„Was soll das alles?“, dachte sich der Kleinlaster. Seine vier Räder waren fürs Fahren auf Asphalt gebaut. Für das Leiten von Luftströmungen oder gar das Erzeugen einer Auftriebskraft waren sie und das Chassis gänzlich ungeeignet. Dies entzog ihm – anders gesagt seinem Fahrer – die Kontrolle über die Fahrtrichtung und Geschwindigkeit. Über 500 m, die das etwas in die Jahre gekommene Fahrzeug noch vor sich hatte. Zehn Sekunden noch bis zum Aufprall. Ein Luftzug säuselte um die Außenspiegel, die das Gesicht des Fahrers zeigten. Entsetzen. Verblüfftheit. Weit aufgerissene Augen. Doch für wen das ganze Minenspiel? Der aufgerissene Mund, die erhöhte Atemfrequenz und das erblasste Gesicht sorgten für volle Einsatzbereitschaft in Armen und Beinen, ideal koordiniert durch aufgescheuchte Sinne sowie einen primitiver arbeitenden, rasche Entscheidungen fördernden Denkapparat. Jedoch war diese evolutionär perfekt abgestimmte Reaktion etwas veraltet. Der Fahrer war nicht von einer großen Raubkatze bedroht, sondern Opfer der Machenschaften seiner eigenen Spezies geworden und in einer von der Evolution gänzlich unvorhergesehenen Lebenslage.
Derart vorbereitet, einer voraltertümlichen Gefahr zu trotzen, verharrte der Unterschichtler, denn es gab nichts, was er hätte tun können. Noch neun Sekunden. Die Geräusche der Straße waren verstummt. Das Fahrwerk war nicht mehr der fortwährenden Last des Gefährts ausgesetzt und musste nicht mehr gegen die Reibung mit der Straße kämpfen. Kommendes Wochenende hatte er geplant, an einen nahegelegenen Badesee zu fahren. Darauf hatte er sich sehr gefreut. Ganz allein wollte er diese Zeit verbringen. Freundin hatte er keine, Geschwister auch nicht, seine Mutter war früh verstorben und sein Vater in einem Altenheim. Auch Freunde hatte er keine, bis auf ein paar Arbeitskollegen. Es würde ihn also auch niemand besonders schmerzlich vermissen. Sein Chef vielleicht, wobei, der würde wohl hauptsächlich den Verlust der Ersatzteile, der Palette mit 40 Reifen und seines zwar in die Jahre gekommenen, aber dennoch brauchbaren Transportfahrzeugs bedauern. Noch acht Sekunden. Der Wind zischte, pfiff und zog am Fahrzeug. Seine Laufbahn als Fahrer hatte tragisch begonnen. Kurz nach seiner Kündigung auf dem Hof wurde seine Mutter plötzlich schwer krank und starb einige Wochen später. Nur mit dem Einkommen des Vaters hätten sie das kleine Häuschen nicht halten können. Daher begann der Sohn eine Stelle als Fahrer bei einer KfZ-Werkstatt in der nächsten größeren Stadt. Er zog in eine Wohnung im fünften Stock eines trostlosen Mietshauses.
Noch sieben Sekunden. Das Säuseln und Zischen war zu einem Toben erstarkt. Als er seine Schulbildung beendet hatte, begann er auf dem Bauernhof zu arbeiten, wo auch seine Eltern angestellt waren. Dieser war aufgrund wirtschaftlicher Lockerungen größer geworden und suchte Personal. Dies kam dem Jugendlichen sehr gelegen, da er ohnehin gern draußen war. Einige Jahre später, die nahezu ereignislos verliefen, aber recht angenehm und harmonisch waren, wurde er gekündigt, da mehr und mehr Arbeit nun von Maschinen gemacht wurde. Noch sechs Sekunden. Das Fahrzeug hatte sich mittlerweile nach unten gedreht, sodass der Fahrer freien Blick auf die herannahenden Baumwipfel hatte. In der Schule war er nie besonders auffällig gewesen. Auch nicht im Guten. Er hatte sich sogar einigermaßen geschickt angestellt, doch wirklich eifrig war er nie gewesen. Ihn hatte immer die Natur gelockt. Nachmittags half er seinen Eltern im Garten oder stromerte durch die Landschaft. Noch fünf Sekunden. Kurz hintereinander knallten zwei Schläge. Die Spiegel waren eingeklappt. Der Wind toste gewaltig. Als Kind war er quasi immer draußen gewesen. Den ganzen Tag hatte er im Garten seiner Eltern gespielt. Er hat Löcher in den Boden gegraben, schüttete Häufchen auf. Noch eine Sekunde. Die Erde hat eine rotbraune Färbung. Aufschlag! Mit einem lauten Krachen zerbersten Maschine und Lenker auf einer schmalen Kiesbank eines schmalen Baches. Einige Vögel flattern auf. Der Junge ist zur Natur zurückgekehrt.