Allein der Zeitdruck. Redaktionelle Arbeit nach Schablonen. KLW und muss fertig werden. Warum… geh ich nicht gleich zur Main-Post? Richtig, Arbeit im Untergrund ist so schon prätentiös; Herr meiner Doppelrolle: die zu interviewende Person, lies männlich „Simon“, ist (mittlerweile) veröffentlichter Autor in KLW No.1 und eine mir sehr nahestehende Person, ich bin Redakteur(-saushilfe) wie Freund jenes „Simons“… er weiß nichts von einem Interview, weil Erwartungshaltungen von KLW zerpflückt werden. Veröffentliche in unserer Gazette und du wirst getreten. Weiß noch nichts. Verabredet sind wir auf ein Abendessen. Wir schreiben den Tag vor seiner Abreise auf Monate, vielleicht ein Jahr, morgen wird er fliegen in ein fernes Land.
Obwohl ich mir ausgesprochene Mühen gebe, überpünktlich am verabredeten Treffpunkt zu erscheinen, ist Simon komischerweise bereits an der Bushaltestelle „Platz des rotbärtigen Kaisers“. Den Überraschungsschnappschuss kann ich mir somit wohl sonst wo hinschmieren…
Dachte schon aus 20:15 ist 20:45 geworden.
Die Uhr zeigt 20:23, ich sage: „Ach scheiße, ich bin irgendwann von 20:30 ausgegangen, sorry.“ Ich spare mir und erspare der Leser*in die Sequenz aus schlechten Shoots, verwinkelten Gässchen und gespielter Unwissenheit; Ihnen sei so viel gesagt: weniger fürchte ich ein „Nein“ auf meine Interviewanfrage, denn da ist so und so genug zum Ausschlachten – als dass er mir freundschaftlich zürnt weil ich den Bogen überspanne am letzten gemeinsamen Abend von Angesicht zu Angesicht. Ich erzähle ihm von dem neuen Schuppen in Würzburg, „hipp, angesagt, international cross-over cuisine“, den ich mit ihm aufsuchen möchte, halte ihn hin, damit unser Tisch in der Zwischenzeit weiter vergeben wird. Trottel ich, so kam es dann auch und ich hätte mich selbst mit der Axt erschlagen, würde ich dabei keine Schmerzen verspüren.
Freitag, der 01. Februar, und wir sitzen also in der Space Bar*, dem „Standard“, an die Ecke des Tresens gequetscht; es ist rappelvoll und lärmend. Mein Versuch Simon das Standard als „hipp, angesagt, international cross-over cuisine“ und vor allem als neuen Schuppen zu verkaufen, hatte ihm beim Anblick eben jenes Etablissements auch ein „Trottel“ abgerungen. Um die Dopplung erwähnt zu haben. Im Endeffekt war lediglich letzterer Punkt gelogen. Und Ersterer. Und Zweiterer. Aber die Küche ist wirklich cross-over international…
Möglicher Teil Eins————————
*das wäre der Name gewesen, hätte ich mich nicht darauf besonnen den tatsächlichen Namen der Bar zu nennen
Schlücken Wasser in der Kurve gleich, schauen wir konsterniert aneinander vorbei, Bier rinnt müßig unsere Kehlen hinab. „Wann fliegst Du morgen?“ frage ich. „Vielleicht flieg ich ja gar nicht“, spricht es aus Simons Munde.
Diesen Satz würde er im Laufe des Abends öfter anschneiden. Von mir kommt ein müder Protest: „Alter, bist Du komplett bescheuert? Mach mir nicht den Druck Dich vom Gegenteil zu überzeugen, dafür bin ich gerade zu schlummerig, ich werde Dich nicht überzeugen, hier und jetzt. Wenn ich Dich aber in zwei Wochen irgendwo hier in den Straßen entdecken sollte, dann mach ich Dich richtig weg, dass Du gar nicht mehr weißt wo oben und wo unten ist, dass Du denkst Du wärst geflogen. Warte kurz, bin gleich wieder da.“
Ich gehe und spreche mit den Gästen an den Zweiertischen im Standard, halte sie mir warm, für den Fall dass sie aufstehen und uns heranwinken werden. Rechts von der geflügelten Eingangstür ein Paar Frauen, mittig in den Zwanzigern, ihre Aussage: „Wir bleiben eh nur noch ’ne halbe Stunde, trinken noch unser Bier aus; dann sagen wir euch Bescheid.“ Gut gelaunt kehre ich zurück und erstatte Simon Bericht. Er bleibt ein wenig reserviert. „Komm wir schauen schon mal in die Speisekarte“, sage ich, „hast Du schon Hunger?“…auf einem Auge unterhalte ich mich weiter, auf dem anderen schiele ich unentwegt zu den Frauen herüber. Zwei Fragen hatte ich ihm wenigstens schon gestellt, das zählt als Interviewmaterial. Zwei Dinge gleichzeitig zu tun – hier: reden und schielen – versetzen mich als unfähigen Menschen in eine Zerreißprobe, doch ich versuche zu genießen.
Mein rechtes Auge registiert Bewegungen im toten Winkel. Ich schnappe mir Simon und blase zum Angriff, doch er kommt zu früh. Toter Winkel bleibt toter Winkel, eben weil man dort nicht richtig sieht. Die Frauen sind noch nicht fertig. Bestürzt und ungläubig blicken sie auf uns drängende Flegel, nach kurzem Herz-in-die-Hose stehe ich peinlich berührt, murmle und deute entschuldigende Körpersprachen. Wir finden uns an einem Stehfass links des Eingangs wieder, gestopft mit den anderen Wartenden. Ich hoffe wir haben es uns nun nicht komplett verscherzt. „Tja, unsympathischer geht’s immer“, meine ich. „Wir müssen uns da ja nicht hinsetzen, mir ist das egal. Wir können auch am Tresen essen“, antwortet Simon erregt. Nix da. Wenig später sind sie weg und wir fest im Sattel unserer Stühle. Die Miene eines kaltherzigen Assassinen der mit Kalkül Gäste von Tischen vergrault, sie fällt mir schwer, und so spreche ich: „Wie das wohl ist wenn einen gewisse menschliche Interaktionen einfach kalt lassen? So ein richtiges Arschloch müsste man sein.“ Entschlossen zur Lakonie, Simon: „Ja, und deswegen sind wir keine.“
Im gleichen Zuge fällt ihm eine Geschichte aus der Druckerei ein, in welcher er sich sein Reisegeld erarbeitet hatte. „Letztens hab ich Zeitschriften aufgeschichtet, auf Paletten, da kam es auf die richtige Schichtung der Zeitschriften an; ich hab da mit jemandem zusammengearbeitet der ist schon länger dabei und der hat dementsprechend auch eindeutig schneller gearbeitet als ich. Zwei-, dreimal hab ich die Zeitschriften falsch gestapelt. Ich mein‘ er hat nichts gesagt, aber mit der Zeit hat er immer angepisster geschaut und ich war dann irgendwann so von der Rolle. Ich hab mich dann gefragt: ‚alter, warum bekomm‘ ich’s einfach nicht hin?‘ Geistig bin ich dazu ja locker in der Lage. Ich glaub‘ ich bin für solche Arbeiten einfach nicht gemacht.“ Ich pflichte ihm bei, wenn ich auch nicht weiß, ob ich seine Ansicht teile, dass Künstler*innen am Fließband verloren sind oder ob ich mich als Mensch hinter den Habitus einer Künstler*in flüchten möchte, um meine Unfähigkeit zu übertünchen.
Die junge Frau von der Bar wird auf uns aufmerksam und kommt an unseren Tisch. Auf mein „Wir haben es geschafft“ gratuliert sie uns zögerlich zu unserer Errungenschaft, in ihrem Kopf eventuell die Frage: was musstet ihr tun um hierher zu gelangen? Ich bestelle Gnocchi, Simon geht auf meine Empfehlung ein und nimmt die überbackenen Schupfnudeln. Während mein Teller bereits geleert ist, lobt Simon die mit Bergkäse überbackenen Nudeln. Mich juckt es dann auch im Gaumen und ich genehmige mir ein Näschen…äh eine Gabel. Ich erzähle von einem guten Freund, der auch Simon bekannt ist, dass ich die Gespräche mit Ersterem oft literarisiere; wie wir darauf kamen, das liegt mir mittlerweile fern, doch ich nutze es als Steilvorlage.
UP = Unterbezahlter Praktikant ohne Diktiergerät
S = Simon
UP: Erlöse mich, Simon: Darf ich ein Interview mit Dir führen?
Möglicher Teil Zwei (dramatischer Gaumenanfeuchter) ———–
— Hängst Du mir, trägst Du mir etwas nach?
— oder möchtest Du vergessen sein vor Deinem Abflug?
UP: Wie lange kennen wir uns schon?
— oder lass mich anders fragen: Erinnerst Du Dich an unsere erste Begegnung?
UP: Eine Altherrenjacke? Oder die Strickjacke, die curryfarbene?
UP: Wo wir mit den „Camels“ bei der Musik sind. Du schreibst selbst Liedtexte und machst Musik – bist Du über die Liedtexte zu den „Stilltexten“ gekommen oder umgekehrt?
UP: Ist Dein Ansatz derselbe?
UP: Als Beispiel nehme ich eben Deine Eröffnungszeile aus „Die Ausrede“ (In KLW No.1 veröffentlichter Text, Anm. d. Red.) ‚Lass mich doch bitte ausreden!“, verkündete die Ausrede.‘ – wie kam es dazu?
UP: Ich stelle da eine eigentümliche Verwendung des Wortes „Ausrede“ bei Dir fest – im Gegensatz zum allgemeinen Sprachgebrauch ist die Ausrede in Deinem Text nicht negativ konnotiert, nicht die träge Einladung zum feige sein, sondern Aufruf zur Selbsterhaltung, zum Selbstschutz für den Fall dass man überdreht. (Schweigepause. Simon hebt an zu sprechen.)
UP: Hand auf’s Herz: Wirst Du morgen fliegen oder Dich noch herausreden?
UP: Stößchen auf die Ausrede. (Weingläser klirren.) Als letzte Zitation aus Deinem Text habe ich die Stelle ‚Guck dich doch an, total ausgebrannt/
Vor deinem wahren Ich bist du davongerannt/
Welches schwach ist und zugleich/
Nichts wirklich von der Außenwelt weiß/
vorbereitet.
(UP entschuldigt sich für das langsame Transkribieren des Gesagten, bittet um Nachsicht, verweist auf sein fehlendes Diktiergerät.)
UP: Ich paraphrasiere nur noch.
UP: Du solltest erst den Einleitungstext lesen.
Möglicher Teil Drei————————————-
(Raucherpause. Vor der Spacebar*.)
UP: Ich habe versucht zu recherchieren, vor dem Interview habe ich Deinen Namen auf Soundcloud eingetippt – da ist gar nichts mehr. Hast Du das gelöscht?
UP: Du möchtest also vergessen sein.
Simon erzählt mir von Löschung vor seinem Abflug. Tabula Rasa. Katharsis. Das Album mit seiner eigenen Musik welches er mir am Anfang des Abends überreichte sei eines der wenigen Relikte die er als Musiker hinterlasse. Für ihn beginne kein neues Kapitel, sondern ein neues Buch.
UP: Was von dem vor oder nach dem Interview Gesagten darf ich eigentlich verwenden?
Auf dem Weg zur Straba nehme ich unseren vorher geführten Sinndialog wieder auf, sage das einzig Transzendente auf diesem Planeten sei das Weiterleben in anderen Menschen, denjenigen, welche man in seinem Leben berührte, die Seelensplitter die man in ihnen hinterlässt. Es gibt ein Für und ein Wider, Simon hält es eher mit dem Kreislauf der Wiedergeburten. Es regnet und es ist kalt. An der Haltestelle „Hof des Ulmers“ sagt Simon:
Allein der Zeitdruck. Redaktionelle Arbeit nach Schablonen. KLW und ist nach vier Wochen fertig. Warum… geh ich nicht zur Jobberatung? Arbeit im Untergrund ist ja so schön prätentiös. Simon, mach et jut.
„Remember what Bilbo used to say: ‚It is a dangerous business, Frodo, going out your door; you step onto the road and if you don’t keep your feet there’s no knowing where you might be swept off to.'“ – Würzburg, 02. März 2019
Interview: Unterbezahlter Praktikant ohne Diktiergerät
*das wäre der Name gewesen, hätte ich mich nicht darauf besonnen den tatsächlichen Namen der Bar zu nennen