Mein Haus
#1

Anmerkung der Redaktion: Um welche Stadt könnte es sind handeln? Ist es wohl eure Stadt? Würdet ihr gerne mehr Geschichten von Dr. Kokosch lesen?

Ich lebe im Nebengebäude einer Wäscherei. Ständig klopfen Leute an meiner Tür, weil sie denken, dort gäbe es weitere Waschmaschinen. Das liegt nicht an mir, das liegt an der skurrilen Bauweise der Stadt. Ich hasse die Stadt und ich hasse die Leute, die bei mir klopfen und Herr Dr. Kokosch rufen (das ist mein Name … er steht in großen Buchstaben auf der Tür … die Stadt meinte das würde reichen, um die Ruhestörung zu minimieren … wieso nicht einfach „nicht stören“ oder so?). Ich leide an einem überempfindlichen Gehör. Das verdammte Rattern und Surren der Waschmaschinen und die wiederholten Rufe machen mich fertig. Übrigens gehe ich schon seit etwa zwei Monaten nicht mehr aus dem Haus. Schließlich führt der einzige Weg durch die Wäscherei. Wer sich das ausgedacht hat, kriegt eine gekloppt. Mir ist das beim Einziehen gar nicht richtig aufgefallen, auch das mit dem Lärm nicht, ich glaube es war ein Sonntag … Heute ist Montag. Eine ganze Woche Lärm vor mir. Ich sollte wandern gehen. Gerade als ich die Tür aufschließe, klopft es, ich öffne und ein nackter Mann stolpert in meinem Wohnzimmer herein. Er sieht eigentlich recht schön aus: Seitenbeleuchtung, Haare im Wind der offenen Tür, aber nackt. Ich finde jede Art der Nacktheit abstoßend. „Das ist mein Haus“, sage ich und der nackte Mann lächelt. Er sagt er habe seine ganze Wäsche in die Waschmaschine getan und vergessen, dass er dann nackt sein würde. Dann läuft er gegen eine der Wände. „Soll ich dir eine Decke geben?“, frage ich zur Sicherheit, aber auch weil ich keine stabile Seitenlage kenne und der nackte Mann schon wieder Anlauf nimmt. Der Mann knallt gegen die Wand, dass es mir schmerzt, und kippt um. Er liegt auf dem Boden und strampelt und weint. „Sie haben mich ausgelacht“, ruft er und ich sage, er solle nicht so schreien, in meinem Haus. Also kriecht er Richtung Wäscherei zurück. „Das ist gut!“, sage ich, um den nackten Mann aufzumuntern. Er dreht sich im Kriechen immer wieder zu mir. Dann hat er es geschafft. Er ist bei der Tür. Er rappelt sich auf und läuft weg. Ich schließe die Tür wieder zu und steige durch ein Fenster hinaus, laufe aus der Stadt in die Berge zum Wandern und fort.

Kommentare (5)

  1. zwent says:

    Lieber gruber,
    warst du denn noch nie in einer Wäscherei, einem Waschsalon? Es geht dort ja die ganze Zeit nur so zu, wie hier angedeutet. Ich würde sagen noch viel wilder. An die Nebenräume will ich gar nicht denken, da halte ich mich raus. Und dann auch dieses nackt an Wände Laufen: ich fühle mich erkannt, gesehen, und würd mich doch als Langweiler, als Durchschnittsexistenz bezeichnen, und gar nicht als Vagant.

    Peter Sipos gilt mein Dank. Es wurde ja Zeit, Wäsche und Mitgefühl literarisch zu verwurschteln, und dabei auch die Nebenräume anzuleuchten, mit einer kleinen Taschenlampe.

    zwent

    • gruber says:

      Hallo zwent,

      ich kenne diese Etablissements durchaus, dersorten gibt es eines auch bei uns in der Stadt. Die Leute sind arm, ein wenig einfältig und fromm, Gottes Kinder eben. Sie würden nicht zu den in der Geschichte des Herrn Sipos auftretenden Verdrehungen übergehen, beizeiten wirken sie eher niedergeschlagen, vom Schicksal gedrückt.

      Mir erschließt sich auch nicht ganz, woher Sie das „Mitgefühl“ herlesen; ist beim Auftritt des Nackten nicht auch ein gewisser Ekel des Herrn Kokosch erkennbar?

      Es grüßt
      gruber

  2. Anna Heller says:

    – Es könnte doch wohl jede Stadt sein? Nur meine nicht, dafür sind die Menschen bei uns nicht extravertiert genug (ich wohne in einer Kleinstadt des Burgenlandes).

    Da bin ich ganz bei Ihnen, gruber. Die beschriebene Stadt kann für mich beispielsweise unmöglich Hof, in Bayerns Norden gelegen, sein. Hof ist wohl zu klein und verlassen. Skurril ist da einzig und alleine die geisterhafte Stimmung. Aber auch meine Stadt Würzburg kommt wohl nicht in Frage, denn die Post-WKII-Bauten sind höchstens als trostlos und nicht als skurril zu bezeichnen. Die Stadt bleibt nicht zu verorten – nur in unseren Köpfen.

    – Ob es Dr. Kokosch in den Bergen, Natur und Land besser gehen wird? Ob es schon besser ist nicht in der Stadt zu sein? Ich wage es dies zu bezweifeln.

    Nach T. Bernhard:
    „Einem Geistesmenschen nimmt das Land alles und gibt ihm (fast) nichts, während die Großstadt ununterbrochen gibt, […]“
    Und nun?

    A.Heller

    • gruber says:

      Und nun?
      Das Zitat ist durchaus weiterer Überlegungen wert, werte Mitmensch:in.

  3. gruber says:

    Hallo,

    „Um welche Stadt könnte es sind handeln? Ist es wohl eure Stadt?“
    – Es könnte doch wohl jede Stadt sein? Nur meine nicht, dafür sind die Menschen bei uns nicht extravertiert genug (ich wohne in einer Kleinstadt des Burgenlandes).
    „Würdet ihr gerne mehr Geschichten von Dr. Kokosch lesen?“
    – Ich für meinen Teil schon; allerdings verstehe ich nicht, warum im literarischen Universum von Herrn Sipos die Charaktere immer so schrecklich exzentrisch sein müssen – weiß er denn nicht, wie normale Leute sind? Damit will ich nicht auf Füße treten. Ansonsten weiß das Absurde und das Gehen in namenlose Berge zu gefallen wie die ausgebliebene Antwort auf die Frage, die man sich von Zeit zu Zeit stellt.

    gruber

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