Sauerstoffflaschen, Atemmasken, Zelte, Eispickel und Tibetisch-Wörterbücher eingepackt treffe ich mich am Himalaya mit Sebastian, der Englisch unterrichtet und Autor des Textes „Was uns übrig blieb“ in der Erstausgabe der KLW ist.
“Wie bist du zum Schreiben gekommen?”
“Angefangen hat es eigentlich recht früh. Sehr früh sogar. Meine Oma hatte schriftstellerische Tendenzen, hat zwei Bücher geschrieben, die in einer Zeitung veröffentlicht wurden und dann hatte sie uns – eben sehr früh auch – mit deutscher Literatur in Berührung gebracht. Ich glaube mit 9 bekam ich einen Roman von Siegfried Lenz, den ich aber nicht gelesen habe. Ich hatte damals schon angefangen so ein bisschen rum zu kritzeln, Gedichte zu schreiben. Dann ging das irgendwann in Hip-Hop-Texte über. Ich hatte mit nem Freund ein Hip-Hop-Projekt zusammen, so mit 16; 15, vielleicht. Ja, das waren die ersten Schreibbestrebungen, also Poesie, ganz klassisch.”
“Kannst du rappen?”
[Er lacht] “Es gibt noch so Garage-Recordings von uns, von früher. Wir haben viel gefreestylt. Ich weiß nicht, ob man das so sagen kann, „Ich kann rappen“. Man hat vielleicht noch ein anderes Gefühl für Rhythmus. “
“Dann zum Text: Also zum einen, er greift ja eigentlich so dieses ganze, weiß nicht ob man das jetzt sagen kann „Flüchtlingsmilieu“ auf, aber es spielt auf jeden Fall in dieser Richtung. Hast du da persönliche Erfahrungen mit?”
“Eigentlich gar nicht unbedingt. Ich hatte mal ein bisschen was zu tun in dem Wohnheim in der Veitshöchheimer Straße, wo wir mit ein paar Kindern Verschönerungsaktionen gemacht und Deutsch-Kurse gegeben haben im Rahmen eines EU-Projektes. Aber ich denke eher der Text entstand aus dem, was einem im Alltag so begegnet, in der Stadt, auf dem Sanderrasen, beim Fußballspielen zum Beispiel. So hab ich die beiden Hauptpersonen, also Anis und Leila, mal erfunden an der Bushaltestelle beim vorbei fahren. Also zwei, die im Streitgespräch waren. Daraus hat sich dann die Geschichte entwickelt. Es ist nicht so das ich speziell über die Asyl-Thematik schreiben wollte. Nein, es ist sogar die einzige Geschichte darüber. Bisher. “
“Also es war eher Zufall, dass es jetzt diese Thematik besitzt? Es war kein überlegter Move, von wegen: „Das will ich aufgreifen, das ist gerade wichtig in der Gesellschaft“?”
“Naja, dass schon. Ich denke es beschäftigt einen auf jeden Fall. Wie gehen wir mit fremden Kulturen um, wie begegnen wir uns täglich, in der Kneipe, beim Sport und mich interessiert schon sehr, welche Problematiken entstehen aus unserer Unsicherheit, wie kann man sie lösen? Aber eben auch: Wie funktioniert Liebe zwischen Menschen, die sehr unterschiedlich soziokulturell geprägt sind?”
“Und die Fußball-Thematik, war das auch Zufall, oder spielt das in deinem Leben eine Rolle?”
“Tatsächlich. Fußball spielt tatsächlich eine Rolle in meinem Leben. Ich spiele selber noch Fußball, jeden Donnerstag, mit Freunden. Meine Eltern waren komischerweise ziemlich Fußball-verrückt und als Kind war ich oft im Stadion. Und so hat Fußball auch immer noch etwas Heimeliges für mich. Auf Sportplätzen sein, Werbebanner, Bier. Das fühlt sich alles sehr heimisch an. Bei den Kickers bin ich ab und zu im Stadion, seh mir ein Spiel mit Freunden an. “
“Wie bist du auf die KLW gekommen? Also wie hast du davon erfahren, oder warum hast du entschieden: „Ich reich da was ein“?”
“Also in letzter Zeit reiche ich immer wieder was ein. Irgendjemand kam zu mir, meinte: „Hey guck ma, es gibt bald ne Literaturzeitschrift in Würzburg.“ Dann hab ich bei Facebook gesucht und gesehen und fands sehr cool. Da lag das Einreichen nicht mehr fern.”
“Und deine Gedanken zum Projekt an sich?”
Sehr schön. Fantastisch. Ich glaube ich kann Marcos Ideen da sehr gut verstehen, ich finde, Würzburg kann man literarisch sehr aufwerten. Die Beziehung zwischen Leonhard Frank und Würzburg war eine Zeit lang ja sehr schlecht, wurde auch gar nicht richtig versucht zu verbessern. Wenn man sich zum Beispiel ansieht was Bamberg mit E.T.A. Hoffmann oder Prag mit Kafka anstellt, dass Schriftsteller oder Literaten so Identifikationsfiguren für Städte sein können und die Stadt damit auch wichtigmachen, in literarischer Hinsicht. Das ist auf jeden Fall eine Sache, die in Würzburg passieren darf und auch soll. Von daher finde ich das ein sehr gutes Projekt. Nur die Grafik ist vielleicht noch verbesserungswürdig.
Das Gespräch fließt ein wenig vor sich hin, er sagt mir, dass er zur Druckkostenlesung erscheinen, aber nicht diesen Text vorlesen werde. Zu interpunktiert, sein Text, schlecht vorlesbar. Da frage ich ihn:
“Zum Stil: Gibt es da Einflüsse?”
[Er lacht] “Also bei der Geschichte waren es glaube ich sehr Andreas Maier und ein Engländer, Jon McGregor heißt der. Dann gibt es immer die All-time-favourites, die einen immer sehr beeinflussen. Arno Schmidt ist für mich immer wieder heftig, prägend. Christian Kracht, einer der absoluten Meister. Inhaltlich ist Clemens Setz für mich sehr wichtig. Aber ich hab neulich auch Hölderlin mal wieder gelesen und gemerkt, „Boah der hat mich schon mitgenommen“.“
“Und was haben die beiden (Andreas Maier, Jon McGregor) so gemacht? Also mir sagen die Namen gar nichts.”
“Das solltest du besser nicht drucken. [Er lacht] Nein, nein. Maier ist auch jemand dessen Personen oft keine Tiefe haben, wie es ja auch in dem Text ist [gemeint ist „Was uns übrig blieb“]. Die sehr, sehr flach bleiben und dadurch mit einem großen Fragezeichen versehen werden. Was ich ja auch machen wollte, in diesem Text jetzt, der eigentlich fast schon ein Experiment war. Jon McGregor, was mich da sehr beeinflusst hat war ein Roman von ihm, Reservoir 13, der im Lake District in Großbritannien spielt, in dem er auch sehr stark mit direkter Rede-indirekter Rede spielt. Was man bei mir glaube ich auch wiederfinden kann.
Generell finde ich sind die Engländer große Meister der lakonischen, düster-melancholischen Sätze. Also man findet in der englischen Literatur ganze Leben in einem Satz wiedererzählt. Das ist etwas, was mich persönlich sehr stark beeindruckt. Und was glaube ich in all meinen Texten immer wieder vorkommt.”
“Hat dich das auch bevor du Englisch studiert hast schon interessiert und deshalb kam es zu Englisch oder war es eher die andere Richtung?”
“Eigentlich hat mich Literatur generell interessiert. Ich hatte mal ne Literatur-freie Phase in der 7./8./9. Klasse, was durch ne großartige Deutschlehrerin tatsächlich dann wieder ins Rollen gekommen ist. So hatte ich eigentlich eher Deutsch im Kopf als ein Englischstudium, aber da mich Sprachen auch interessieren ist es dann Englisch geworden.“
“Welche Sprache findest du schöner? Englisch oder Deutsch?”
“Ich glaube, ich würde mich für Englisch entscheiden, britisches Englisch. Allein aufgrund dessen, dass der englische Wortschatz nahezu doppelt so groß ist wie der deutsche. Im Englischen ist es viel einfacher, neue Wörter zu kreieren, als im Deutschen. Ich glaube die Deutschen sind da sehr viel steifer, viel rigider, die Akzeptanz neuer Wörter dauert sehr lange. Wir haben auch deutsche Sprachbewahrer, zum Beispiel, die überall sitzen und gegen die Infiltrierung durch die englische Sprache wettern, so dass mich, glaube ich, die Flexibilität im Englischen mehr anzieht.
Was die Wörter angeht an sich, die Aussprache, den Klang der Wörter, finde ich Niederländisch eigentlich schön. Naja klar, es gibt jetzt diesen abgeranzten Witz mit „butterfly“ und „Schmetterling“, dass deutsche Sprache sehr „Nazi-haft“ klingt, wenn man so möchte. Das finde ich jetzt gar nicht mal unbedingt. Aber ich entscheide mich für Englisch. Auch englische Wörter haben einen sehr schönen Klang, eine sehr schöne Lautmalerei oft, etwa „sebaceous gland“, „to dovetail something“, „painstakingly“ oder „flamboyant“.”
Danke für das Interview!