Ausgabe 10

  • 29/07/2022

Vorwort #10

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  • KLW NUMMER 10!
  • Jubiläum!
  • 2018 gegründet! Erste Ausgabe 2-19!
  • Handerlesene Literatur von und für Jedermensch.
  • „An wen richtet sich die KLW?“ – „Es richtet sich an Menschen, die kein Geld haben und sich einfach mal in Ruhe mit einem Glas Leitungswasser ins Café setzen und über der KLW die Tristesse ihres Lebens vergessen.”

 

ANLEITUNG:

Sie brauchen: KLW #10, einen physischen Körper.
Ein Glas Leitungswasser.
Optional: Textmarker, Stift, Klamotten, Sitzgelegenheit.
Schritt 1: Lesen Sie die Texte.
Schritt 2: Nutzen Sie ggf. die optionalen Utensilien, um das Leseerlebnis zu intensivieren.
Schritt 3: Sprechen Sie über Ihr Leseerlebnis.

 

VORWIRRT:

Einst kroch ich in eine Wassertonne, auf der Suche nach Erfrischung. Meine KLW Nummer 10 wurde aufgeweicht und ich wurde nass. So wird das nichts, dachte ich. Hätte ich sie bloß gelesen.

Vorwirrt Ende.

Viel Spaß mit der KLW#10 wünscht die KLW Redaktion. 🎕

* „Die folgenden Sätze“ beinhaltet alle Sätze auf allen folgenden Seiten.


Weinbergschnecken
kriechen auf der Spur des Weines,
der verschüttet wurde.
Schleim wird rot
und schmeckt nach Trauben,
die zu lange in der Sonne reiften.
Ich bin nicht groß.
Eine Zunge auf der Rennbahn.
Ich sehe das Fresko an der Decke
und staune
mit den Augen eines Kindes
über Adam,
der beinahe Gott berührt hat.


bein’ your own prison cell

[…] ich habe mir architektur als ort der vertikalen
laeuterung vorgestellt, wo keine fortlaufende zeit,
sondern nur augenblicke existieren. […] – shin ta-
kamatsu in shin takamatsu ein architekt aus kyoto

wird es dir eines schoenen tages vielleicht gelingen
so dermaszen im einklang mit allem zu sein dass du
vor einem leeren blatt sitzend keinerlei beduerfnis
mehr spuerst es mit zeichen zu fuellen nein besser
jener unterschied ist weg ganz egal ob beschrieben
oder nicht wirst du nun nicht mehr hinein gezogen
doch vergiss nie eine gerade sei das schrecklichste
labyrinth ja in memoriam deleuze beziehungsweise
borges seine komplexen architekturen & sein spiel
sich permanent in sich selbst zu fangen ohne dabei
auszer von auszen je bemerken zu koennen wohin
die pfade des geistes einen denn fuehren & warum
saemtliche portale wie bei kafka verschlossen sind
doch hiesze das blosz dein tod wuerde dich retten
& waer er die einzige option dich total zu befreien
von leid zwang & unuebersichtlichsten topologien
& einer welt die du zu deinem gefaengnis machtest


Campariszenerie

sanft orange
mahlen zähne mit marillengeschmack nilgras
knirscht unter dem geweihgebiss malmt
mit eckzähniger langeweile

zwischen den fichtenschenkeln
ergießt sich der april auf ihre netzhaut
erblindet den sonnabend
mit seinem schnee weil er will
gelb blau und rosa das schönste was augen sehen können tröpfeln
in ihren rachen wie gefärbter kakao mit schlagrahm

mikrowellenwarm
ein bein gebeugt
gefahr wäre blau
drohte zwischen den stämmen mit grün-gelber iris
ergösse sich salzsatt wie das mittelmeer
über ihr steppengras
drösche ihr karpal wie ein sterbender hai
berauschte die ohrmuschel mit fliedernarrativen
bräche in wolfsgestalt den frieden und das brot an der wasserstelle
blutete lasierend am horizont
der campariszenerie


Der Weg von der U-Bahn nach Hause und der Aufenthalt in der Wohnung

Weil ich
Ein U-Bahnfahrgast
Auch U-Bahnführer hätte sein können
Nahm ich mich vor mir selbst in Schutz
Bis ich
Den unterirdischen Blumenladen passierend
Spürte
Dass ich auch Florist hätte sein können
Statt U-Bahnführer statt U-Bahnfahrtgast

Aber dann
Als ich in mir einen Nachtwächter sah
Irrte ich mich in der Zeit
Ebenso
Als ich in mir einen sah
Der den linken Fuß vor den rechten setzt
Weil ich doch in diesem Moment
Den rechten vor den linken setzte

Erst in meiner Wohnung
Konnte ich nicht mehr alles sein
Konnte ich nicht mehr versehentlich auf neue Gedanken treten
Allerdings nur, bis ich mir den Klang des Telefons vorstellte
Und mich fragte
Was würde derjenige, der abhebt
Demjenigen antworten, der anruft
Würde derjenige sich als eine Castingagentur ausgeben?
Und würde es sich dabei um einen Scherz handeln?

Kämest du jetzt nach Hause
Dann könnte ich vielleicht am Ton deiner Stimme eine Antwort …
Dann könnte ich vielleicht an deinem Geruch …
Dann könnte ich vielleicht …
Aber dafür müsste es dich geben
Dürfte ich jedenfalls in Bezug auf dich
Keinem Irrtum unterliegen


Die Ohrfeige

Aua.


Dribbeln Zwischen Trümmern

Ein paar Monate nachdem ich aus England zurückkam, während ich gerade einen Kaffee kochte, oder auf meinem Handy einen Artikel las, dachte ich einmal an Jay. In England an der Uni hatte ich ein Seminar bei Jay belegt über „Family Memoirs“. Ich dachte an Jay, an sein Gesicht, das Gedrängte seiner Statur, die karierten Hemden und braunen Cordhosen, seine zärtliche Art. Ich rief dieses Bild aus der Erinnerung auf, aber so, als hätte ich in der Zwischenzeit die Augen geschlossen und dabei den Entschluss gefasst, ihn noch einmal zum ersten Mal zu sehen.

Denn jetzt betrachtete ich mein inneres Bild von ihm und dachte, wusste, sagte zu mir selbst: Es ist etwas an ihm, das auch an mir ist, nur spiegelverkehrt.

Seitdem, seitdem ich ihn erkannt habe, suche ich in jedem Gesicht, das ich im Internet sehe, auf Listen von Juries, Mitarbeiter*innen, Gästen, Stipendiat*innen, Redaktionen. Suche nach Zeichen. Nach Momenten in den Gesichtern von Frauen, die anecken, nach dem Unweiblichen im Weiblichen, das die Transgression markiert. Und ich finde sie, finde sie überall, finde in jedem Gesicht eine Lippe, die zu schmal, einen Kiefer, der zu hart, eine Stirn, die zu hoch ist. Sehe, wie auf eine sehr direkte Weise niemand die Vorstellung seines Geschlechts erfüllt, wie alle nur ihre eigene Form der Abweichung sind.

Ich laufe über den Nordfriedhof, während ich an diese Dinge denke. Es hat den ganzen Tag geregnet und ich bin allein zwischen den langsam trocknenden Büschen, den Grabplatten mit Herzchen und Engelfigürchen. Die Soldaten der Roten Ruhr Armee sind nicht aufgetaucht, aber da ist noch die Skulptur einer Frau, zum Gedenken an die Opfer des Grubenunglücks von 1925. Die Leiche eines jungen Mannes liegt ihr zu Füßen, Trauer hat ihr Gesicht verzerrt, ihre Züge sind so spitz, dass man sich an ihnen schneiden könnte.

Und hinter den Bäumen ragt der Hammerkopf der Zeche Minister Stein über den Stadtteil hinweg. Er ist immer da, immer zu sehen, als hätte er sich im Himmel verkantet, hat er alles im Blick, der Hammerkopf. Er könnte fallen, denke ich, fallen wie ein Urteil, das gesprochen wird.

Er ist die Garantie an die Arbeiter*innen, dass die Arbeit nie ganz aufhört, dass ihre Körper nie ganz ihnen gehören.

Ich habe angefangen, Jay eine Mail zu schreiben. Ich schreibe Jay, Ich war ein erasmus student from dortmund, ich schreibe Jay, ich hatte viele Dinge noch nicht verstanden, die ich jetzt zu sehen beginne, ich schreibe Jay, ich benutze jetzt she/her pronouns ich schreibe Jay, dass ich nicht weiß, warum ich Jay schreibe.

Die Medizin sagt mir, wie ich mich über meinen Körper fühle, sie sagt, und legt dabei die Hände in Falten, dass ich unter Geschlechtsdysphorie leide. Ich schaue die Medizin an, sie nickt mir verständnisvoll zu. Geschlechtsdysphorie, das haben Leute normalerweise nicht, ich verstehe, normalerweise haben Leute Geschlechtseuphorie, ich nicke zurück. Aber in den Gesichtern der Leute, in denen vieles zu sehen ist, kann ich keine Euphorie erkennen. Vielleicht sollte ich die Medizin fragen, hier auf dem Friedhof ist ja niemand, Entschuldigung, aber, würde ich einsetzen, wie euphorisch sind Sie denn über Ihr Geschlecht?

Ich setze mich auf eine Bank, die Zeche liegt mir im Rücken. Ich schaffe es, sie für einen Moment zu vergessen und denke an die Dinge, die ich jetzt zu sehen beginne, das heißt, die Kanten, die jetzt überall hervorragen, wo sonst glatte, runde Flächen waren. Und an die Hormontherapie. Daran, dass sie schenken, aber nicht ungeschehen machen kann. Geben, aber nicht nehmen.

Sie gibt Haare, aber nimmt keine. Sie gibt Brüste, aber nimmt sie nicht. Sie bricht deine Stimme, aber kann sie nicht zusammen fügen. Sie gibt dir die Erfahrung, auf der Straße beleidigt zu werden, auf der Straße Komplimente zu bekommen, aber nimmt dir nicht die Mauer im Hof deiner Kindheit, gegen die du immer und immer wieder den Ball geschossen hast.

Ich hole mein Handy raus, ich habe eine SMS von meiner Mutter. Sie schreibt: Hoppy ist tot.

Dieter „Hoppy“ Kurat führte nach seiner aktiven Karriere eine Kneipe in Holzwickede, an der Grenze zu Dortmund, in der Nähe des Flughafens. Ich besuchte ihn in dieser Kneipe, für ein Schulprojekt, ein Buch mit dem Titel „Fußballlegenden aus dem Ruhrgebiet“. Ich war 13, ich hatte Fragen vorbereitet, sie waren chronologisch an seiner Biographie, seiner Karriere orientiert.

In meiner Erinnerung sitze ich mit ihm an einem massiven Holztisch, die Kneipe war noch geschlossen, Tageslicht fiel herein. Ich habe mit einem Tonbandgerät alles auf eine kleine Kassette aufgenommen und meine Mutter hat mir später mit dem Transkribieren geholfen. Das ist alles.

Aber jetzt berührt mich der Kitsch, wenn ich daran denke, wie Hoppy erzählt hat, dass sie als Kinder die Trümmer vom Platz räumten, bevor sie spielten, wie sie versuchten, die Fläche wieder zu glätten, manchmal stelle ich mir auch vor, dass sie um die Trümmer herum gedribbelt sind. Das war bevor er beim BVB spielte, beim FC Merkur, in der Nordstadt, dessen Platz ich jeden Tag, wenn ich an der Lortzingstraße aus der Straßenbahn aussteige hinter dem Netto sehen kann.

Hoppy hatte eine Erinnerungswand in seiner Kneipe, die Kneipe heißt, jetzt fällt es mir wieder ein, Hoppys Treff, und die Wand war voller SchwarzWeißFotos, Zeitungsartikel und bunter Wimpel von Vereinen aus ganz Europa. Wir saßen am Ende des Interviews vor dieser Wand und machten ein Foto und Hoppy legte seinen Arm um mich und ich meinen Arm um Hoppy, diese männliche Geste des füreinander Einstehens, wie sie die Mannschaften vor dem Spiel manchmal aufführten, aber sie schien nicht ganz zu funktionieren, unsere Körper waren so unterschiedlich, sein Körper alt und breit und meiner schmal und verunsichert. Aber wir machten das Foto, obwohl es uns nur halb gelang, unsere Körper mit den Armen zu verschränken, und ich nahm es mit in mein Buch. Auch gegen meinen Großvater hatte Hoppy gespielt. „Der hatte ein Motto“ sagte er mir. „Gewinnen oder Blut am Pfosten“.

Im Sport gehört unser Körper uns und tut, was wir ihm sagen. Wir führen den Ball eng am Fuß und lassen mit einer Körpertäuschung die spitz zulaufenden Stollen des Verteidigers ins Leere grätschen. Und da ist keine Vorstellung von Geschlecht, die wir nie einholen können; wir, der Ball und unser Körper sind eins. So dribbeln wir zwischen den Trümmern.

Wieder Zuhause mache ich mir einen Kaffee, oder lese einen Artikel, lese von trans Schülerinnen, die gesetzlich verpflichtet sind, am Sportunterricht für Jungs teilzunehmen. Dies könnte in Zukunft mit sogenannten „Genitalkontrollen“ sichergestellt werden. Als Begründung werden „Sicherheitsbedenken“ angegeben.

Ich schließe alle Tabs und öffne den Entwurf meiner Mail an Jay. Lieber Jay, schreibe ich, kennst du Jay Hulme? Er ist Lyriker und schreibt viel bei Twitter über mittelalterliche Kathedralen. Sein Interesse für diese alten Gebäude begründete er einmal damit, dass ihre Architektur ihn an die Körper von trans Menschen erinnert, ihre verschiedenen Teile, aus verschiedenen Epochen, in verschiedenen Stilen, aus denen sich eine Gegenwart zusammensetzt, die von niemals beabsichtigter Schönheit ist.

Dieser Gedanke von Hulme hat mich daran erinnert, dass ich mich schon immer für das Sichverändern von Orten interessiert habe. Anders: Wenn ich sage, ein Ort sei schön, oder laut, oder komisch, dann setze ich immer eine Grundexistenz von Ort voraus, die Welt wäre dann eine Ansammlung von Orten, die einfach da sind. Dabei sind sie erst geworden, und waren so wie sie heute sind niemals vorhersehbar. Noch anders: Orte sind nicht wie Körper, Orte können verschwinden. Als ich aus Leeds wiederkam, war ich bei einer Wohnungsbesichtigung in der Nähe der Westfalenhütte, einer ehemaligen Stahlfabrik. Gegenüber von dem Haus, in dem ich die Wohnung ansah, war eine drei Meter hohe Mauer aus rotem Ziegelstein, voll von Efeu und Graffiti. Die Wohnung lag im dritten Stock, so konnte ich hinter die Mauer schauen. Nur war hinter der Mauer nichts. Ich sah aus dem Fenster, ein Makler erklärte mir, dass man viel vorhabe in der Nordstadt, hier solle sich vieles ändern. Ich wusste in dem Moment nicht, dass die letzten Fabrikhallen erst vor wenigen Wochen abgerissen worden waren. Da war nichts, nur lehmfarbige Erde, ein paar Steine, ein paar Pfützen. Jetzt soll ein neues „Wohnquartier“ auf dem Gebiet der alten Westfalenhütte entstehen. Ein Ort wurde ein Nichts wird ein neuer Ort werden.

Lieber Jay, oder verändert sich nur der Blick? Vor einiger Zeit habe ich an dich gedacht, ich rief mir dein Bild vor Augen. Und sah dich plötzlich ganz anders. Der Text deines Körpers war wie neu. Ich hatte meinen Blick verändert, jetzt sah ich den Körper des trans Manns, und sah auch die Schönheit dieses Körpers.

Ich speicherte den Entwurf, wissend, dass ich die Mail nicht würde abschicken können.

Die Transition kann geben, aber nicht nehmen. Sie gibt dir einen Ort, aber nimmt nicht die Ortslosigkeit.


Echte Empathie

Schlagzeile: Krieg in der Ukraine. Schwerer Luftangriff auf eine Schule.

Ich mag die Farben der Flagge nicht wirklich. Der Kontrast wirkt beunruhigend. Kontraste sind für mich wie ein morgendliches, unergründliches Nervositätsgefühl; ich hasse die Schere bei Schere Stein Papier; ich hasste sie schon immer. Ich mag Graustufen, Sepiatöne; opioide Verschmelzungsphänomene, gleichgültiges ineinander übergehen; ich mag Smoothies; Müsli, wenn es für geraumer Zeit schon in der Milch schwimmt und sich hergibt, die farbliche Veränderung der Flüssigkeit; ich mag sehr langsamen Sex; Ich verstehe nicht, warum Google das Design seines Logos so infantil gestaltet hat; diese volkschulartige Verwendung von Farben; der Font ist auch nicht mit Bedacht gewählt; vielleicht passieren solche Dinge nun mal in der hastigen Frühphase eines Unternehmens, Kinderkrankheiten sozusagen, aber eigentlich gibt es da nichts zu verstehen, man kann ja auch nicht behaupten, der Name „Google“, „Googie“ „Gugl“, wäre seriös, das fügt sich dann halt alles, neoliberale Infantilisierungsfutter, man müsste ja noch Ernst finden können wenn man irgendwo hinschaut in dieser Welt. Bei Apple: Ein abgebissener Apfel, wenigstens elegant irgendwie, vielleicht erotisch, man könnte sich ja vorstellen, es wären laszive Frauenlippen gewesen, die da an der Haut des Apfels waren, dieser süße, saure Saft dieses Ursymbols für Fruchtbarkeit wäre an einem ästhetischen, zarten Kinn heruntergeronnen, ok. Milky Way hat ein scheiß Logo. Man muss dazu nichts erklären. Jeder Mensch mit einem Bewusstsein für Schönheit sollte sowas erkennen. Wer sind eigentlich berühmte Ukrainer beziehungsweise Ukrainerinnen – aja, Klitschko – aber außer dem – gibt es noch irgendwelche Ukrainer*innen, die ich kenne? Fein, ich gendere sogar wenn ich denke. Ich bin links.

Schlagzeile: Krieg in der Ukraine: Flucht vor den russischen Horden.

Ich mag das Wort Horde. Horrrrddddee. Horde. Es gibt nicht so viele Wörter, die so sind wie dieses Wort. Ich mag auch das Wort Germ – „Germ Knödel knöö“ oder „Schrott“. Das Wort Flucht beunruhigt mich. Wenn ich mich mit meinem Psychotherapeuten über dieses Wort „Flucht“ austauschen würde, dann würden wir, glaube ich, herausfinden, dass es in mir nur auf spezifische Art und Weise Gefühle von Gefahr und Angst hervorruft. Also nämlich nicht die Kälte und die Hitze und die Probleme mit dem Essen, natürlich, das sind existentielle Probleme, aber das führt ja auch zu einem existentiellen Zusammensein, also mit den anderen Flüchtlingen und der Familie und den Freunden und man hätte vielleicht gar keine Zeit dazu seine Bindungen zu hinterfragen, vielleicht kommt es ja zu einer innigen Solidarität, zu einem Oxytocin Fest, ich meine, ich weiß, dass es nicht so ist, dass das alles katastrophal und traumatisch ist, aber im Kontext der Narrativen, die ich im Kontext meiner Psyche erstelle, dann ist alles viel wärmer wenn man gemeinsam auf der Flucht ist. Die Flucht, wie sie von den meisten Menschen wahrscheinlich verstanden wird, wühlt mich nicht auf. Ganz innerlich beunruhigt mich als Individuum spezifisch der Moment der Trennung, also wenn Verwandte noch dort sind oder sterben oder gezwungen sind, eine andere Route zu nehmen, als man selbst. Und kurioserweise beschäftigt mich ganz enorm das „geflohen werden“ – die Angst davor, dass Land, der Boden, der Grund, die Stadt, der Staat zu sein, dem man entflieht, das Kriegsgebiet als „Ich“, als Person, dass man allein gelassen wird, mit den Bomben- und Stahlgewittern, die in einem wüten. Ich glaube, das hat etwas mit Verlustangst zu tun.

Schlagzeile: Zerstörung in der Ukraine – die Menschen leiden

Ich stelle mir beim Essen vor, dass jedes Lebensmittel, dass ich esse, mit übertriebener Sorgfalt, einer ganzen Geschichte von menschenerdachter Qualität – Traditionslinien – Hoffnungsträger – Familien – Rezepte wie Verfassungen, Rezepte als a priori ganzer Bindungsgeschichten – produziert werden. Dabei denke ich auch an billige, ungesunde, massenhaft produzierte Lebensmittel. Mit diesem Trick erlaube ich mir, jede Mahlzeit wie eine Delikatesse einnehmen zu können. Visuell sehe ich einen Film der einer Werbung ähnelt: Bei jedem Bissen wird eine andere Zutat imaginiert, rinnende Schokolade, gesammelte Beeren, zuneigungsvoll, sinnlich, marinierte Steaks. Praktisch ist es so, dass wenn ich zum Beispiel Snickers esse, ich mir vorstelle, dass der Chef oder was auch immer von Snickers liebend, liebend, darüber spricht, wie bedacht die Geschmackskomposition zusammengestellt wurde, wie wichtig die Kombination der Schokolade mit den Nüssen ist, und so weiter, ähnlich wie in einer Kochsendung oder Dokumentation, und dann schmeckt das Snickers auch wie eine Delikatesse (Leider wirkt das Logo zu imperialistisch, zu industriell, aber man kann es trotzdem ansehen. Das Braun in der Gestaltung der Verpackung kompensiert auch die, an und für sich, abstoßenden amerikanischen Farben des Logos). Und ich will, dass alles, was ich esse, oder alles was ich fressen muss, wie eine Delikatesse schmeckt. Her mit dem schönen Leben.

Aber ja die Ukraine Schlagzeile. Bilderbuch ist bei einem Benefizkonzert. Buntspecht ist bei einem Benefizkonzert. Bilderbuch Buntspecht Benefizkonzert. Das ist eine Alliteration. Unangenehme Farben.

Schlagzeile: Türkei überfällt kurdische Gebiete im Nordosten Syriens

Das ganze Leid kann man allein nicht ertragen. Man muss es nicht allein ertragen. Man sollte es nicht allein ertragen. Man sollte es nicht allein ertragen müssen. Deswegen melde ich mich sofort bei meinen Freund*innen, Bekannten und bei meiner Familie. Mein Puls eilt, mein Kiefer knirscht, ich sehe diese Menschen in meinem Unterbauch, ich spüre diese Menschen zwischen meinen Gedärmen, jede einzelne Person, jedes einzelne Schicksal, mir wird übel. Wenn euch dabei nicht übel wird – ich würde euch es übelnehmen. Ich werde wütend über die Leute, die unbeirrt ihren Tagesabläufen nachgehen. Ich werde wütend über meine Machtlosigkeit. Es soll eine Demo geben. Ich wäre wütend, wenn meine Freunde nicht mitkommen. Ich verstehe nicht warum sich alle mit profanem Alltag beschäftigen. Ich schaffe es nicht, meinen Toast zu schlucken. Ich schreibe eine Nachricht: Dieser Krieg betrifft uns alle – es ist ein Krieg gegen die Menschlichkeit. Wir rufen nicht umsonst bei jeder anderen Demo auch „Hoch die internationale Solidarität“. Die Menschen dort leiden und wer sich als politisch-bewusster Mensch versteht, leidet mit. Am Sonntag ist eine Demo am Karlsplatz um 17:00.

Wer Integrität hat, leidet mit.
Wer schweigt,
macht mit.
Ich schweige nicht
Ich glaube
  Ich denke,
    ich glaube
      ich denke
        mit


Ein gemeinsamer Gedanke

In jenem Zug
War nicht einmal jeder Platz besetzt
Aber dennoch war der Zug
Übervoll mit der Vergangenheit der Menschen
Die sich ausdehnte
Und mit sich selbst konkurrierte

Als ich in den Speisewagen wollte
Fühlte sich das egoistisch an
Auf meinem Weg durch den schwankenden Zug
Stolperte ich über Schicksale
Und versuchte, nicht hinzusehen
Es fühlte sich falsch an

Nur meine Gedanken zu denken
Meine Sehnsucht war
An den Gedanken der anderen bloß teilzunehmen
Vielleicht mit ihnen gemeinsam
Einen großen Gedanken zu denken
Der alle gemeinsam
An ein Ziel bringen könnte


Externe Turbulenzen

Vor gar nicht allzu langer Zeit wurde es ernst für Herrn Bübchen. Die stets bienenfleißige Firmenbelegschaft war zu einer noch nie da gewesenen Lobpreisung ihres Brötchengebers eingeladen. Geschäftserfolg gehört ja adäquat zelebriert. Ja, dann ab zum Chinesen. Der pure Luxus! Somit wurde am Schwarzen Brett ein zünftig rauschendes All-In-GMBH-Fest samt illustrer Gästeschar angekündigt. Inklusive besagtem Waldemar Bübchen. Diesen zieren des Öfteren wildkirschrote Pausbacken. Boshafte Bemerkungen darüber, welcher Art auch immer, sind hier unerwünscht. Apropos: 2 Majuskeln von GMBH, nämlich B + H, stehen sittsam, prüde und wohlerzogen in »Reih & Glied«. Also bitte keine falschen Hoffnungen machen.

Gleich zu Beginn wurde handelsüblicher Fusel, Pardon, 1 Begrüßungsschnäpschen kredenzt. Herrn Bübchen, welchen der Alkohol bisher nie frohlocken ließ, musste sich auch einen hinter die Binde kippen. Noch während alle Bestellungen aufgenommen wurden und mittlerweile das x-te Bier auf den Tischen stand, fiel unser Protagonist aus der Rolle. Er unterbrach die kollektive Hopfentee-Verkostung jäh. Auch ohne technischen Schnickschnack veröffentlichte Waldemar im hintersten Winkel zwei Salon-Rülpser, welche ihresgleichen suchen. Dutzende Blicke nahmen ihn schlagartig ins Visier. Blankes Entsetzen unter allen Anwesenden ob des üblen Trommelfellterrors, wich sichtlicher Anerkennung, denn solch ein Wildwest-Stakkato dringt äußerst selten bis zu den Lauschlappen vor. Deshalb mündete das »a cappella Konzert« aus Bübchens famos geöltem Rachen in einen tosenden Applaus. Dann knallten zig Korken! P.S.: Der Ton macht die Musik (eiserne Regel aus dem imaginären Bäuerchen-Almanach).

Kurz darauf erfüllten erquicktes Schmatzen und Schlürfen den Raum. Da es nichts kostete, war das Gesindel viel hungriger als üblich. Edle Tropfen schossen derweil durch die durstigen Kehlen der Bagage, während einige Arbeitskollegen Herrn Bübchen zum Thema Feuerwasser aufklärten. Denn jedwede Freude ohne Alkohol ist künstlich, folgerten sie am Schluss ihres Schnapsdrosselreferats. Unisono plumpste irgendein Bürohengst vom Sessel. Das Angebot, einen Kindersitz zu bringen, lehnte dieser nuschelnd ab. Der ist ja total besoffen, tönte es aus Waldemars Mund, um unmittelbar hernach mehrere inbrünstige Laute vom Stapel zu lassen. Statt jenem üblicherweise stummen Rufzeichen am Satzende überraschte er alle mit zwei, drei verwilderten »hicks«. Doch ehe sein Boss böse schauen konnte, zollte man ihm wegen der perfekten B-Note vollen Respekt. Stehende Ovationen! Und Bübchen verneigte sich artig. P.S.: Im Wein liegt die Wahrheit (zeitloser Spruch vom Philosophen Riesling, dem Härteren).

Nach äußerst delikater Miso-Suppe kam scharf gewürztes Huhn auf den Tisch. Da langte der lammfromme Waldemar, welcher indessen durch seine roten Augen plus bierseligem Grinsen auffiel, tüchtig zu. Als erwachsenes Söhnchen von Muttchen war er an üppige Portionen und Schlemmereien gewöhnt. Tja, solchermaßen gut verköstigt, wollte der Firmenneuzugang die Kollegenschaft spontan verzücken. Voller Coolness stand Bübchen auf, hob sein Weinglas und komponierte in f-Moll: Liebe Kollegen! Dann zündete er eine Bombe. Dieser folgte jene Wolke, welche das Gütesiegel »Wildkräuteraroma aus dem Popo-Ressort« trug. Nach langem Innehalten und ziemlich ernsten Suizidfantasien stimmten alle Halleluja-Choräle an, bevor die Welle rollte. Ja,

Herr Bübchen überzeugte jedermann. Nebenbei fielen ein paar Kollegen auf, welche besonders laut grunzten. Jene Spacken wurden bald von ihren Hausdrachen abgeführt. P.S.: Reisende soll man nicht aufhalten (allgemeine Binsenweisheit bei Flatulenzen).

Dann folgten etliche Runden Reisschnaps, welche den Mob musisch stimmte. Während sich mehrere Illuminierte der Luftgitarre hingaben, sangen andere Reibeisenmelodien. Zwei, drei Headbanger komplettierten das Brimborium. Den Luftgitarristen fehlte jedoch schon bald die Puste, sie mussten ihren Auftritt zeitnah beenden. Besagte Kopfjongleure folgten exakt deren Beispiel, da alle von kapitalen Schwächeanfällen heimgesucht wurden. Letztlich wollten die Verbliebenen aufbrechen. Deswegen wurde Herr Bübchen um ein Schlusswort gebeten. Dem Alphabet zufolge verstand ihn keiner so recht, denn seiner bleiernen Zunge fehlte die nötige Wildheit. Aber dessen herumfuchtelnde Arme verstanden ihr Handwerk. Durch plakatives Augenrollen erntete er häufiges Kopfnicken, obwohl niemand wusste, worum es eigentlich ging. Nochmals setzte frenetischer Beifall ein, untermalt vom Klang unzähliger Kastagnetten. P.S.: Erstens kommt es anders, zweitens als man denkt (stand in Waldemars Glückskeks).

Von Frischluftmolekülen geohrfeigt und vom Verlust der Muttersprache gebeutelt, schwankte besagter Bübchen heimwärts. Schiefe Bürgersteige, Hausmauerattacken sowie »Bröckchen lachen«, gesellten sich bald hinzu. Zur Krönung spielte er dann noch die Hauptrolle in seinem Hollywood-reifen Kampf mit dem torkelnden Schlüsselloch. Zu guter Letzt musste der ansonsten stets gesittete Waldemar strammstehen, denn sein Muttchen war fuchsteufelswild. Infolgedessen setzte es für ihr Söhnchen eine gesalzene Moralpredigt, welche sie mit etlichen »Habt Acht« spickte. Dann erfolgte die Pyjama-Ausgabe, ehe ihm seine Chefin noch jenen Leckerbissen servierte, den Klassiker schlechthin – Marsch ins Bett! Ja, wenn es Mutti sagt …


Gedichte

#1

Sie krochen, ziehend,
schleifend,
mit Hundehecheln.

Sie waberten im Takt
meiner Pulsmelodie.

Und ich wollte nicht,
dass sie blieben,
wollte sogar der Nacht
ihre Schatten austreiben.

Aber was zählte das schon?

 

#2

geld vergeht
liebe vergeht
unkraut nicht
für die winzigkeit eines moments
habe ich dich heute gesehen
dachte ich,
nachdem ich suchend umherlief
viele male
oft kreiselnd
suchend nach unkrautvernichter,
pflanzenschutzmittel
4,95€ die flasche
erschwinglich
dann sah ich dich nicht,
die wurzeln regten sich
ohne ihre abgerissenen enden
rührend
gefühle, die nicht waren,
nicht werden
gewesen sein
bloß unkraut
bloß
geld vergeht
liebe auch
unkraut vergeht
zeit
hoffentlich


In der Welt verstecken

Das Handy, das er vor sich auf dem Tisch neben dem Buch, in dem er liest, liegen hat, vibriert, reißt ihn aus dem Lesefluss, was ihn ärgert, und verlangt mit seinem aufleuchtenden Bildschirm nach Aufmerksamkeit, die er ihm reflexartig gibt, was ihn gleich darauf noch mehr ärgert, liest er doch da, dass ein Mail eingegangen ist, von einer Frau, von der er schon seit Jahren nichts mehr gehört hat, und er weiß, dass es damit mit dem Lesen vorbei ist, dass er jetzt erst recht abgelenkt ist, dass er, bevor er das Mail nicht liest, an nichts anderes mehr denken wird können, als an das, was sie will, was in dem Mail steht, was ihr scheinbar so wichtig ist, dass sie ihn gegoogelt hat, um seine Mailadresse herauszufinden, die er schließlich noch nicht so lange verwendet, wie er die Frau schon nicht gesehen hat, was schon knapp zehn Jahre her sein muss, und erst knappe fünf Jahre ist es her, dass er aufgegeben hat, nach ihr zu suchen, akzeptiert hat, dass sie nicht gefunden werden will – zumindest nicht von ihm – und ein neues Leben angefangen hat; ihn somit zwang, auch ein neues Leben anzufangen, was er vor fünf Jahren dann auch tat – samt neuer E-Mailadresse, bedingt durch seinen neuen Arbeitsplatz; beim alten wollten sie ihn nicht mehr, nachdem es ihm schlecht gegangen war –, nur damit nun sie Kontakt zu ihm aufnimmt, was ihn – so viel Weitsicht, wenn auch keinen Durchblick, denn er versteht genauso wenig, warum sie ihm schreibt, wie er damals verstanden hat, warum sie gegangen ist, hat er – nicht nur aus dem Lesefluss gerissen hat, sondern auch, wenn er nicht aufpasst, aus dem Lebensfluss, der bis gerade noch ruhig und stetig floss, reißen wird, ihn in Grübeleien und Ängste und Gefühlsduseleien stoßen wird – ihn, der sich, so fühlt es sich jedenfalls an, gerade erst zu einem ruhigen, gesetzten, wenn auch nicht glücklichen, jedoch wenigstens zufriedenen Mann entwickelt hat; einem Mann ohne grobe Probleme, dessen größter Aufwand im Leben die Steuererklärung ist, der einen Job mit Aufstiegschancen hat, der letzte Woche zum dritten Mal mit derselben Kollegin zu Abend gegessen hat und hofft, das diese Woche zu wiederholen, sich für dieses Unterfangen auch recht gute Chancen ausmalt; ihn, der eine schöne Wohnung mit Balkon hat (in die er die Kollegin diese Woche nach dem Abendessen einladen wird, und sich auch dabei gute Chancen ausrechnet), in einer Straße, am Rande der Stadt, fast schon am Land, wo kleine Vögelchen, deren Namen er nicht weiß, denen er aber trotzdem ein Futterhaus im Winter und einen Brutkasten im Sommer aufhängt, ihn singend wecken; ihn, der den Alkohol aufgegeben hat; ihn, der freitagabends mit alten und neuen Freunden feiern geht oder sie zu sich einlädt und sich an den restlichen Wochentagen meistens zu Hause etwas kocht und das genauso genießt; ihn, der seine Freizeit, wenn er sie allein verbringt, meist mit Büchern füllt, die er verschlingt und abends immer noch Tabletten zum Einschlafen braucht, da er sonst die Nacht durchlesen muss, um nicht denken zu müssen (wobei das eine Verbesserung ist, hat doch früher der Alkohol sowohl die Funktion des Lesens als auch die der Tabletten innegehabt) –, ihn wieder in die Strudel saugen wird, die seine Jugend waren, in die Wirrnis, die seine Erinnerung an diese Zeit darstellt, und die er nicht nochmal durchleben möchte, wie er vor fünf Jahren beschlossen hat, an deren Anfang er ein Wrack war, das in irgendwelche Untiefen gesunken ist, das erst langsam wieder geborgen und, schlussendlich, wieder repariert werden konnte, nur damit nun dieses Mail, das er sich immer noch nicht traut, zu öffnen, wie eine Kanonenkugel angeflogen kommt, um erneut ein Loch in den gerade geflickten Bug zu reißen, nur damit alles wieder von neuem losgehen kann; doch weiß er es diesmal besser, er wird dieses Mail einfach nicht öffnen, sie ignorieren, die Kanonenkugel, ohne Schaden zu verursachen, vorbeifliegen lassen, damit sie irgendwo im Meer versinkt, und sie vergessen, und sie wird es verstehen, ihn in Ruhe lassen, sie wird es richtig deuten, dieses Ignorieren, sie ist ja nicht dumm, sie wird ihm nie wieder schreiben und ihm auch nicht irgendwo auflauern, ihn gar in der Arbeit besuchen, so etwas würde doch niemand machen, abgesehen von ihr vielleicht, denn an sich ist er auch immer davon ausgegangen, dass niemand einfach so, sang- und klanglos verschwindet (wobei, so ganz ohne Sang oder Klang war es ja gar nicht: einen Brief hat sie ihm hinterlassen, in dem sie ihn bat, nicht nach ihr zu suchen, sonst hätte er ja auch davon ausgehen können, dass sie entführt worden war oder ähnliches, womit er besser klar gekommen wäre als damit, dass sie aus freien Stücken weggegangen ist, einfach weg von ihm oder zu jemand anderem wollte, wie er sich eingestehen muss), und doch hat sie genau das getan, warum sollte sie nicht auch hier mit allem brechen, was einem normalen Menschen der gesunde Menschenverstand diktieren würde, was Empathie diktieren würde, schließlich muss sie sich doch im Klaren darüber sein, dass sie ihn verletzt hat und dass sein Meiden nur bewusst geschehen kann, und er sie nie wieder sehen will, genau wie, als sie ihn gemieden, beziehungsweise sich in der Welt versteckt hat, er nach einer Zeit richtigerweise eingesehen hat, dass es nichts nutzt, nach ihr zu suchen. Er steht auf, sieht aus dem Fenster auf den Balkon, wo eine Amsel, die die Samen und Nüsse, die er in das Futterhäuschen gestreut hat, aufpickt, seine Aufmerksamkeit kurz in Anspruch nimmt und ihn sich fragen lässt, wie der Name dieses Tieres mit dem leuchtend-orangenen Schnabel wohl lautet, nur um den Blick von der dürren Winterlandschaft abwendend wieder auf das laut liegende Handy fallen zu lassen und die kurze Rührung, die der dankbar wirkende Vogel in ihm ausgelöst hat, wieder vergessen zu machen und er kann sich gerade noch daran hindern, auf das Handy zuzustürzen, es anzuschalten und zu lesen, was sie geschrieben hat, sondern den Sturz an Handy und Tisch vorbei Richtung Tür lenken, sich seinen Mantel überwerfen und sich aus der Situation entfernen, wie sein Therapeut gesagt hätte, wie ihm jetzt einfällt und ihn ruhiger werden lässt, Atemübungen machen lässt, die er auch von dem Therapeuten hat, sich nach links wenden und in den nächstgelegen Park spazieren lässt, da Bewegung an der frischen Luft und Grün die Laune hebt, wie sein Therapeut immer sagt und sich auf die Suche nach weiteren orange-beschnäbelten schwarz-gefiederten Vögelchen machen lässt, da er selbst gemerkt hat, dass ihn das Tier ruhiger gemacht hat – schon der Gedanke an das Hüpfen des Tieres lässt ihn lächeln und beschließen, zu Hause im Internet in irgendeiner Vogeldatenbank herauszufinden, wie das Tierchen wohl heißt und ob man es anlocken oder selbst finden kann, im Park zum Beispiel, wohin er immer noch auf dem Weg ist, mechanisch, bei Rot stehen bleibend, bei Grün gehend, ohne darüber nachzudenken; er kennt den Weg, geht ihn oft, ist ihn auch früher oft gegangen, zusammen mit ihr; naja, vielleicht wird die Kollegin auch gerne spazieren gehen; dann wäre er nicht so allein, müsste sich nicht darum kümmern, wie irgendwelche Viecher heißen, mit denen man sich sowieso nicht unterhalten kann, die einem nur noch bewusster machen, wie allein man eigentlich ist – denn wie einsam muss einer, der sich nichts, aber auch rein gar nichts aus Vögeln macht, sein, um plötzlich an einem davon interessiert zu sein, sogar seinen Namen herausfinden will? – und sich den Schädel noch dringender einschlagen will, weil sie einfach fort gegangen ist, nur den dummen Brief hinterlassend, ihn wirklich nicht mehr sehen wollend, wo er ihr doch nie etwas getan hat; ganz im Gegenteil: wo er doch – seiner Auffassung nach – ein vorbildlicher Partner war – liebevoll, rücksichtsvoll, humorvoll – und so etwas, so behandelt zu werden, nicht verdient hat. Schon ist das beruhigende, Atem-verlangsamende Grün um ihn herum, aber statt den erhofften Orangeschnäblern sieht er Menschen, die ihn wiederrum beunruhigen, kommen sie ihm doch seltsam bekannt vor und er begreift schnell, Sekundenbruchteile sind lang dagegen, so schnell begreift er, doch die Winzigkeit an Zeit, die vergeht, zwischen dem Sehen und dem Begreifen, reicht aus, um ihn schwindelnd zu machen; er fühlt sich, als wäre sein Hirn auf eine Singularität zusammengepresst worden, einen Punkt ohne Ausdehnung, in dem Zeit und Raum eins werden und der nur aus diesem bekannten Gesicht besteht, das ihm von jedem entgegenkommenden Kopf herunter oder herauf anstarrt, lächelnd, weinend, schmachtend; schlicht in allen Ausdrücken, in denen er das Gesicht schon gesehen hat und er fällt zu Boden, die Singularität explodiert, dehnt sich aus, ein Universum aus diesem Gesicht formend und er schwebt durch dieses Universum hindurch und weiß, er liegt noch immer am Boden, am Kiesweg, er spürt die Steine unter sich, bemerkt erst jetzt, dass er barfuß außer Haus gegangen ist, sieht, dass da kaum Grün um ihn herum ist, schließlich ist Winter, aber die Menschen, die ihm zu Hilfe eilen haben alle immer noch ihr Gesicht; er sieht sie überall, sein Universum ist sie, und er weiß, wäre er doch zu Hause geblieben, in Sicherheit – statt selbst hinauszugehen hätte er, hätte es ihm weiter keine Ruhe gelassen, das Handy hinauswerfen können, vom Balkon herunter; dort hätte es, gesetzt den Fall, den Sturz überlebt zu haben, weiter Mails empfangen können, von wem auch immer, dort hätte es ein Loch in den Boden vibrieren und sich selbst eingraben können; zumindest er hätte Ruhe gehabt –, bräuchte sich nun keiner um ihn sorgen; er will nicht, dass man sich um ihn sorgt, schließlich ist er schon weiter, seit fünf Jahren braucht sich niemand mehr Gedanken darum machen, wie es ihm geht; es geht ihm doch gut, er hat es überwunden, verkraftet, kann es beiseiteschieben, eigentlich, nur heute nicht, und ausgerechnet heute muss er sich in den Park, unter Leute begeben, die ihm die Rettung rufen werden und ihm sagen werden, dass alles gut würde, und die Rettung würde ihn ins Krankenhaus bringen, und ganz schnell wäre er wieder bei dem Arzt, der immer sagt, es gäbe keinen Brief, dass er sich diesen genauso eingebildet, wie er den Autounfall von seiner Festplatte gelöscht hat, den Brief gewissermaßen an der Stelle des Autounfalls gespeichert hat, wo das eine nun das andere überdeckt, weil es um Welten einfacher ist, sich einzureden, verlassen worden zu sein, wie die Wahrheit zu akzeptieren; der sicherlich auch behaupten würde, dass sie ihm nicht geschrieben hat, heute; dass er sich verlesen haben muss, denn sie lebt schließlich nicht mehr, er war ja schließlich dabei, und er würde das Wort „schließlich“ überstrapazieren, als ob alles so logisch, so schlüssig wäre, schließlich muss er das doch wissen, er hat ja das Auto vor zehn Jahren gelenkt, da sind doch die Narben, schließlich ist doch alles ganz klar, schließlich waren wir doch schonmal weiter, schließlich wäre das kein Problem, hätte er die Medikamente nicht abgesetzt, ohne mit ihm darüber zu reden, wer weiß, wie lang das jetzt dauern wird, bis wir wieder so weit sind. Wir – als ob der Arzt etwas damit zu tun hätte. Und – schließlich – fügt er sich.


Küche #6

Küchenphilosophie in drei Zeilen – die Rubrik für faule Leser* und motivierte Denker*. In dieser Ausgabe:

Performative Widersprüche der Postmoderne
Ein Küchenphilosophie-Spezial

[1]
Postmoderne Akademiker
glauben nicht an Wahrheit,
aber regen sich über Fakenews auf.

[2]
Normative Pluralisten
finden Pluralität allgemein gut,
obwohl sie jeden einenden Wertmaßstab verneinen.

[3]
Gutsituierte Nordhalbkugel-Relativisten
erkennen keine universellen Werte an,
beanspruchen aber die besten Lebensbedingungen.

[4]
Radikale Konstruktivisten
erheben Geltung über die Wirklichkeit,
indem sie Tatsachen grundsätzlich bestreiten.


Die Stadt und die Stadt

Ich bin mit der Bahn in eine kleine Stadt gefahren und durch ihre putzigen Gassen geschlendert, hab sie aber für eine andere Stadt gehalten und bin deshalb ständig gegen Wände, Laternen und andere Passanten gelaufen, in Gräben und Flüsse gefallen, zweimal fast überfahren worden und schließlich in einem kleinen Waldstück gelandet, das eigentlich eine Zahnarztpraxis sein müsste. Da hab ich mich entschieden, diese Verwirrung aufzulösen und sie öffentlich bekanntgegeben. Wie zu vermuten war, konnte ich zu Beginn kaum jemanden überzeugen und bin von den allermeisten vorschnell als Spinner abgestempelt worden. „Dann geh doch in diese andere Stadt, wenn sie so toll ist“, war einer der häufigsten Einwände. Ich hab an meinem Projekt festgehalten und mit weiteren Vorträgen ein paar Leute auf meine Seite bringen können, mit denen ich erste Ecken der Stadt an die Stadt angepasst hab. Das Ganze haben wir, von Anschuldigungen, Protesten und körperlichen Auseinandersetzungen immer wieder unterbrochen, die nächsten Jahre fortgesetzt, bis die Stadt so ausgesehen hat wie die Stadt und ich endlich weiterfahren konnte.

 

Lärm

Gegen Mittag bin ich los. Ich hab die Boxen in den Kofferraum gehievt und bin los. Es war gar nicht weit. Was mich jedes Mal überrascht, weil man ja annimmt, dass diese abgeschotteten Dörfer ganz weit weg sein müssen, aber nicht wirklich, dafür hab ich es schon zu oft gemacht.

Ich bin los, dann hat es angefangen zu regnen. Das ist nie gut. Normalerweise mag ich den Regen, nur nicht bei der Arbeit. Dann hat sie nicht denselben Effekt. Nach einer halben Stunde bin ich angekommen. Als ich die Boxen aus dem Kofferraum gehievt hab, sind drei Kinder aus dem Busch neben mir gestürmt und schreiend über das Feld gerannt. Ich hab die Boxen aufgestellt und dem Mann, den wir kontaktiert hatten, Bescheid gegeben, dass er jetzt bitte alle versammeln soll. Das hat er gemacht, aber nicht sonderlich gründlich, denn es sind nur zehn, zwölf gekommen, und ich weiß, dass dort deutlich mehr Leute wohnen. Ich hab einen letzten Check gemacht und mich an die kleine Gruppe gerichtet: „Ja, hallo, vielen Dank, dass Sie so zahlreich hier erschienen sind“, hab ich angefangen, und dann den üblichen Kram, den wir eben sagen, den ich schon hunderte Mal gesagt hab, wie wichtig es ist, Lärm in seinem Leben zu haben, Lärm als Ausgleich, Lärm als Schutzfunktion, Lärm als soziales Element, Lärm als Werkzeug, und dass sie hinterher gerne das kleine Formular ausfüllen können, das hilft uns immer sehr. Dann hab ich auf Play gedrückt. Nichts ist passiert. Ich hab nochmal drauf gedrückt, dann nochmal draufgedrückt, die Kabel überprüft, aber da hat alles gepasst. Ich wusste, dass mir das schon einmal passiert war, vor vielen Jahren, als ich mit dem Lärmmachen gerade angefangen hatte, konnte mich aber nicht mehr an die genauen Umstände erinnern. Also hab ich eben, nachdem ich es noch ein letztes Mal probiert hab, angefangen zu schreien, und dabei mit einem dicken Ast, der praktischerweise neben mir im Gras gelegen hat, auf den Boxen rumgeklopft, hab auf den Boden gestampft und versucht, sie zum Mitmachen zu animieren, aber sie haben sich nicht überzeugen lassen und weiter regungslos zugeschaut. Das Ganze hab ich etwa zwei Minuten gemacht. Danach war ich ganz schön fertig. „Ja“, hab ich außer Atem gesagt, „vielen Dank“, und eben, dass es normalerweise nicht so laufen sollte, aber manchmal einfach passiert, und mich für ihre Geduld und ihr Interesse bedankt und alles abgebaut und in den Kofferraum gehievt. Kurz hab ich noch den Mann gesucht, den wir kontaktiert hatten, ihn aber nicht mehr gefunden. Dann hab ich mich auf den Rückweg gemacht. Auf der Fahrt ist es mir unfassbar peinlich geworden, und ich hab sogar kurz am Straßenrand angehalten, weil die Erinnerung an meine Aufführung unterträglich geworden ist. Dann bin ich aber doch weiter gefahren, denn es blieb mir ja nichts anderes übrig, und es war ja auch gar nichts Besonderes.

 

Die Prügelei

Normalerweise geh ich nicht zum Bäcker, diesmal schon. Ich wollte ein paar Brötchen und Croissants, vor allem aber wollte ich mal wieder zum Bäcker. Ich bin los, als es unfassbar dolle gestürmt hat, schief geregnet und stechend hell geblitzt und erderschütternd gedonnert, und war schon gut nass, als ich die Tür aufgemacht hab und es gebimmelt hat. Vor mir waren zwei und hinten beim Getränkeautomaten noch ein dritter, von dem ich nicht sicher sagen konnte, ob er anstand oder nicht. Als ich schließlich dran war, hab ich „Hallo, ich hätt gern“ gesagt und musste husten, woraufhin nach nur ein paar Sekunden der Schlägertrupp für Momente, in denen einer an einem regnerischen Tag beim Bäcker hinter zwei, eventuell drei weiteren Parteien ansteht und bei der Bestellung vor dem siebten Wort zu husten anfängt, reingekommen ist. Erst hab ich sie gar nicht erkannt. Dann hab ich einen auf die Fresse bekommen. Ich bin zu Boden gegangen und hab weitere extrem unwahrscheinliche Schläge und Tritte kassiert, aber gar nicht mehr wirklich mitbekommen.

 

Die Karte

Es gibt eine Karte, die dir unsere Stadt zeigt, nicht die ganze Stadt, nur ein paar Straßen in der Nähe des Marktplatzes, aber die zeigt sie dir so genau, dass du sie nicht wieder erkennst, wenn du sie entlangläufst oder auf der Karte siehst, sie zeigt dir, wie sie eigentlich aussehen, und je mehr du hinsiehst, je mehr du erfährst, desto weniger siehst du, denn die Karte, die die Straßen zeigt, zeigt eigentlich nur eine einzige, nicht mal die, bloß den Mülleimer mit der Bank nebendran, auf der ein Mann sitzt und die Karte studiert, sich verwirrt umschaut, wieder auf die Karte guckt, wieder um sich guckt und schließlich erkennt, dass es keinen Ausweg gibt.

 

Der Große

Es gibt einen bei uns in der Nachbarschaft – ich glaub, er heißt Karsten, kann mich aber auch täuschen –, der ist viel größer, als er aussieht. Also, viel, viel größer. Man läuft die Straße lang, um zur Bushaltestelle zu gehen, um ein paar Freunde im Schwimmbad zu treffen, um die Katze zu verscheuchen, die alle anderen Katzen terrorisiert, und läuft gegen ihn. „Hey“, kommt es dann von irgendwo, nur nicht von da, wo man gerade ist. „Tschuldigung“, murmel ich, seh mich um, obwohl ich schon weiß, dass mir das nichts bringen wird, und die Katze ist verschwunden. Ich lauf zurück zum Haus, immer schön vorsichtig, nicht nochmal gegen Karsten zu laufen, aber er ist schon längst weg.

 

Scheiße

Erst war es nur ein weißer Striemen, ein roter Fleck, ein Juckreiz. Ich hab Panik bekommen und gedacht, ich krieg wieder Borreliose, dann ist ohne wirklichen Grund auf einmal ein kleines Stück Scheiße aus meiner Handfläche gequillt, was seltsam ist, weil mittlerweile weiß ich, dass es mit dem Druck zusammenhängt, den man auf die Hand ausübt oder eben nicht. Natürlich hab ich nicht gleich verstanden, dass das Scheiße ist. Ich hab die kleine braune Masse weggeschnipst und sie ist hinter der Couch gelandet. Als ich sie vorhin gesucht hab, aus mehr oder weniger nostalgischen Gründen, hab ich sie nicht gefunden. Es ist schon unangenehm. Kann man nicht anders sagen. Die Sache selbst, wenn also die Scheiße aus meiner Hand kommt, ist erstaunlich angenehm, diese Art von Drücken und Stechen und Kitzeln, die wirklich gut tut. Der Rest eher nicht so. Man findet sich zwar damit ab, aber da bleibt etwas, an das sich nicht zu gewöhnen ist. Wenn wir uns am Mittelkreis aufstellen, der Gegner an uns vorbeiläuft und wir alle Hände schütteln und „Gutes Spiel, gutes Spiel“ sagen und mir auf einmal die braune Suppe aus der Hand läuft und einer deshalb richtig aggressiv wird, dann, dann sind das diese Momente.

 

Der Kommentator

Es gibt einen Mann in unserer Straße, der jedes Mal, wenn jemand hinfällt – meistens sind es Kinder –, zu der Person hingeht und sagt: „Jetzt bist du hingefallen“. Während ich hier aufgewachsen bin, hat er mir das bestimmt fünfzehnmal gesagt, und jedes Mal bin ich richtig pissig geworden. Warum sagst du mir das, hab ich mir gedacht, ja, ich bin hingefallen, ich seh’s selber, es tut weh, es wird mir eine Lektion sein, aber warum sagst du mir das, was soll das, es aber, wenn ich mich richtig erinnere, nie gesagt. Und das ist auch gut so, denn mittlerweile versteh ich, warum er das sagt.


Leben leben

Ein großer Gesang gellt auf über
dem Aquarium in Schwärmen fliehen Fliederfische
verschwärzen verschmerzen Oktaven in Oktopusherzen
versilbern Silben auf Skalarhaut verstummen
bei Lichtjagd in aphrodisierenden Reflektionen
Melismen mäandern in rosa Wellen
keimt kleines Leben in Laternenträgerkiemen
Blasen werfen sich kryptisch auf Sütterlin
im Ziersand zischen die Böen besingen
den Falken in wachsenden Ringen
metamorphosiert er zum großen
„Ich weiß nicht“


Es ist schon wieder hell geworden
Aber dieser Morgen begann vor vielen Jahren
Als die Zeit
Noch für mich zuständig war

Es ist, als bräuchte ich jetzt einen Anhaltspunkt
Es ist, als wäre ich mit meiner eigenen Erzählung
Zu weit gegangen
Und müsste jetzt etwas tun
Das ich bereuen kann
Um dann
Neu zu beginnen


Nur damit du weißt

Wenn du hier kurz stehen bleibst, siehst du da am Ende der Straße den Bahnhof. Da gab es, als ich noch klein war, am Seiteneingang eine Modelleisenbahn im Glaskasten. Da konnt ich mir immer gut vorstellen wo ich bin. Der Zug ist in den Berg gefahren und kam dann doch wieder raus. Man musste Geld einwerfen und es waren wohl schon Euros. Aber wir haben nur jemanden abgeholt – Papa vielleicht – ich bin nicht gefahren. Da siehst du mich ganz klein, aber ich bin auch in älter in dem Bahnhof. Wie ich ein Freund zum Gleis 6 bring und wir verabschieden uns und ich weiß gar nicht, dass es für immer ist. „Mach’s gut!“ oder „Gute Reise!“. Jetzt guck mal durch die Flucht, da rechts! Die Barock-Kirche da, ist Stift Haug. Da bin ich hinterm Altar und sing im Schulchor. Es gab den Messias vom Händel und im Bass reicht Brummen völlig aus. Ah, da fährt die 552 vor und ich steig aus. Wir wollen ins Boot, aber ich muss erst noch Wodka und Brause vor Stift Haug kotzen. Komm, nochmal zum Bahnhof: Da rechts überm Cafè Kiess wohnt ein alter Freund, auf den ich mich immer verlassen kann und gegenüber ist der Kupsch. Da treff ich grad wieder zufällig das Mädchen ohne Namen und trau mich doch nicht. Aber sie ja auch nicht. Ich kram da am Eingang extra lang damit wir ja gleichzeitig aus dem Laden gehen. Aber, wenn wir uns umdrehen, da zur Theaterstraße, am Main-Döner, da gabs dann zwei Wochen später zumindest ein „Hallo“. Und wenn wir da weitergehen würden, dann wär da rechts der Omnibus, wo ich grad auf der Bühne rappe. Oder da, noch eins weiter in der Oberthürstraße, schau, das Standard. Da hats doch im Keller immer das Open Mic und da tret ich eben das erste Mal auf und schwitz. Vor der Tür steh ich auch und wir reden über ein Später. Siein Wien und ich Schriftsteller und legen die Schuhe aneinander. Wenn du da in die Juliuspromenade schaust, siehst du mich eh oft, aber eins muss ich dir zeigen: Da! Ich auf dem fahrenden Rad. Steh auf der Pedale und spring ab. Es rauscht in die Café-Stühle und ich mit einem Satz zum Mädchen mit Namen. Wir küssen uns so, dass sich die Stadt ein bisschen biegt. Hier bin ich geboren und es ist Sommer. Nur damit du weißt.

we kiss in such a way
that the city bends a little
I was born here and it’s summer
just so you know


Postmodernes Atmen

Hauchdünn wie die Flügel eines Schmetterlings trennt das Weinglas den Sauerstoff vom Sauvignon. Eine Grenze so dünn, dass sogar ein menschlicher Schrei in der richtigen Tonlage sie brechen könnte. Zwei Michelin-Sterne trennen die Luft, die wir hier drinnen atmen, von dem Abgasnebel, dem die Passanten hinter der Fensterscheibe ausgesetzt sind. Wir sitzen diametral an einem runden Tisch, sodass Emma den Rücken zum Fenster hat. Für sie ist die Welt ein einziges Restaurant. Ich habe den Blick auf die Straße, wo zwei Tauben gerade den Kadaver einer überfahrenen Ratte zerrupfen.

„Ist dir aufgefallen, dass es nur noch graue Tiere gibt?“, frage ich.

„Wie es in den Wald ruft, so schallet es auch hinaus“, entgegnet sie. Der Kellner serviert gebratene Elchrouladen in Austernpilzsoße mit Herzoginkartoffeln. Ich habe ihn gar nicht kommen sehen. Wir stoßen die Gläser gegeneinander. Ein kaum merkliches Klirren hallt in meinem Kopf nach, während wir kauen, schlucken, atmen.

Beim Dinieren konservieren wir gepflogen über gespaltene Subjektbegriffe, fixieren Foucaults Begriff der Biopolitik und vertiefen uns in Diskussionen über Lacans Graph des Begehrens. Wir: zwei kultivierte Abstraktionen der Natur. In Fleisch gewickelte Netzwerke, die Informationen miteinander austauschen. Wie man es uns beigebracht hat, zerrupfen wir die Rouladen mit unserem Besteck, halten sie fern von uns und führen sie dann zum Mund. Das heißt, wir führen die Gabel zum Mund. Das Essen berühren wir gar nicht. Und während wir die Messer mit dressierter Feinakrobatik durchs Fleisch manövrieren, komm ich mir vor wie ein Außerirdischer. Als hätte ich nichts mit dieser Welt gemeinsam und wäre nur zu Besuch hier. Als wäre alles fremd und toxisch. Wir beenden das Essen mit einem besonders intensiven Diskurs über präaxiomatische Bedingungen metaphysischer Systeme und Gödels Unvollständigkeitssätze. Auf einen Digestif verzichten wir.

Die Limousine chauffiert uns durch Landschaften aus Stahl und Beton. Parodien dessen was hier früher mal war. Vor unserer Zeit. Plakate von Regenwäldern im Neonlicht und überall symmetrische Gesichter, die zwischen Hochhäusern aus Werbeanzeigen die Stadt observieren. Durch die Scheiben verschlingen unsere Augen diese Welt. Dezent, wie ein kleiner Falter der von draußen hinein geflattert ist, berührt Emma meine Hand. Ihre Finger liegen auf meinen. Ganz leicht.

„Die Menschen atmen postmodern“, sagt sie. Ich reagiere nicht, sondern schaue mir die Wesen dort draußen an und schnappe mir eines davon. Wie ein aufgescheuchtes Tier fuchtelt es herum, als ich es auf den Seziertisch meines Geistes spanne und mit psychoanalytischem Instrumenten seinen Astralkörper zerschneide. In nur einem Augenblick kartographiere ich sein Unterbewusstsein, leite daraus einen Jungschen Archetyp ab und passe dessen Handlungs- und Motivationsspielraum dem an, was mir Kleidungsstil und Körperhaltung verraten. Um es anders auszudrücken: Ich breite den Menschen vor meinem Innern aus und analysiere ihn in der Suche nach etwas, mit dem ich mich identifizieren kann. Nach einem gemeinsamen Nenner. Es ist als wollte man das Salzwasser durch eine Karte des atlantischen Ozeans hindurch schmecken. Je tiefer ich in den Menschen hinein schaue, desto hohler wirkt er. Je mehr mein Auge von ihm verschlingt, desto weniger bleibt von ihm übrig. In diesem Moment fühle ich mich, als hätten wir nicht denselben Ursprung. Als wäre ich nur hier um Dinge von der Straße aufzuheben und sie auseinanderzunehmen. Ewiges Schneiden, ohne je etwas zu berühren.

Ich nehme einen Rückwärtsgang aus meinen Gedanken heraus und steuere von Emmas Kommentar über postmodernes Atmen auf ein Gedicht von Erich Kästner zu. Von dort aus nehmen wir gemeinsam eine überraschende Abbiegung in die Quantenphysik, ehe wir die Auffahrt zum deutschen Idealismus befahren. Mitten in der Diskussion über Schellings Transzendentalphilosophie fällt mir auf, dass der kleine Falter noch immer auf meiner Hand liegt.

Parallel zur Annäherung unseres Ziels spitzt sich unser Gespräch Kilometerweise zu, bis wir den Gipfel einer heiklen metaphysischen Problematik erklommen haben und ich den Versuch unternehme zu fliegen, indem ich die gesamte Welt in Schellings Idee des Absoluten hineinquetsche. Auf die letzten Meter kommen wir an einer Ampel zum Stehen und ich unterbreche mein Plädoyer, weil ich bemerke, dass Emma begonnen hat kleine Achten auf meine Handinnenfläche zu zeichnen. Bevor ich den Faden wieder aufnehmen kann, spinnt sie ihn schon weiter.

„Spiel nicht zu viel mit den Begriffen! Schon gar nicht mit dem des Absoluten! Schneide dir nicht mehr ab, als du verdauen kannst!“, ermahnt sie mich. Bereit für den Absprung, gerate ich ins Straucheln und starre in den metaphysischen Abgrund, der sich vor mir auftut. Abgelenkt von ihrer Berührung stammle ich: „Aber treibt es dich nicht auch weiter zu Abstraktion? Willst du die ewige Wunde nicht schließen? Das große Ganze und darüber hinaus! Das Absolute …“

„Natürlich will ich das. Aber wir dürfen nie vergessen, wo wir herkommen. Wir müssen uns regelmäßig erden“, sagt sie und der Schmetterling zieht meine Hand zwischen ihre Beine. Unter Mühe bringe ich es fertig ein mehrdeutiges Wortspiel zusammenzubasteln, welches Kants Formen der Negation beinhaltet, mit der phonetischen Ambiguität des Wortes Kant spielt und sich auf Emmas Unterwäsche bzw. ihre negierte Unterwäsche bezieht, als auch auf jenes, welches sich dahinter befindet. Emma sagt: „Alle Wege führen nach Rom.“ Die Ampel springt auf Grün und ich ärgere mich, dass ich den Begriff des Absoluten nicht in mein Wortspiel gesteckt habe, wo er doch so gut da reingepasst hätte.

Im Hotelzimmer hängen Bilder von Elchen und Königstigern, gerahmt und gefangen hinter Glas. Früher wären es Geweihe und ein Fellteppich gewesen. Die Wirklichkeit abstrahiert sich, aber das Motiv bleibt immer gleich, ist der letzte semikultivierte Gedanke, der durch meine Synapsen mäandert, als Emma ihre Lippen auf meine legt. Zwei Welten treffen aufeinander. Ich wickle sie aus dem dunkelgrauen Ledermantel, der ihr Fleisch umgibt. Und wie Schnäbel hungriger Vögel rupfen meine Hände ihr die Klamotten vom Leib, bis da nur noch dieser nackte haarlose Körper ist. Alles, was sprießt, wurde abgetötet; ihre Haut eine leere Landschaft. Wo einst Regenwälder waren, lege ich mich hinein. Ich scheine Licht darauf und laufe darin umher wie ein wildes Tier. Sie ist meine Erde. Und mein Gott! Diese Hände auf mir! Wilde Pferde, die durch mich hindurch stürmen. Diese Brüste, dieser Mund! Sie verschlingt mich wie ich sie verschlinge. Auf der Oberfläche des Hotelzimmerspiegels fressen zwei Liebende einander auf. Und sie essen mit den Händen, ziehen sich näher aneinander heran, greifen ins Fleisch, kauen aufeinander herum, wie bei gutem Rotwein. Die Figuren versuchen sich gegenseitig runterzuschlucken, aber sie werden es niemals komplett schaffen. So sehr sie sich bemühen, sie können einander nicht so tief berühren, wie sie es gern wollten.

Unter der asphaltierten Schicht, die meine Seele kultiviert, sprießt etwas Unbezwingbares. Es durchbricht meine Gedankenstadt und bemächtigt sich so vollständig meiner, wie nur die Natur selbst es könnte. Diese Beine, denke ich. Diese Taille. Der Arsch. Die Brüste. Ich schwappe über den Tellerrand. Du. Ich. Hier! Jetzt! Ich will dich! Ich will dich so! Ja! Komm her! Näher! Noch näher! Ich will dich fressen! Friss mich! Nimm mich in dir auf! Ich schreie mir die Menschenseele aus der Brust, doch sie bleibt an mir kleben, dieses gespaltene Wesen! Emmas Nachtfalterhände kratzen Furchen in meinen Rücken, wühlen die Erde auf, die mein Körper ist. Wir jaulen und fauchen und beißen. Von ihrer Haut lecke ich das Salz des atlantischen Ozeans. Und ich spüre wie nah wir der Wahrheit sind, wie knapp wir vor einem Sturm stehen, der die ganze Welt ertränken wird. Aber wir machen weiter. Unsere Worte werden zu Schreien. Wir steigen auf ihnen hinauf, je tiefer wir uns ineinander fallen lassen. Und unsere Schreie steigen höher und höher, bis irgendwo ein Glas zerbricht.


Romantik

Erinnerte Romantik.

Einer rennt.
Keiner weiß wohin.

Später kommt jemand,
der hat zwei Persönlichkeiten und zwischendrin
die Suche nach etwas.
Er findet nichts.

Außer das dritte Ich.

Verwegen schlendernd zwischen Stadttürmen und Mauerbäumen,
hinter Nebelschwaden und blühenden Ruinen ist es
immerfort
ein Traum
von Nichts.

Und dann steht da einer, bedacht, schaut in einen Eimer mit schwarzer Farbe und flüstert verhalten am Ende der Gasse, dass doch der Mensch lieber das Nichts will, als nicht zu wollen.

Im Anschluss
dreht er sich und
verlässt
die nassen Steine.

Seine Stimme prallt ab von den Wänden und der Ton verblasst.

Ein Bellen zwischen Bäumen hindurch.
Vogelgesang im Wechselgesuch.
Ein Schrei, die Frage:
„Strohmian, bist du’s?“


WAS ICH DIR SCHON IMMER, ALSO NIEMALS … ACH VERGISS ES

Ich schreibe Lyrik in Randnotizen und hoffe auf das Fortbestehen meiner Art.
Ich glaube, dass alles, was ich anfasse, Kunst bedeutet und sauge die Luft aus den Ballons.
Die leeren Hüllen werfe ich auf Tanzflächen, schaue zu, wie sie zum Taktschlag zertreten werden.
Musik, die niemals mir gehören wird.
Ich bin Idol für die Verlorengeglaubten.
Und sie sind Inspiration für mich.
Alles kreiselt.
Ich schubse den Drehstuhl an, bis mir übel wird.
Dann mit aller Kraft in umgekehrter Richtung.
Nicht jede Gegenbewegung ist ausgleichend.

Doch ist das der Anspruch unserer pseudopolitischen Strömungen.
Ich kaue Kaugummi, werfe Blasen und überlese feindselig schnöde Buchstabengruppen einer Kunstform, der ich einst noch nachgeeifert habe.
Daniel W., mein Erzfeind aus der dritten Klasse.
Seit dem Untergang meiner eigenen lebensphilosophischen Ziele und der Übernahme unserer mehrheitssuchenden Entscheidungsgewalt denke ich immer öfter an dich zurück.
Mein Hass auf dich hat mich zu dem gemacht, der ich heute bin.
Mein Hass auf dich ist die Liebe, die uns abhandengekommen ist.

Was wir damals hatten, sehe ich heute nur im Schlaf.
Wir hassten uns ideologiebefreit.
Die reinste Form der Verachtung.
Nur du und ich.
Keine fehlinterpretierten, voreingenommenen Statistiken.
Keine Vergangenheitsentglorifizierung und ein Übertrag, der keiner sein sollte.
Nur du, ich und die Verachtung.

Und immer wieder denke ich an dich.
An die Schönheit unseres Krieges.
Du bist die Bella meiner Träume.
Ich verschließe meine Augen vor der Wahrheit.
Du bist nicht so schön, wie du dich fühlst.
Ich bin nicht mehr so schön, wie ich mich fühlte.
Wenn du mal wieder in der Stadt bist, trinken wir Kakao und du erklärst mir, was ich dir angetan habe.
Bis dahin halte ich dich in stiller Trauer.
Und bedenke:

Nicht jede Gegenbewegung ist ausgleichend.
Und nicht alles, was ausgleicht, verheißt Gerechtigkeit.
Für dich ein Gefangener.
Für dich mein ewig Lobgesang.
Auf bald.


Zeitgeschehen

Klingenworte auf plakatierten Zungen durchtrennen Pfirsichtaubenhälse
Lamentolerchen betasteten mit Kinderkrallen die Neonnoten der Bartgeier
mit Waldmeisterhaaren aus grünem Chlor
Glätteten ihre ornamentalen Stimmbänder mit metallenen Arien
die den Ritzen der Großstadtstraßen entstiegen
24/7 Mimikry und Masochismus
am Alexanderplatz

Im Jugendstil wird nur geheim gewohnt,
denn man schämt sich für Siddals Rosenhaar,
das frivol vom Turm über den Vorgarten schwingt
Hier bettet man sich im goldenen Schnitt
und beschwichtigt mit einem Kunstdruck der Golden Gate

Reaktionäre Symmetrie
Kokettierender Konservatismus
Am Felsen prallt das Geiergeleier gegen die Kalkwand
Bricht sich das Genick
am Tetschener Altar
Den Schauenden am Bergseeufer versteinern die Augen
vor so viel Rohheit
Hier und laut
mit Waldmeisterhaut
und herzweichspülenden Leersprüchen
über dem Steißbein


Nachwort #10 – Post-Festival-Edition

ich hatte es versucht mit einem text der dir sagen soll warum du literatur niemals verstanden hast. nicht in rauer sprache aber dann doch so dass du dir gedanken darüber machst wieso das vorkommen des wortes sklave in einem text nicht per se rassistisch ist. dabei ist mir aufgefallen dass du vielleicht nur zu lange wach warst. du warst wach und das ist vielleicht gut und hast nicht gemerkt dass du eigentlich ganz müde bist. you were woke and that is maybe good and you did not realize that you actually are very tired.

„In Deutschland könnten Medien eine wichtige Rolle dabei spielen, einen Umgang mit Rassismus zu finden: Sie sollten an ihre Grenzen kommen, Begriffe weiter entwickeln und in der Lage sein, Fehler einzugestehen und falsche Annahmen zu revidieren.“

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„Allerdings sei ein Tabubruch immer nur dann sinnvoll, wenn er einen neuen Erkenntnisgewinn herstelle. Wenn dies der Fall sei, könne und müsse man weit gehen, denn die Tabuisierung von manchen Fragestellungen und Zuspitzungen verhindere, dass sich die Gesellschaft mit bestimmten Themen auseinandersetzt.“

(Utlu, D.: Sprache in Medien und Literatur: Wo beginnt Rassismus?, 2013, aufgerufen am 20.06.2022)

dies ist als kurzer kommentar zu verstehen. er ist frei von unterstellungen. er spiegelt nicht die meinung der redaktion der zeitschrift oder des autors wider. es sind zwei gedanken derer wir uns annehmen sollten. du hast dir darüber natürlich schon gedanken gemacht und das ist vielleicht gut so. aber hey no front du hast literatur nicht verstanden. so wie du kommunzierst. diese zeitschrift ist dem hass nicht ferner als der liebe. sie reproduziert und reproduziert und reproduziert. produziert sie jemals etwas. etwas neues. diese frage ist vielleicht relevant. genauso relevant wie die frage nach der relevanz. und wenn sie nicht relevant ist wie soll sie dann etwas entwickeln. und wenn weder entwickelt noch produziert wird. wenn es weder aufmerksamkeit noch reichweite gibt. verhallen dann tabubrüche dort im nichts und reproduzieren und reproduzieren und reproduzieren nur. und liegt dann vor uns nur ein haufen sexistischer rassistischer ableistischer buchstabendungen für menschen des spektrums 01000011011000. ist das so. ist dem so. du hast dir darüber natürlich schon gedanken gemacht und das ist vielleicht gut so. es gibt nichts vor dem wir uns wegducken müssen. nein. es gibt nichts vor dem wir uns wegducken dürfen. was ist wenn wir müde sind. was ist wenn wir müde sind. was ist wenn wir müde sind. dann bist du nicht woke dann bist du müde. dann schläfst du. dann schläfst du. schläfst. und das ist vielleicht oke so. und hast den kontext nicht begriffen dann hast du es nicht mitbekommen. wachst auf weil dir gesagt wird dass du dich jetzt wegducken musst. magst es aber gar nicht dass man dich weckt. und bellst. so wie du kommunizierst. irrelevant. alle warten auf dein statement. alle warten auf deine wichtige rolle dein entwickeln das eingestehen deines fehlers das revidieren. unsere oder deine auseinandersetzung. bist du müde. ist es der verzicht. ist es das wegducken. magst nicht. verstehst nicht. keep it real du hast literatur nicht verstanden.

wo keine auseinandersetzung da kein konsens und trotzdem ein ende. beschluss der zehnten ausgabe der kollektiven literaturzeitschrift würzburg und die einladung zur stetigen kritischen

begleitung unseres projekts würzburg fränkische Literaturmetropole. wir danken für geduld innere reibung während der zerreißproben und schlicht für aufmerksamkeit und gelesensein. wir danken den autor:innen. auf eine ausgabe #11 empfehlen sie uns. wir sind nicht untergrund. klw in glanz und glorie. florian bötsch.