ich schlage Wurzeln im zwölften Stock
über den Gemüseläden
bei deiner Mutter
deine Mutter
macht mir jeden Morgen Frühstück
kalte Ostereier von letzter Woche noch
die rote Farbe blättert schon ab
und Jesus‘ Blut trocknet auf meinem Tellerrand
einmal bringe ich ihr Blumen
klopfe nachts an die Schlafzimmertür
hinterlasse Blüten auf dem Boden
und in ihrem Haar
deine Mutter
sagt ich soll diese Handtasche nicht kaufen
dafür kauft sie mir ein weißes Kleid
wir lassen uns in der Stadt die Haare schneiden
verpacken sie in Plastiktüten
zusammen mit Milch, Kuchen und Brot
ich schlage Wurzeln im zwölften Stock
an zerrissenen Wänden
winde ich mich durch staubige Furchen
bei deinem Vater
dein Vater
ist nie zu Hause
wie alle Väter
vielleicht
kommt er am Abend zurück
und singt mit lauter Stimme Lieder
am Küchentisch
essen wir Ziegenkäse der tropft
dein Vater
ich wünschte
ich hätte ihn besser gekannt
ich schlage Wurzeln im zwölften Stock
an der Regenrinne entlang
bei deiner Schwester
deine Schwester
ist unglücklich verliebt
aber nicht in mich
sie hat sich in ihrem Zimmer eingeschlossen
und schaut den ganzen Tag aus dem Fenster
einmal bringe ich ihr Blumen
klopfe nachts an die Schlafzimmertür
wische die Tränen auf dem Boden
mit einem Handtuch auf
ich schlage Wurzeln im dritten Stock
über Schuhgeschäften
bei deinem Bruder
dein Bruder
hat eine dicke Wand
an der meine Ranken zerbrechen
doch er lässt mich an seiner Zigarette ziehen
am Küchentisch
ich huste
und spucke den Ziegenkäse aus
dein Bruder
ich beobachte ihn von der Straße aus
wie er aus dem Fenster gelehnt
auf die Straße spuckt
und sich langsam eine Pfütze bildet
deinen Bruder
beobachte ich nachts aus dem Schlüsselloch
wie er an die Schlafzimmertür klopft
von deiner Mutter
von deiner Schwester
und dann wieder geht
mit Kratzern auf den Unterarmen
dein Bruder
seine Schritte hallen in meinen Träumen nach
ich lauere ihm auf
aus der dicken Wand heraus
dort warte ich auf ihn
ich habe Teewasser aufgesetzt
dein Bruder
spricht nicht mit mir
dein Bruder
hat eine hässliche Wohnung
dein Bruder
verhält sich seltsam
dein Bruder
sieht aus wie du
und deshalb mag ich ihn
dein Bruder
sein Lippenstift hinterlässt Spuren auf meinem Hals
meine Haut umschließt die rote Farbe
und lässt sie nicht mehr los
heiliges Blut
auf dem Gehweg
kleben Hunde wie Kaugummi
sie alle sehen es
deine Mutter
dein Vater
deine Schwester
du
im zwölften Stock
über den Gemüseläden
liegen Scherben in der Küche
ich wische sie auf
mit dem Handtuch voller Tränen