Herr Peters hat heute keinen guten Tag. Es fängt schon beim Aufwachen an. Er hat die Augen noch nicht einmal ganz geöffnet, schon will er sie wieder schließen. An Aufstehen ist erst einmal nicht zu denken. Seine Nerven sind von allem strapaziert, obwohl ihm heute noch garnichts passiert ist – außer die Augen zu öffnen. Womöglich liegt ja darin das Problem. Er hätte die Augen geschlossen lassen sollen, dann hätte ihn dieser Tag in Frieden gelassen und alles wäre in Ordnung gewesen. Nun ja, jetzt ist das Kind schon in den Brunnen gefallen.
Was für ein Brunnen eigentlich? Was ist das denn für ein blödes Sprichwort? Herr Peters merkt flammende Wut in sich aufsteigen. Wer lässt denn bitte ein Kind in einen Brunnen fallen? Was für Menschen sind das? Und es reicht ja nicht, ein Kind so zu quälen, NEIN, es muss ja auch noch ein Sprichwort daraus gemacht werden. Herr Peters hasst die deutsche Sprache an diesem frühen Morgen aus ganzem Herzen. Eine Sprache, die so etwas produziert, kann ja nichts sein!So liegt er in seinem Bett, außer Augen öffnen ist noch nichts passiert, und trotzdem hat Herr Peters keine Lust mehr. Langsam fühlt er die Wut abebben und freut sich vorsichtig. Doch die Freude ist nur von kurzer Dauer, denn die Wut wird durch Niedergeschlagenheit abgelöst. Fast wie bei einem Staffellauf. Herr Peters versteht sich und die Welt nicht mehr. Im einen Moment grundlos wütend, jetzt komplett niedergeschlagen. Im Gegensatz zur flammenden, brennenden Wut fühlt er sich nun schwer, bleiern und kraftlos. Über ihn legt sich eine schwere, dunkle Glocke, die ihm die Luft nimmt. Herr Peters ist zu keinem klaren Gedanken fähig. Er kann sich nicht einmal mehr über den Wechsel der Gefühle wundern. Ihm erscheint jegliche Gefühlsregung zu viel, zu anstrengend zu sein. Alleine an das Aufstehen zu denken, ist ein Ding der Unmöglichkeit.
Herr Peters liegt also wie paralysiert in seinem Bett und starrt an die Decke, an der er die Unebenheiten auf der Tapete zählt. Mehr geht nicht. So liegt er eine nicht benennbare Zeit in seinem Bett. Die Zeit fühlt sich wie eine Ewigkeit an, urplötzlich wird die Glocke durchbrochen. Langsam verschwindet der Druck von seiner Brust, das Atmen fällt ihm wieder leichter. Doch das Verschwinden der Glocke bringt keine Besserung, im Gegenteil. Die Möglichkeit wieder Gedanken zu fassen, führt nicht, wie erhofft, zu positiveren Bildern. Die neu gewonnene Gedankenfreiheit mündet in Selbstzweifeln. Wie kann er nur so faul sein? Nicht einmal aufstehen schafft er. Ist doch klar, dass es ihm dann schlecht geht. Ist einzig und allein seine Schuld. Schließlich ist Aufstehen nichts Kompliziertes. Das hat er schon verdient, jetzt hier zu liegen und sich schlecht zu fühlen. So liegt er dort in seinem Bett und hasst sich selbst. Das hat ja alles angefangen, als er sich so sinnbefreit über die deutsche Sprache aufgeregt hat. In diesem Zustand verbringt er die folgenden Stunden. Seine Gedanken kreisen immer wieder um die gleichen Themen und Herr Peters zerfließt in Selbsthass und -zweifeln. Ein lautes Geräusch reißt ihn aus dieser Endlosschleife. Nun fängt er an, über dieses Geräusch zu grübeln. Was war das? Für einen Gegenstand, der herunterfällt, war es zu dumpf. Vielleicht ein Nagel der in die Wand geschlagen wurde? Diese Überlegung verfolgt ihn weitere Stunden, bis sie von extremer Trauer abgelöst wird. Herr Peters meint, den ganzen Schmerz der Welt fühlen zu können. Diese Trauer fühlt sich an, wie ein Schwarm Piranhas, der in seinem Magen wütet. Er versteht die Welt nicht mehr. So etwas haben andere, aber er ist doch nicht so einer! Er ist doch normal. So einer nicht. Herr Peters kann gar nicht wirklich gedanklich erfassen, was mit ihm passiert, was dieser Zustand ist. Denn es ist kein Gefühl,es ist ein Zustand der seelischen Aufruhr. Er kämpft noch bis spät in die Nacht mit diesem Zustand, bis er schließlich erschöpft in einen unruhigen, von Albträumen geplagten Schlaf fällt. Aber Herr Peters ist nicht so einer.