine Reise, ja sogar meine Existenz unabdingbar sei, dass dieser Text geschrieben wird; kurzgefasst: Ich weiche seiner Frage aus. Hastig schieße ich ein Foto von der Winterlandschaft, wobei ein höhnischer Windstoß eine Mehlwolke direkt vor meine Polaroid wirbelt. Ohne einen zweiten Versuch zu wagen, verabschiede ich mich, höre noch beim Weggehen Gregs Kamera aufblitzen und das Bild machen, das ich hatte machen wollen.

Das Foto, das sich wenig später aus meiner Polaroid schiebt, zeigt nichts als einen Schneesturm.

Am nächsten Morgen verabschiede ich mich von Cheng San. Wir stehen im östlichen Ausgang von Neunlinden in einem Strom ein- und ausziehender Menschen und umarmen uns, schultern die Schanne kurzzeitig gemeinsam. Ich nehme all meinen Mut zusammen und frage ihn, was sein Plan sei, wenn die Stadt in ein paar Monaten geräumt und abgerissen wird. Er lächelt mich verständnislos an. Er spricht schließlich kein Englisch. Er drückt mir nur einen Parfumflakon in die Hand, ein leuchtendes Pröbchen Hugo Boss, und ich bedanke mich bei ihm für das Sonnenlicht.


Plötzlich Krokodile. Im Park Krokodile, in der Bahn Krokodile, Krokodile überall dort, wo man dachte, hier sei man sicher, hier, wenigstens hier kann einen eigentlich nichts mehr überraschen, Krokodile all over the place wo man dachte, man hätte die Regeln begriffen und sie hätten alles zu einer gewissen Ordnung gebracht, auf der Straße, im Café, im Einkaufszentrum, Krokodile. Krokodile auch an komplizierteren Stellen, Krokodile in Krankenhausbetten, an der Garderobe im Theater, auf der Tanzfläche im Club, Krokodile im Darkroom, Krokodile im Lightroom, Krokodile im Escape Room, Krokodile auf den Lehrstühlen der Fakultäten und Krokodile im Schiffsrumpf, Krokodile in den Zimmern dritter Klasse, den Zimmern zweiter Klasse, den Zimmern erster Klasse, auf Deck und in den Rettungsboten, Salzwasserkrokodile in den Rettungsboten von Flussdampfern und Süßwasserkrokodile in den Rettungsboten von Ozeankreuzern, sonst könnten sie im Ernstfall ja auch einfach wegschwimmen. Krokodile auch an Orten, die es eigentlich nicht gibt, Krokodile, die nachts unter Kinderbetten lauern, Krokodile im Badspiegel, wenn man vom Zahnpastaauspucken wieder hochschaut, Krokodile in dunklen Kellern mit flackernden Glühlampen, Krokodile in Bäuchen von Verliebten, Krokodile im Hirn von Verrückten, Krokodile im Arsch von Nervösen. Krokodile auf deiner Nasenspitze, als du sagst, du hättest nochmal über alles nachgedacht, Krokodile die einem vom Herz in die Hose rutschen, Krokodile die alles immer schon früher gewusst haben, Krokodile die dich geritten haben müssen, als wir uns küssten, Krokodile von denen man träumt, wenn man mit deinem Geruch in der Nase einschläft, Krokodile im Grundwasser, Krokodile im Abwasser, Krokodile im Mundwasser, Krokodile die bei Überdosierung giftig sein können, Krokodile die die Männer weltweit unfruchtbar machen, die Spermienkonzentration verringern, Krokodile im Essen, E110, E112, Krokodile bei Polizei und Feuerwehr, Krokodile die Drogen verticken und Burger Kings in Brand setzen, Krokodile in der Schlange vor uns, du nimmst die Chicken Nuggets und ich den veganen Whopper, ledig, ledrig, Jacke wie Hose. Krokodile im Nil, Krokodile im Amazonas, Krokodile im Main, Krokodile am Strand in der Sonne mit Bikinis und Badehosen, Krokodile am Abend mit Pizza und Wein vor dem Sonnenuntergang, Krokodile die in den Sternenhimmel schauen und sich klein fühlen, klein und unbedeutend, Krokodile die in den Arm genommen werden müssten, doch niemand kommt, niemand nimmt die Krokodile in den Arm und wer würde das schon freiwillig übernehmen wollen, die Krokodile zu umarmen, man muss sich ja nur mal diese Zähne anschauen, diese kräftige Kiefermuskulatur und dann diesen zu einem zynischen Grinsen verzogenen Mund.


ich masturbiere im haus eines fremden

ich masturbiere im haus eines fremden
stelle mir vor neben ihm zu liegen
wie er mich berührt, mich leckt, mich fickt

ich sitze mit ihm und seiner tochter am esstisch, im auto, auf einer party
er starrt mich an,
zu lang

er wirkt unsicher
ich fühle mich unwohl

er hat viele blumen in seinem garten, sagt sie
nichts wofür es sich zu schämen gilt, sagt sie
ich schäme mich

er kniet vor mir nieder
krempelt die mir zu langen hosenbeine hoch
wie seiner tochter
einem mädchen, jung und unschuldig
eine blume, die es zu pflücken gibt

er widert mich an
ich erwidere es.


WIEGENSCHWINDEL

der song: ⊂ ich werde niemals schwankend; geborgen habe ich mich selbst in der armkehle und trage mich dicht am herzen / zwischenblabla / beheimaten, einsortieren, die eigene obhut schenken, alles wird werden, morgen früh aufstehen, es wird alles weitergehen ⊃ (versuch)

zusprechen das ohr muttert dauert, parentale selfcare

an manchen tagen ist mir wie kopfüber, irreführende metaphern, an anderen verschwindet etwas in der luft

ich möchte (die auslassung des körpers):

z.B. zurück zur entenfamilie im teich „junge frau hält sich für entenjunges und schwimmt

mit vögeln im stadtparkweiher“  aufmerksamkeitsökonomie

eingereiht und aufgehoben – „gefällige ästhetiken“ / beruhigend.

oder:

meine zunge mit buntstiften rosa colorieren /

polly pockets kleid über den finger zwängen (alle anderen dürfen doch

auch mitspielen!) – der nagel schwitzt; weiter

barbies haare glattstreichen, ihre physis (ein versprechen) reorganisieren /

polyester zurück, beschützend zur kopfhaut (abwehr), in daunen wattieren, die

irritation aus der ferne, wenn ich loslasse:

die haare stehen noch immer zu berge

nicht traurig sein!

der teddy vermisst

geburtstage abzählen (hat seinen kopf verloren) ist das eher unterschwelliges wehren oder fremd sein?[1] der von barbie auf dem boden, wie konnte das passieren? übersteuerte aggression. I´m sorry.

mit dem schuldgefühl das plastik liebkosen: im gruselkabinett, hingabe

alle einzelteile, brüsteanfassen, dieses gedicht rezitieren

warten dass mir selbst welche wachsen – nochmal: „ein traum ist kein traum“ den kopf in

den plüschhals, alle sehnsucht in den händen, mich auf tautologische abläufe verlassen, unangebrachte fiktionen

es gibt keinen richtigen umgang.

den faktizitäten widersprechen in bester absicht habe ich mich geborgen, zärtlich ⊂ in der armkehle / trage mich dicht am herzen / zwischenblabla / beheimaten, einsortieren, die eigene obhut schenken, alles wird werden… ⊃ will das mythische zurück einhöhlen, eigentlich sicht versperren: die synapsen einschläfern                 aber die stirnfurche entbehrt nicht, wiegen in der grube mit den

fingernägeln die haut mit den fingernägeln aufgekratzt

agenda: komplexität verweigern.

die nestsucht hat zur folge     das dasein vertauschen, achterfiguren:

  • kaffee aus teetassen und tee aus sektflöten

dem vorderen schneidezahn ist kalt

  • die zähne mit zucker dreckig putzen      seit mehr als drei minuten

anderen körperteilen auch

  • baden in der toilette und              kacken in die wanne

manchen ist zu warm        ich liebe diese konsequenz.

entenfamilie, barbie, polly – zur ontologischen angst, zusammen den trost überdauern – geschätzte maskottchen, things can not cry, solche romantiken, vielleicht bin ich längst ein samsa: filme in der armkehle (im kinderschwimmbecken schritte machen / jesus spielen) nähre mich (schaukeln / ein jojo sein) ⊂ / zwischenblabla / beheimaten, einsortieren, die eigene obhut schenken blablabla

ausschließlich ungesunde beziehungen unterhalten = ich kultiviere das selbstmitleid

oh baby, baby, I love to exaggerate!

„Die Erschöpfung wird […] gleichsam als zunächst unbegreifbarer Schock erlebt, dessen spezifischer »Sinn« sich den Betroffenen im Rückblick […] erklärt. Es handelt sich um eine eminent leibliche Erfahrung, die den Betroffenen erst nachträglich […] verständlich wird. Im Zusammenhang mit der Erschöpfung werden zunächst […] jene Dimensionen von Subjektivität problematisch, die den Subjekten rational nicht vollständig verfügbar sind, sprich: ihre Emotionalität und ihre Körperlichkeit.“[2]

als nacktes tier am eigenen bett schlange stehen, morgens, abends tauchen in der dusche, treffe mich von vor 14 tagen. (eine fratze) die anforderungen nicht treffen  alle anderen schon. der saurier unter druck – angst vor selektionsprozessen (not the fittest). schutzsuchend: findet sich unter einer aquarium decke. pfiff, runden ziehen, der mund am glas, goldfischparty, draußen reden alle spanisch. 16 kreise, auf der tartanbahn, hält sich für eine kugel, über den sportplatz fliegen, das aquarium ist ersoffen. sieger ist – gewichte fressen, trage mich überm kopf, das aufstoßen der zunge spanne mich mir selbst auf den rücken, diese geburtsmasse, ich habe nichts gewonnen.

konstantstadium eines zu heißen herbstes

ein traum?

mir eine spieluhr sein, ⊂ ich werde niemals schwankend; geborgen habe ich mich selbst in der armkehle und trage mich dicht am herzen ⊃ als wäre der sandkasten das eigentliche spielfeld

verklärung, again again

mich einsammeln, höhlen zwischen den rippen,

schaufeln in die blase  das als hommage begreifen

einbauchen im fell, die mauer verdicken wunder wirken,

I believe believe

„ein sterbendes kalb“[3] begraben, fleischern anmut, hüllen

mir die wärme züchten / ein künstliches mutterhaus errichten,

abschließen                    gegenplatzierung, allein

oh baby baby, I do like excesses hänge mich mir selbst an die brust,

an der eigenen haut, den zitzen nuckelnd

oh baby baby, I do love excesses einen anschluss auftun:

irgendeine essenz finden, ich? füttern im mund

da ist bloß spucke.

mich einhaken zwischen den hirnwänden ein blauer fleck. teddy, barbie, polly… ?

ungenügend, sperrige platzhalter die meinen:

eine vollständige umarmung vs. ⊂ ich werde niemals schwankend… ⊃

sowas wie: keine monster und außerdem in

guten händen – die lügen vervielfältigen, mit

ihnen zerfransen

ich verpasse die revolution jeden tag aufs neue.

die haut ist eine falle / hier warten keine engel

gut im vernachlässigen    alle stacheln, die spinne im vorhang, nicht wahr:

habe mir gegner kuratiert; ich meine mit der mannschaft spielen:

  • einer duftkerze mit pissgeruch
  • reinigungslotion aus terpentin     I´m so bored by this kitsch collection

diese verhaltensmuster aktiv halten

die wohnung kaut, die wand zieht mir am pferdeschwanz

im anflug von panik, eventuellem ausdünsten entgegen-, das erwachsenenzimmer überarbeiten dem trüben entrücken (das potenzial klarer sicht vor augen), kurz begeistert

jetzt aber wirklich:

die fenster taufen      den putz sicher machen        das parkett dreschen

„Alles-oder-Nichts-Denken (Schwarz-Weiß) – kommt in Aussagen vor, die absolute Begriffe wie ,immer, nie, vollständig, total oder perfekt´ verwenden. Lässt keinen Raum für Mittelwege oder Ausnahmen.“[4]
mich einschließen / etwas gutes

ungenügend, hier kann dich nur der dreck umarmen
ich möchte mich mit dem eigenen augapfel bewerfen[5]

⊂ ich werde niemals schwankend; geborgen habe ich mich selbst in der armkehle ⊃ bemühe mich mir beizustehen; balanciere, trage mich selbst im arm, auf der zungenspitze    wüsste nicht wer außer mir   mich in die armgrube betten it´s a never ending song, an der bettritze lutschen never ending story als wäre sie ein schnuller. alles festhalten und die zimmerpflanze am kragen, sie soll sich nicht so gehen lassen!

den unmut mit der bettdecke beerdigen, ⊂ ich werde niemals schwankend; … ⊃ einbildung, wir liegen so nah beieinander, machen uns gegenseitig schön, alles bedarf einer angemessene zuwendung, züchten, genauso wie die selbstsabotage.

 den tag nachbestellen, weiter einlullen:

die haare gegen den scheitel bürsten, den schweiß bla in den achselhöhlen verhaften, den karies bla absichtlich in den mund setzen, den sprungturm im freibad blablabla nach oben fallen bla – ich halte nichts von der schwerkraft, aber siebla meldet sich bla ständig bei mir, weil sie sich vernachlässigt fühlt. die wasserrutsche nach oben blabla rutschen aus reinem spaß leben pro entertainment den blablabla apfel vom kern aus schälen, den unstimmigkeiten entsagen, im wimmelbild blabla nach offensichtlichkeiten suchen, gottlos fleißig seifenblasen blablabla  fangen

für mich solls rote rosen regnen, ein leben lang[6]


[1] die großen fragen

[2] Graefe, Stefanie: „Subjektivierung, Erschöpfung, Autonomie: eine Analyseskizze“. S. 1–25. In: Ethik und Gesellschaft Bd. 2 (Juni/2015). S. 17.

[3] Smith, Patti: Hingabe. Köln 2019. S. 34.

[4] AI Googleergebnis: dysfunktionale gedankenstränge

[5] setze auf den ekel

[6] hör auf zu lügen Hildegard


Epigramm

übersetzt von Gerd Weinreich

Man kann ein ganzes Leben
in Gesellschaft von Worten verbringen,
ohne jemals das richtige
zu finden.

Genauso wie ein armer Fisch
eingepackt in ungarische Zeitungen:
Zum einen ist er tot,
zum anderen versteht er kein Ungarisch.


es fehlt uns nur


es fehlt uns nur
die fähigkeit
uns über
uns
selbst zu erheben die flügel
auszufalten
uns
im inneren brachliegendes
auszustreifen zwischen den
hineinzufallen rippenbögen
hineinzufallen grenzen
in uns
raum zu überschreiten

Taktiles

Erinnerungen kleben an jedem Zentimeter meiner Haut. Unter der Dusche schrubbe ich mit dem Waschlappen, kratze mit seiner rauen Seite über das auf meiner Haut wuselnde Gedächtnis – aber es lässt sich nicht abwaschen. Es zieht sich zurück in meine Muskeln, versteckt sich hinter dem Prasseln des heißen Wassers und dem Waschlappenkratzen. Aber schon wenn sich die roten Striemen des Schrubbens in der Hitzerötung meiner Haut verlieren, kommen die Erinnerungen zurück:
Da ist das weiche Pochen, dass die Handfläche füllt. Es ist zum ersten Mal bei der Arbeit aufgetreten. Als du einer alten Dame hilfst, ihr medizinisches Korselett anzuziehen. Du musst ihre rechte Brust (die linke gibt es nicht mehr) in das Körbchen schieben. Das weiche, warme Gewicht faltet sich in deiner hohlen Hand zusammen. Es pocht noch wochenlang ununterbrochen in deiner Handfläche, bis es sich irgendwann wenigstens ab und zu zurückzieht. Dann im Wechsel mit anderen Erinnerungen an die Oberfläche tritt und wieder verschwindet.
Besonders schlimm ist dieses Ruckeln, das immer wieder an der Wirbel- säule entlang reisst. Es geht ursprünglich von einem harten Straßenbahnsitz aus: Ein kurzes hin und her Wackeln, du stößt dich am Ellbogen deines Sitznachbarn und der Plastikverkleidung auf der anderen Seite. Noch bevor du dich fragst, was passiert ist, hört das Ruckeln einfach auf. Im Nachhinein denkst du, du hättest es doch ahnen müssen. Aber das tust du in dem Moment nicht, in deinem Kopf herrscht Leere. Erst als der Straßenbahnfahrer eine Durchsage macht, mit erstickter Stimme von verzögerter Weiterfahrt redet und von Personenschaden, formt sich in der Leere deines Kopfes ein Entsetzen. Du verstehst, dass das Ruckeln in deinem Körper das Sterben eines Menschens war. Du weißt noch nicht, wem das Sterben gehörte; deshalb denkst du nicht an den Bräutigam und das schweißfeuchte Rau seines Hochzeitsanzugs im Juli.

Du denkst stattdessen plötzlich an das Vibrieren deiner Stirn auf der kal- ten, harten Scheibe eines anderen Zuges – und an den toten Bruder der Frau, die vor dir im Viererabteil sitzt und sich mit einem jungen Mann unterhält. Du willst schlafen, aber die beiden sind ein so ungewöhnliches Paar, dass sie dich wach halten: Die Frau, sie wirkt freundlich, etwas affektiert, ist nicht mehr jung und noch nicht wirklich alt. Und ein junger Mann, mit ordentlichem, schwarzen Bart, dessen Sätze von einem türkischen Akzent durchwoben sind. Die Frau findet den Zug dreckig, natürlich, aber fährt trotzdem lieber Bahn als Auto. Der Mann pflichtet ihr bei.
Du nimmst die Stirn von der Scheibe. Drückst deinen Hinterkopf in den harten Regionalbahnsitz, schließt die Augen. Vielleicht kannst du ja doch noch schlafen – aber deine Nase ist so kalt – vor deinen Ohren spannt sich die ungewöhnliche Freundschaft weiter auf:
Die Bahn sei ja doch so oft verspätet.
Der Mann stimmt ihr zu.
Die Frau erzählt: Bei ihrer letzten großen Verspätung hat sie zum ersten Mal einen Menschen ohne Kopf gesehen. (Sie sagt das, als wäre das etwas, was früher oder später auf jeden einmal zukommt.) Sie war da nicht im Zug, sondern am Bahnsteig, und ein Polizist kam direkt auf sie und ihren Mann zu. Heute gebe es nicht viel wegzuräumen, hätte er gesagt. Die Frau schaute in die Richtung, aus der der Polizist gekommen war. „Tu’s nicht, guck weg!“, habe ihr Mann noch gerufen, aber da lag er schon in ihren Augen. Ein Körper und links daneben ein Kopf.
(Ob sie das Gesicht gesehen hat, fragst du dich jäh und legst eine Hand auf deine Nase, um sie zu wärmen.)
„Echt?“, fragt der Mann.
„Ja”, sagt die Frau. Und dann weiter: „Ich versteh’s nicht. Mein einer Bru- der hat auch Selbstmord begangen, wenn man sowas macht, ist man wirklich am Ende, aber sich vor den Zug werfen, da leiden so viele Leute drunter …“
Du versuchst es dir bequemer zu machen, futschelst dabei an deinem Anorak entlang und bekommst Gänsehaut. Niemand verliert ein Wort über den toten Bruder. Er ist jetzt einfach da, hat sich zu der fremden geköpften Person gesellt.

Und jetzt, viele Monate später in einer Straßenbahn, gesellt sich noch das Ruckeln in deinem Körper dazu, von dem du lernen wirst, dass es zu dem Bräutigam im feuchten, rauen Julianzug gehört.

Die Frau damals im Zug redet weiter: „Aber es war auch ganz witzig, naja, witzig … Da hat ein 16 jähriger seiner Mutter am Telefon zu erklären versucht, warum er nicht nach Hause kann und auf einmal ruft er ‚erklären Sie meiner Mutter was hier los ist, die glaubt mir nicht‘ und drückt meinem Mann sein Telefon in die Hand. Mein Mann hat dann das Telefon genommen und die Situation erklärt, also, es hat ein Selbstmord stattgefunden und so weiter. Wahrscheinlich hat der Sohn schon öfter gelogen.“ Die Frau hält inne.
Der Mann hakt ein: „Ja, Selbstmord… Kennst du die Brücke in Stadthagen?“
„Ja, da haben sich vor ein paar Jahren auch öfter Leute runtergestürzt. Da ist ja jetzt das Geländer höher und alles.“
Der Mann beschreibt eine Straße im Ort – die Frau kennt die Straße, sie geht da jeden Tag mit ihrem Hund Peppi spazieren.
„Aber nicht nachts, oder?“, fragt der Mann entsetzt. „Da gibt es Ratten so groß wie Katzen! Und einmal hat es gebrannt.“ Da habe der Mann Polizei und Feuerwehr gerufen, aber die hätten ihm nicht geglaubt. Seien nicht gekommen, aber haben ihm mit einer Anzeige gedroht, weil er einfach so anrufen würde.
„Wenn es Ratten gibt, muss man das der Stadt melden!“
„Ja, wo?“ Der Mann klingt ehrlich interessiert. Rattenfund, Feuer, irgendwann muss einem einer glauben.
„Ich überlege gerade.“ Die Frau denkt lange nach.
Der Mann sagt: „Und vor ein paar Jahren im Juli ist in dem roten Haus in der Straße auch jemand vom Dach gesprungen.“

Vor ein paar Jahren im Juli, da war auch die Hochzeit des Bräutigams, der jetzt tot ist. Du kanntest das Brautpaar eigentlich gar nicht, warst nur als Plus-One einer Freundin dabei. Der Bräutigam hat dich flüchtig umarmt, wie man vielleicht viele Leute an seinem Hochzeitstag umarmt, die man nicht kennt. Sein Anzug ist schweißfeucht und rau, und als er sich nach der Umarmung wieder aufrichtet, streift seine Schulter dein Kinn. Das Schulterpolster des Anzugs steuert ein wenig Weichheit bei und gibt nach, aber der raue Anzugstoff drückt sich in winzigen Caros auf die Unterseite deines Kinns und steigt dort noch über sich selbst, als du seine Braut umarmst. Du suchst ihren Körper unter dem Tüll in eurer Flüchtigkeit, findest ihn nicht und ziehst schnell weiter. Schiebst dann nochmal zwanzig Euro mehr in die Glückwunschkarte bevor du sie auf den Geschenketisch legst. Du willst jetzt unbedingt, dass die Kosten der fremden Gästin komplett gedeckt sind.
Die Braut siehst du ein paar Monate später wieder. Bei deiner Arbeit. Da grüßt sie dich wie eine alte Freundin, du bist ja auf ihren Hochzeitsfotos. Dann zieht sie ihre Hose aus. Du zeigst auf einen Stuhl, seine Oberfläche ist aus Kunstleder, glatt mit aufgerauten Stellen von den sich ewig wiederholenden Desinfektionen. Sie setzt sich. Du kniest dich vor sie auf den Boden, das Maßband schon in der Hand. Du bittest sie auf die Stuhlkante vorzurücken, „so dass dein Knie ungefähr im rechten Winkel steht.“ Der Stuhl gibt ein feuchtes Atmen von sich, als er ihre nackte Haut kurz frei gibt. Du machst dich an die Arbeit, schreibst noch ihren Namen auf das Maßblatt für die Schwangerschafts-Kompressionsstrumpfhose, dabei schielst du heimlich auf das rote Rezept vom Arzt. Du warst auf ihrer Hochzeit, du musst ihren Namen richtig schreiben. Dann nimmst du das kalte, klebrige Maßband, für dessen Kühle du dich jedes Mal wieder entschuldigst, wenn du es um eine neue Stelle ihres Beines schlingst. Deine Hände sind so geübt, dass sie die Haut der Kundin, ehemals Braut, kaum berühren. Nur an ihren Oberschenkeln, als das Maßband etwas in dem angespannten Fett verschwindet, verschwinden deine Finger mit, für einen kurzen Moment, wie im Tüll des Kleides. Aber dieses Mal findest du die Grenzen ihres Körpers, das Maß, auf das er gepresst werden will. Dann hast du alles. Du nimmst das Maßblatt und gehst, tippst mit der schmierigen Kullispitze die Maße der Vergleichstabelle an und holst dann die richtige Strumpfhose. Sie ist nur in schwarz vorrätig. Es ist gar nicht so einfach so eine Strumpfhose anzuziehen. Man muss den Leuten zeigen, wie das geht, also ziehst du sie ihr an. Ihre Haut ist weich und nicht schuppig, wie die vieler deiner anderen Kunden. Mehlig. Mehlig müsste schuppige Haut eigentlich heißen. Du sammelst die überschüssige Feinheit des Stoffes zwischen deinen Fingern, machst sie zu kleinen Wülsten und schiebst sie in Stufen nach oben. Es gibt einen leisen Knall, jedesmal, wenn sie dir entgleitet. Als die Strumpfhose oben ist, fährst du noch einmal mit den Handflächen über die Beine, du findest keine Falten im Stoff. Er ist kalt, weich und ebenmäßig abweisend. Du weißt, dass sich die Hitze zwischen Strumpfhose und Haut aufstauen wird. Sie ist schwarz. Aber die Braut, die Kundin, die Freundin der Freundin, die baldige Mutter und spätere Witwe, möchte ein zweites, sandfarbenes Paar. (Sie nennt es hautfarben.) Du brauchst ihre Telefonnummer damit du anrufen kannst, wenn das Paar da ist. Sie entschuldigt sich, sie hat gerade ihr Handy verloren, kennt ihre Übergangsnummer noch nicht, und zieht ein altes Nokia aus der Tasche. Sie weiß nicht, wo sie ihre eigene Nummer finden kann. Vielleicht ruft sie einfach kurz an, dann kannst du ihre Nummer vom Display abschreiben: Der Simpsons- Klingelton fließt in Tutlauten aus dem Festnetztelefon in deiner Hand und du schreibst die Zahlen ab. Die Frau hält hilflos ihr kleines Nokia und wartet.
Du hattest auch mal so eins. In schwarz. Aber die fettigen Tasten aus weichem Plastik waren irgendwann milchig weiß geworden. Auf der Fünfer-Taste war ein winziger Plastikknubbel, genug um einen angenehmen Widerstand auf der Fingerkuppe zu erzeugen und immer wieder blind zurück zur Fünf zu finden. Fünf oder jkl. Die Tasten des alten Handys haben leise geknackt, wenn man sie drückte.
Das Knacken gefällt deinem Neffen. Er ist erst zwei und du willst, dass er sich freut. Also aktivierst du die Tastensperre und erlaubst ihm, mit deinem Handy zu spielen. Das Knacken vieler zufälliger Tasten. Ein schweigendes zufriedenes Kleinkind. Der Zufall will, dass dein Neffe drei mal die Null und dann den grünen Hörer drückt. Auf einmal tönt eine ernste Stimme durch den Lautsprecher: „Polizeizentrale Laupheim“. Du entreißt deinem Neffen das Handy und erklärst dem Polizisten, dass der Anruf versehentlich geschehen ist. Du entschuldigst dich, er legt auf, dein Neffe weint.
Hättest du in deinem akzentfreien Deutsch und mit deinem deutschen Namen nicht gesagt, dass es ein versehentlicher Anruf war, sondern, dass du die Polizei brauchst, für irgendwas, weil ein rotes Haus brennt oder jemand von einer Brücke springt, sie wäre gekommen. Dein Neffe weint immer noch. Die blecherne Stimme aus dem Handy hat ihn erschrocken. Er weiß schon, dass man nicht einfach bei der Polizei anrufen darf. Du streichelst über seine verschwitzten Locken. Nimmst ihn auf den Arm, klebrige Hände an deinem Hals und so viel schwere Verantwortung deren Ende an zwei Füßen kurz über deinem Knie baumelt. Erst als seine Mutter ein paar Minuten später kommt und dir die schwere, warme, von geruchlosem Schweiß überzogene Verantwortung abnimmt und sie hin und her wiegt, hört dein Neffe auf zu weinen.


Zinnoberrot

Dicke Schlieren wölben sich von meinem hinteren Rachen nach vorne, dunkel und rot dehnen sie sich krampfend aus und erpressen meine Zunge, werden zum Einzigen, was ich spüre – rau, feucht und gewaltig.

Reine Routine. Flugzeuge stürzen häufiger ab, und die Quoten dafür sind bereits unwahrscheinlich niedrig.

Reine Routine, höre ich, als sie hinter den Glasschiebetüren zu einer milchigen Silhouette wird.

Ich widerstehe dem Drang, zum Waschbecken zu laufen und zu spucken, bis nichts mehr übrig ist – habe Angst davor, nicht mehr übrig zu sein. Die Schlieren legen sich über meinen Gaumen wie eine zweite Haut, die alles bedeckt und sich festsetzt, abgeschabt werden muss, abgeschabt werden soll. Mit jedem Mal Schlucken schiebt sich ihr Geschmack weiter nach vorne. Bald werde ich ihn an meiner Zungenspitze fühlen – nicht süß, nicht salzig, zinnoberrot.

Sie legen ihr die Risiken auf einem schlecht kopierten Blatt Papier dar, von partieller Taubheit bis zum Ende. Hier, in diesem kahlen Raum, sitzt sie, mit dem lieblosen Krug Wasser, den gestapelten Gläsern, dem surrenden Kühlschrank ohne Inhalt, weil niemand auch nur einem Lebensmittel das alles mit reinem Gewissen zugemutet hätte.

Sie legen mir die Risiken vor.

Wir setzen unsere Unterschriften auf das Papier, schnell und hastig, alles immer schnell und hastig. Wir stimmen zu.

Im zugewiesenen Zimmer packe ich meinen Koffer gar nicht erst aus. Der Schrank hat keine Einlagebretter, warum also Stoff für Stoff von einer unsortierten Umgebung in die andere hieven. Eine Schwester klärt mich über das Prozedere auf: duschen, Haare waschen, Kittel anziehen, einen Knopf verschließen. Slip darunter sei in Ordnung. Sie holt die Instruktionen für danach, es sei ein Roman, meint sie, ich bräuchte nicht alles lesen. Ich blicke auf das Buch in meiner Hand, eines von vieren, und vergleiche es mit den vier ausgedruckten Seiten. Polenta mit Kaffee als Frühstücksempfehlung, für das Hauptgericht Fleisch oder Fisch, ordentlich durchgegart. Ich lege die Seiten in den verschließbaren Beistelltisch.

Ob sie den Polenta mit Milch im Kaffee oder mit Zucker oder einfach so gegessen hätte? Mir hätte sie keinen Kaffee dazu gegeben, ich war ja noch zu jung dafür. Mit dem Fleisch und dem Fisch hätte sie auch kein Problem gehabt.

Das Blut hat sich mittlerweile an die Innenkanten meiner Zähne geklebt. Meine Zunge reibt dagegen, liebäugelt mit der Mischung aus Gier und Abscheu, will es nicht wahrhaben, aber verlangt dennoch danach. So, wie man nach dem süßlichen Schmerz von aufgeschürften Knien verlangt, nach den darauffolgenden Armen und tröstenden Worten einer Mutter.

Um 7 Uhr früh muss ich bereit sein.

Um 7 Uhr früh steige ich am nächsten Tag aus dem Krankenbett und hole das OP-Hemd aus dem Schrank. Die Patientin neben mir gähnt, ihre Infusion gurrt, das Bett gegenüber ist leer. Im Bad läuft das heiße Duschwasser in klobigen Perlen über meinen Rücken. Einer der wenigen zugestandenen Momente in Einsamkeit, Wasser und Haut, ein Körper, der nach 7 Uhr ein anderer sein wird. Das Handtuch ist rau. Ich ziehe den Kittel an.

Sie war immer früh wach. 7 Uhr, das wäre in ihren Augen spät gewesen. Sie machte mir Tee oder Kakao, schmierte mir ein Brot oder erlaubte mir an besonders schweren Tagen eine Schüssel klebrigsüßer Cornflakes. Sie schloss den Kittel mit dem einen Knopf lange bevor sie musste. Sie war immer überpünktlich. Wusste sie, wann es soweit war?

Unter der Decke warte ich darauf. Zuerst schiebt man mich weiter in die Abhängigkeit, die Pille schmeckt weiß und leer. Für meine Beruhigung. Ich will nicht ruhig sein. Meine Venen sind an den gewöhnlichen Stellen abtrünnig, das sage ich immer gleich zu Beginn, doch noch nie hat jemand auf mich gehört. Die hohle Nadel bohrt sich schlussendlich doch in meinen linken Handrücken und in den Kreislauf meines Körpers, das durchsichtige Päckchen mit der durchsichtigen Flüssigkeit wird angeschlossen und an einem Haken am Krankenbett befestigt. Ich spüre die Substanz. Langsam kriecht sie meinen Arm hinauf, mit jedem Millimeter wird sie kälter, werde ich ruhiger. Ich will ruhig sein. Ein- und ausatmen. Einatmen mit dem Fremdkörper, aus mit der Nadel, im Takt zum stillen Tropfen im Beutel.

Ich werde allein gelassen. Bis die Ruhe wirkt. 10, 9, 8…1: Ich lausche dem Meer, den Vögeln, dem Wind in den hohen Tannen, beobachte die Wellen, stehe erhaben über ihnen, geschützt durch ein bemoostes Geländer, lebendige Landschaft, die weiße Gischt rollt auf mich zu, der Boden unter meinen Füßen ist weich und erdig, ich bohre mich in den Grund, standhaft, ruhig, ich bin ruhig, verbunden mit allem, was die Erde zur Welt macht.

Vielleicht könnte ich hier sterben…8, 9, 10.

Mir entfließt die Wirklichkeit in roten Zügen, im dicken Fluss.

Benommen ist mein Puls im Normalbereich und meine Gedanken sind runde Kügelchen, schwerelos kreisen sie durch den Raum. Bald tröpfeln weitere Mittel in mich hinein und als ich den Flur entlang rolle, halte ich dem Pfleger die Türen auf, fühle mich nützlich in all der über mich hereinbrechenden urmenschlichen Schwäche.

Neben mir rollt ihr Bett, leer.
Hinter einer milchigen Glastür merke ich, wie betäubt ich bin. Ich soll mich auf den OP-Tisch heben. Meine Arme stehen vor der absoluten Kraftlosigkeit, nur mit extremer Anstrengung schaffe ich es, meine Ellenbogen zu belasten, dann den linken Arm und den linken Fuß auf die andere Liege zu wuchten, den Rest von mir mit aller Gewalt den Gliedmaßen nachzuziehen. Der Kittel schneidet mir den Hals ab, ich zerre vergebens, nichts geht mehr. Ich bin ruhig.

Der Raum ist still, grün, metallisch. Während mein Körper zum Objekt wird, vernimmt mich die Anästhesistin. Ich antworte ihren Fragen, wenn auch langsam und mühevoll. Stellen Sie sich einen vertrauten, schönen Ort vor, für die nächste Stunde. Ich erzähle ihr von der Gischt und den Tannen, und sie meint, das hätte sie noch nie gehabt, eine Patientin, die von Kanada träumt. Den Teil mit dem Sterben lasse ich aus. Ihr Assistent hält mir den vermeintlichen Sauerstoff vor Mund und Nase und in der Lüge tauchen Pottwale und gleiten Weißkopfseeadler und ich mit ihnen – bis meine Augen vom gleißenden Licht des Aufwachraums geblendet werden.
Guten Morgen, legt man mir ein Kühlpaket auf den Hals. Ich kann nicht schlucken, alles ist rau und trocken, mein Hals ist eine Schuttmulde, meine Zunge ein lebloses Stück Fleisch, ein Fremdkörper, nutzlos. Anheben. Mein Kopf wird etwas erhöht und langsam fließt das Leben in mich zurück und meinen Hals hinab. Ich fühle mich eng, meine Lippen sind trocken, aufgerissen, klobig und die Augenlider klammern sich hilflos aneinander. Alles ist gut verlaufen. Ich lächle trübe.

Als sich das Blut eine Woche später in meinem Hals zu sammeln beginnt und ich es erst merke, als ich mich vornüber ins Waschbecken beuge, so tief, dass meine Haare auf der weißen Keramik aufliegen und die rote Substanz sie benetzt, wie ein Film, der rückwärts abläuft – bin ich froh.

Blut spürt man.

Ich bin froh, als die Rettungsleute die Wohnhaustreppe herauf hechten, als ich auf die Trage gelegt werde, als ich in den Wagen gehievt werde. Nicht Vieles ist zinnoberrot, der Tod ist farbenblind, und dieses eine Mal noch kann ich ihr näher sein. Also erzähle ich ihr, was uns nun für immer verbindet, was mich für immer an sie bindet.

Drei Tage füllen wir wieder denselben Raum, dann muss ich sie gehen lassen.

Das Zinnoberrot, das war ganz warm, fast wie das Duschwasser. Auf der anderen Seite der Schiebetüren finde ich es bedauerlich, dass es fort ist. Die verbleibende Substanz ist schwer und ungreifbar. Ich finde es bedauerlich, dass ich sie erneut verloren habe, dass sie im Raum mit dem surrenden Kühlschrank und dem schalen Wasser im Krug am Plastikbezug lehnt, aus dem Fenster schaut, ihre Lippen schmal im künstlichen Licht.

Ich bin leer und atemlos, freigewaschen. Ich habe nichts mehr zu vermelden.

ich spucke.
und spucke.
spucke.


„Bedenken Sie bitte […] – in Deutschland entsteht die meiste Lyrik auf dem Lande, in Provinzorten, mit Kindern u. Enkeln u. in Einehen“ (Gottfried Benn im Brief an Hans Paeschke vom 17. Juli 1952)

Euch fluchen wir, die ihr in Kapitalen
der hohen Lyrik, sprach- und selbstverliebt,
tagtäglich einen Text vom Stapel laßt,
auf eurem Pott, der meist doch nur auf Reede liegt,

die Backen plustert und die Segel bläht,
auf nichts und alles einen Reim verfaßt,
zwar Landes Kunst nicht kennt, doch dreist verlacht,
und über die Provinz euch auch noch lustig macht!


Mutter, die Erde friert

Ach Mutter, recht hast du gehabt. Mit dem Johan und dem Schalkers Bursch bin ich losgezogen, und du hast mir doch noch gesagt, ich solle es lassen. Vater lieber zu Felde helfen. Pferdekarren spannen und den Acker bestellen, aber nein. Ich glaubte es besser zu wissen.

Weißt du noch, wie die Erde immer hart war um die Weihnachtszeit herum? Wie der Frost in sie kroch und sie ward wie Stein? Dann, wenn ein jeder Maulwurfshügel auch hätt‘ sein können aus Fels, ja, das war immer ganz furchtbar gewesen, finde ich.

In Russland ist es jetzt so, Mama, das spüre ich, im Rücken, in den Beinen. Es ist kalt und so einsam. Ach, was tät ich nicht, dass du mich noch einmal nämest zu Schoße, bei unserem schönen Kamin und einem Feuer – ei, ein Feuer! Mit dem Buchenholz das Vater und ich stets schlugen! Wie fein das wäre!

Doch Feuer gibt es wohl für mich keines mehr. Johan ist bei mir, glaube ich, aber er, so fürchte ich, kann keines mehr machen jetzt. Es sieht grausig aus, ich möcht’s dir gar nicht beschreiben.

Mama, der Krieg ist so fürchterlich, so schrecklich. Ich hatte doch geträumt von Heldenmut und von Abenteuer, von Kameradschaft und Rittertum. Aber es wird mir jetzt doch so fürchterlich klar, dass der Heldentod- Mama, der Heldentod ist doch auch nur das Ende des Lebens. Er tut gleichermaßen weh, die Kugel in meinem Magen schont mich nicht, weil ich eines Ehrenmannes Ende finde, ganz und gar nicht.

Ich wünschte mir noch einmal deinen Eintopf kosten zu können, den mit Steckrüben und den Kartoffeln und mit Sellerie, die du doch manchmal auf dem Markt hast, gekauft. Aber, was red‘ ich denn? Der würd mir doch gleich wieder aus dem Loch im Bauch hinauslaufen! Das wär doch schad‘ drum, um den Eintopf mein‘ ich, wenn der uns auf den Boden liefe. Fast lachen muss ich, wenn ich daran denke, wie böse du immer warst, wenn ich dir den Schlamm aus dem Wald ins Wohnzimmer trug, als meine Heldengeschichten noch mit Stöcken und den Nachbarskindern ausgefochten wurden! Ha, was herrliche Zeiten, als eine Niederlage eine bloße Blessur versprach!

Nun lieg ich hier, ich glaube einige Kilometer von Nowgorod. Sicher weiß ich das doch nicht, ich war ja nie so gut in Geographie. Aber das weißt du wohl am besten, hast du mich doch getadelt, wenn der Herr Lehrer mein Heft mir beschmierte, mit den abscheulichen Noten!

Ich würde geben, was ich habe, um noch einmal deine Stimme zu hören, sei es wie sie mich zurechtweist oder tröstet. Der Boden ist so kalt unter mir, dass ich nicht glaube jemals wieder warm zu werden.

Ich möchte ehrlich mit dir sein, Frau Mama, ich wollte immer stark sein für dich, dein kleiner Held, dein Ritter. Aber jetzt, wo ich mein Leben schwinden spüre, da habe ich Angst. Schlimme, schlimme Angst. Und ich habe geweint, und ich weiß, dass du das hast spüren müssen, irgendwo ganz tief in deinem Herzen, dass dein kleiner Abenteurer vor Schmerz und Angst die Tränen nicht mehr halten konnte, all diese Kilometer von der Heimat entfernt.

Mein Deutschlehrer, der Herr Bardenecker, der hat uns manchmal vom Gevatter Tod erzählt, da muss ich jetzt daran denken. An die Unterrichtsstunden, die ich so habe gehasst, doch nun – nun könnt ich mir bald nichts schöneres mehr vorstellen.

Der Gevatter Tod, aber natürlich! Wie konnt‘ ich es bloß nie sehen? Wenn der Vater mich kommt holen, nun bald, dann ist er es der mich aus dem Leben muss nehmen. Denn es warst ja du, Mutter, die mich in dasselbige hat gebracht. Es kann nicht Gevatter sein der mich gebiert, nicht wenn er es auch ist der mich kommt holen, genauso kann’s nicht sein die Mutter die der Moiren Fäden schneidet, spinnst du diese doch zusammen mit ihnen.

Oder nein, was red‘ ich denn? Sind Gevatter und Vater noch gleich das- selbe? Ich weiß’s nicht mehr.

Oh je, Mama, das hätt‘ doch keiner von uns beiden gedacht, dass ich im Griechischunterricht wohl aufgepasst habe. Dass ich an die Moiren denke als mir das Eis in die Knochen fährt, das ist ja doch kaum zu glauben!

Es fängt an zu schneien jetzt, sehe ich. Weißt du noch, wie wir Kinder

waren, meine Geschwisterchen und ich, wie wir Winter um Winter auf dem

fürchterlich harten Boden ach so schöne Schneemänner haben gebaut? Wie

Rickert sie manchmal hat umgestoßen, der Tollpatsch, aber du sie hast wiederaufgerichtet, wenn ich dann geweint habe? Herrliche Zeiten waren das, wie der Schnee noch mein Freund war, obwohl er in meiner Nähe schmolz und das Weite suchte. Wie seltsam, denke ich mir, nun ist er mein Feind, doch gerade jetzt, das merke ich – er schmilzt mir nicht mehr auf der Haut, er bleibt liegen. Er sucht die Nähe, die er mir Jahrelang hat, verwehrt. Ach, Mutter, ich werde dich missen- meine Welt wird nun dunkel, langsam, und ich denke an dich.


Nachwort #15

Leser_in, Leser_in, lass dein Haar herunter,

Stein auf Stein, Text um Text hat die KLW, haben die Autor_innen der Ausgabe #15 sich versammelt und Dir einen Turm gebaut. Stufe nach Stufe, Seite um Seite hast Du den Textturm erklommen. Und jetzt bist Du da, oben zwischen den Zinnen und schaust runter. Wie böse Stiefeltern haben sie dich eingesperrt.

Oder hat dich die Lesewut gepackt und festgehalten?

Wie lange sitzt Du jetzt schon fest?

Von hier unten kann ich dein Gesicht nicht genau erkennen. Lachst du?

Weinst du?

Schaust du gelangweilt in die Ferne?

Oder sind Deine Gesichtszüge etwa komplett entgleist?

Wenn Du dein Haar herunterlässt, kann ich hochkommen und wir reden in Ruhe darüber. Ich werde natürlich vorsichtig sein beim Klettern. Nicht dass der schöne Turm einstürzt und wir später in den Trümmern landen. Aber mach dir keine Sorgen. Eigentlich sind fast alle Türme aus Trümmern irgendeiner Art gebaut. Auch der Textturm, auf dem Du da sitzt, wurde aus vielen kleinen Teilen gebaut. Viele kleine Hände haben in viele kleine Töpfe gegriffen und ein Klötzchen aufs andere gesetzt. Viele kleine Hände können den Turm auch wieder aufbauen, wenn er mal auseinanderfällt. Also fühl dich frei: Reiß deine Lieblingsseite aus, kleb sie wieder rein. Schneid deine Erzfeindseite auseinander, schmeiß die Schnipsel in den Main. Türme, Burgen, Festungen und Mauern (auch welche, die vor Bränden schützen) stürzen manchmal ein. Wichtig ist, dass wir zusammenhalten, um sie wieder aufzubauen.

Wenn Du bereit bist, können wir dann aber fürs Erste auf mein weißes Ross steigen und zusammen in den Sonnenuntergang reiten. Und du kannst dein weißes Heftchen nehmen und ins Regal stellen. Hinten am Horizont sehe ich schon die Ausgabe #16. Vielleicht hast du ja auch etwas für sie vor Augen.

Bis dahin,

Deine Jule

im Namen von

Kollektive Stiefeltern,

Kollektive Märchenprinz_essinnen,

Kollektive Literaturzeitschrift Würzburg