Ich kannte mal einen, der ist beim Lesen gestorben.
Er hatte sich gerade in Ruhe hingesetzt, die Seite heraus geblättert und in den Text gestürzt. Zeugen sagten aus, dass der unglückliche Leser im Augenblick seines Todes konzentriert mit seinen Augäpfeln die Zeilen der aufgeschlagenen Seite von links nach rechts abgewandert war.
Jedes Mal, wenn sie das Ende einer Zeile erreichten, rutschten sie eine weiter hinab. Während des Lesens, behaupten manche, habe er in regelmäßigen Abständen seine Augenlider gehoben und gesenkt. Dabei kratzte er sich ab und zu, zog die Stirn kraus, seine Atmung war ruhig und seine Gedanken allein auf die Buchstaben fokussiert. Nur manchmal ertappte er sich dabei, wie er über das nächste Essen oder dieses regelmäßige wiederkehrende Ziehen in seiner Herzregion nachdachte. Der Zeitpunkt, in dem er starb, musste aber tatsächlich einer von denen gewesen sein, der vollkommen dem Inhalt des von ihm gelesenen Textes galt. Ja er verinnerlichte den beschriebenen Vorgang in so einer akkuraten Art und Weise, dass er darin überging selbst, während des Lesens, die beschriebenen Rahmenbedingungen für den Vorgang umzusetzen, allein um ein möglichst intensives Verständnis und subjektives Nachempfinden dieser Begebenheit entwickeln zu können. Manche behaupteten später sogar, er habe als erster Leser das erreicht, wonach so viele streben, die sich diesem Vergnügen hingeben: Eine Leser-Protagonisten-Fusion. Durch seine unglaubliche Aufmerksamkeit war es ihm gelungen, Eins mit der handelnden Person des Textes zu werden. Der Moment des Todes war, als er ganz am Ende der Geschichte angekommen, den letzten Satz beendet hatte.