Ausgabe 04

  • 01/03/2020

Vorwort #4

. . .to get a better understanding of possible attacking points and weak spots of the network we take a look on the actual chain structure. The structure enables three different identification possibilities for individual blocks. The first possibility of identification is through the individual hash (or identification number of the block) of each block. “One of the most popular hashing functions used in cryptography today is called Secure Hash Algorithm 256, or SHA-256 […]. Developed by the National Security Agency, SHA-256 is the hashing function that powers Bitcoin” (Guzzetta, 2018). This hash, however, is depending on the content of the block header and will change when some of the content in the block header changes. We remember that the “previous block header hash” (sometimes also called “reference”) points to and is identical with the overall hash of the previous block, and that this overall hash is dependent on and changes with the own reference in its own block header.If the content of a block is being altered, for example by adding a new transaction, it is then inevitably that the overall hash of the block is changing as well, leading to a break in the chain structure.2 Such altered block interrupts the chain and makes all following blocks invalid, shortening the chain. To maintain the length of the chain while tampering with it, one would need to compute all hashes of all subsequent blocks which would require immense computing power and is therefore very unlikely to succeed. The second possibility to identify a block in the BC is the so called “block height”.3

1Hoser & Fulbright, 2016.

2Siba, Tarun, & Prakash, 2016. 

3Bitcoin.org-Developer-Guide, 2018.


In the presence of your absence
Every word is gone
The free spirit dives alone
Into the abyss of his world
Challenged to overcome
Any obstacle that emotion and thought could bring
Yet stays in every state
In the same second Half full
And still empty


An die Redaktion

Hochgeschätzte Redaktion,

mit Freude habe ich jede Seite dieser dritten Ausgabe dieses literarischen Pamphlets verschlungen, studiert, bedacht und zerlesen. Mit Freude vernehme ich das die Zeitschrift expandiert und in wenigen Wochen die neue Ausgabe zu erwarten ist. Um wenigstens einmal meinen qualifizierten Senf dazuzugeben habe ich folgendes zu verlautbaren:

Ein Lob Michel Müller für „Hinter Angeln“, eine intelligente Geschichte, insbesondere die Pointe lässt sich als literarisch wertvoll und dabei sehr geistreich bezeichnen. Während der Handlung habe ich die konkrete Wahl der Stilmittel und die Intention hinter den gewählten Szenen jedoch nicht immer verstanden. Auf jeden Fall ein Text, den man noch das ein oder andere Mal zur Hand nehmen kann.

Bei dem Text über die Mühlenwurst handelt es sich zweifelsfrei um einen didaktisch sauber aufgearbeiteten Fall, die Moral ist doch wohl aber recht schwach, schließlich bekommt man dieses „Wir sind alle Rädchen im Getriebe der Konsumindustrie“ in Zeiten alternativer Alternativ-Lebensstile schon mit dem Schnuller eingesaugt.

Ich finde es sehr Sympathisch, das der Herr Tante bzw. sein Protagonist einen Notizblock besitzt. Sieht man heute selten diese guten alten Vertreter der analogen Notiz.

Der Herr Bauer sollte mal einen Arzt aufsuchen. Wer derart verstörende Texte schreibt, ist entweder hochintelligent oder als Kind ein bisschen zu oft mit dem Fahrrad hingefallen. Beides höchst beunruhigende Möglichkeiten in meinen Augen …

Mich würde interessieren was diese ganzen Zeichen im Text von Kilian Manger bedeuten, ist das irgendwie für Instrumente? Auf jeden Fall ein sehr geschmeidiges und sympathisches Stück Literatur.

Die Hattendorf hat etwas drauf, eine inspirierende Herangehensweise einen Plot von vielen Seiten zu beleuchten.

∗ ∗ ∗

Es würde mich freuen würden sie die ein oder andere Kritik weiterleiten. Schließlich geht es in diesem Projekt um Literatur, und Literatur gehört besprochen, diskutiert, verrissen und aus den Fetzen wieder zusammengesetzt. Solange uns das Feuilleton der „Zeit“ noch nicht bespricht, müssen wir uns selbst besprechen, anregen, vernichten und erbauen. Das macht das Kollektiv aus und daher rege ich explizit die kollektive Beschäftigung mit diesem literarischen Stoff an! Leiten Sie das so weiter alter unbekannter Freund, vermutlich nur Produkt eines KI-Projektes von Google.

Anbei erhalten Sie einen Text für die vierte Ausgabe, den ich im Oktober des letzten Jahres unter dem Eindruck von Julian Barnes „Der Lärm der Zeit“ schrieb, überdies ein hervorragendes Buch!

Geschätzt und verlacht,
mit vorzüglicher Hochachtung
Ihr allseits treu vergebener

Karl Ziegler


Aus drei Nächten

I. Die Zofe

Du warst die Zofe des Patriarchen. Der Patriarch war klein, fast ganz kahl, und kämmte die letzten Strähnen über. Der Patriarch schlief mit meiner Mutter. Ich hörte das Stöhnen jede Nacht durch die Seidenwand. Das tat weh, aber ich hielt es aus. Dann trug mir jemand zu, dass du auch zu ihm gehen musst. Zudem würde er dich in die Steinwüste schicken, um die Besorgungen der Sklavenmädchen zu machen. Und das bei deiner Verfassung. Da nahm mein Hass überhand.

Ich ging zum Patriarchen und verschaffte meiner Empörung Luft: „Warum mutest du ihr diese Torturen zu, du widerliches Schwein?“ Der Patriarch lächelte milde. Darauf war ich nicht gefasst. Er legte vertrauensvoll den Arm um mich. Er stank aus dem Mund. „Mein Sohn, du musst wissen, das passiert alles auf die Bestrebungen Dagmars hin!“ Und obwohl mir das gewaltig den Wind aus den Segeln nahm, war ich fast sicher, dass er sich diese Dagmar nur ausgedacht hatte.

II. Heute habe ich Personal da

Ich musste mich anders hinlegen, weil mir der Schwanz wehtat. Auf der rechten Seite gings. So hatte ich jetzt auch meinen kleinen Bruder besser im Auge. Der hatte sich auf den Bauch gedreht und schnarchte ein bisschen. Bei kleinen Kindern ist das noch nett. Er schien so tief zu schlafen, wie mir das seit Jahren nicht mehr gelungen war. Ich machte den Fernseher trotzdem ein bisschen leiser, ich wollte auf keinen Fall, dass er mitbekam, was ich mir für einen Trash ansah. Ich griff mir in den Schritt und stöhnte ein bisschen dabei. Nein, das wäre auch zu heikel jetzt. Wochenlang würde er mich auslachen, wenn er mich erwischte. Der Spott war oft seine einzige Waffe gegen mich. Was sollte er auch machen? Ich füllte meine Rolle als defekter Patriarch so gut aus wie ich konnte, aber manchmal vergriff ich mich doch in den Mitteln, und körperlich konnte er noch immer nichts gegen mich ausrichten.

Als er ganz klein gewesen ist, habe ich mir mal einen Wecker auf drei Uhr nachts gestellt und ihn mir direkt unter das Kopfkissen gelegt, so dass nur ich den Alarm hören konnte. Damals haben wir uns noch ein Stockbett geteilt, ich oben, er unten. Das Bett knarzte wie verrückt, egal wie sehr ich mir auch Mühe gab, wie ein Ninja rückwärts die Leiter runterzuklettern. Da lag er auf dem Rücken, ganz weich und rund noch, mit kindlich offenem Mund. Süß sah er aus in seinem weißen Schlafanzug mit den kleinen Clowns drauf.

Neben seinem Gesicht lag ein roter Edelstein, Jaspis hatte die Mutter den glaub ich genannt. Der sollte ihn beruhigen beim Einschlafen (sogar aus dem Hochstuhl war er mal gefallen wegen seinem nervösen Gezappel). Ich hatte kurz an der Decke des Bruders gerochen. Alles ok heute. Dann hatte ich meine Daumen ganz vorsichtig auf die Augenlider des Bruders gelegt und sie hochgedrückt. Die Augäpfel hatten zuckend in den Höhlen rotiert, jeder für sich in unterschiedliche Richtungen.

Überhaupt beklemmend, mit anderen Menschen in einem Mietshaus zu leben, nur durch dünne Wände und alte Holzpforten getrennt, dachte ich mir jetzt. Vom Treppenhaus aus sieht man so gut wie nie Licht von den Wohnungstüren, was machen die Leute dahinter? Und ich muss mir dieses winzige Zimmer mit einem erwachsenen Mann teilen. Ich liebe ihn, natürlich. Aber wenn er immer da ist? Jetzt raffte ich mich halt doch auf, schön würde das nicht werden, schon klar. Aber ich musste jetzt wirklich ins Bad. Das Kichern und Stöhnen von drüben, aus dem kleineren Zimmer nebenan, in dem unsere Mutter lebte, und von dem uns nur eine dünne Durchgangstür trennte, die nicht richtig schloss, ignorieren so gut es geht. Meine staubige Pritsche fühlte sich ausgeleiert an, als ich mich aufsetzte, natürlich hatte ich dem Bruder das bessere Bett überlassen. Ich streifte ihn mit einem beklommenen Blick; er sah aus wie die bessere Ausführung von mir selbst. Jetzt raus aus der knarzenden Tür. Ich stand auf dem weißen Flur, alles ausgeräumt und weiß und karg, da war ich mal stolz drauf. Warum müssen die Leute ihren Scheiß überall liegen lassen? In die Küche mochte ich gar nicht schauen, das bunte Hippiezeug überall.

Ich roch den Mann schon vom Flur aus, ich musste wirklich dringend ins Bad jetzt und sollte mich nicht zum anderen Zimmer hin umdrehen, das wusste ich genau, ging aber nicht. Die Tür war eine Hand breit geöffnet. Auf dem Bett der Mutter lag ein halbwegs gut gebauter Glatzkopf auf der Seite und wimmerte vor Lust. Die Schemen zweier blonder Frauen wichsten ihn ab. Ins Bad, Tür zu, ok. Das Bad ist grün gefliest und relativ sauber. Aber auch hier hatte er seine stinkenden Sachen verteilt. Ich erleichterte mich in das erste der drei grünen Waschbecken, ich ließ das Wasser die ganze Zeit aus dem Hahn rauschen, aber die Fickgeräusche dämpfte es nicht völlig ab. Ich beugte mich weit vor und roch das fettige Salamibrot, das auf der Beckenkante liegengeblieben war. Warum hatte sie nicht wenigstens den Anstand, die Tür zuzumachen?

Ich arbeitete mich zum nächsten Becken durch und wusch meine Unterhose aus, so gut es eben ging. Wieder Jauchzen und Stöhnen von drüben. Mir reichte es jetzt, ich stürmte raus aus dem Bad, wild entschlossen, ihr die Scheißtür vor der Nase zuzuknallen. Aber das war schon besorgt worden, vermutlich von ihm, dem Einzigen hier mit gesundem Menschenverstand. Durch die geschlossene Tür hörte ich jetzt nurmehr gedämpftes Kichern aus dem Zimmer, und, von weiter hinten, eine ganz geschäftsmäßige Stimme obenauf. „Sehe ich genauso …“

Mir schwand alle Farbe aus dem Gesicht und ich musste mich am Türrahmen festhalten. Das konnte gar nicht sein, völlig unmöglich. Was machst du denn hier? Klar, ich hatte deine blauen Pumps schon vorhin auf dem Flur gesehen, aber die standen da ja immer. Ich taumelte zurück in mein Zimmer. Unsere Mutter hatte die Durchgangstür jetzt geöffnet, der Bruder lag zusammengekrümmt in einer heißen Pfütze auf seiner dreckigen Pritsche und wimmerte leise. In ihrem leidlich zurechtgezupften Leoparden-Bodysuit torkelte sie jetzt zu uns herein und lallte: „Tut mir leid, heute habe ich Personal da!“

„Na, das ist ja nichts Neues!“, brabbelte ich resigniert vor mich hin. Ich beachtete meine Mutter auch nicht weiter, ich war dergleichen wirklich gewohnt. Aber der Gedanke daran, dass du hier zusammen mit ihr wildfremde Typen fickst, während ich fest davon überzeugt bin, dass du zuhause krank in deinem Bett liegst; und ich verzehre mich hier nach dir!

Ich kämpfte den Impuls nieder, mich zum Bruder hin in die Pisse zu legen und mit ihm zu weinen. Schließlich war ich fast Vierzig Jahre alt, und von mir wurde erwartet, dass ich Haltung bewahrte.

III. Zur Rechten liegt Hessen

Wie die Jahre voranschritten, fiel es Jonathan zunehmend schwer, nachts aufzustehen. Der zähe Nebel im Kopf, dazu das Brennen in der Stirnhöhle. Unter Leibschneiden richtete er sich auf. Es war kalt, eine Heizung gab es ja nicht, und für gutes Holz, das die ganze Nacht über durchglühen würde, fehlte ihm das Geld. Die nackten Füße auf den splittrigen Dielen, so saß er einen Augenblick lang auf der Bettkante und vergrub sein Gesicht in den Händen. Der Weinkrampf, der ihn jetzt eigentlich durchschütteln sollte, blieb aus, anscheinend wirkten die Tabletten doch allmählich mal.

Der Deutschunterricht finge heute erst zur dritten Stunde an, das war ganz angenehm. Aber lohnte es sich noch? Den Mathe-Stoff der letzten sechs Wochen hatte er versäumt, man konnte das ohne enormen Kraftakt gar nicht mehr aufholen. Die Schulleitung empfahl bei einer solchen Lücke für gewöhnlich, die Jahrgangsstufe zu wiederholen. Und im Hinterkopf immerzu der bohrende Gedanke: Ich habe mein Abitur seit Jahren in der Tasche, wozu sich jeden Tag zur Hauptschule hinquälen? Aber gar nicht mehr in die Schule gehen, das war der Mutter nicht zu vermitteln.

Nach fünf Fehlzündungen startete das alte Hercules-Mofa, das ihm der Onkel in unverständlichem Großmut geschenkt hatte, schließlich doch. Lange hatte er sich für den Lärm mitten in der Nacht geschämt, aber seit ein paar Monaten war ihm das auch egal. Im Standgas und ohne einen Gang einzulegen, rollte er den steilen Hof runter zum Tor, vorbei an den verdorrten Rosenbeeten. Zur Rechten lag Hessen, wohin er musste. Aber das ging heute nicht, vielleicht würde es nie mehr gehen. Also in die andere Richtung. Im Oberdorf fuhr er sehr langsam, mehr um sich selbst zu schonen als den löchrigen Kolben. Als er am Dorfplatz mit der historischen Viehwaage vorbeifuhr, wäre ihm fast ein Lächeln übers Gesicht gehuscht. Wie oft hatte ihn die Dorfjugend ausgelacht, wenn er in der Nacht von Freitag auf Samstag zur Arbeit gefahren ist, während sie alle dort noch rauchend und trinkend auf den spuckestarrenden Bänken rumgelungert hatten, diese Wichser.

Als er das letzte Haus des Dorfes passiert hatte, schaltete er hoch in den Dritten. Das Haus gehörte seinem Großvater. Der hatte das schon fertiggebaut und vier gesunde Kinder gezeugt, als er noch in seinem Alter gewesen war. Jetzt kamen bis Schneppenbach gar keine Lampen mehr, und um diese Uhrzeit begegnete man auch keinem Auto. Rechts rauschte der Fluss, links oben lag schwarzer Wald, da versuchte er nicht hinzuschauen. Das Mofa dröhnte zwischen seinen Beinen. Er wäre gerne immer weiter gefahren.

Das Wummern der Pflastersteine unter den Reifen ließ ihn hochschrecken. So ein Schwachsinn. Als man sich hier zwischen den Käffern noch über schlammige Feldwege mühen musste, bis in die Siebziger hinein, hatten sie in Hanau schon begonnen, den Scheiß wieder aus dem Boden zu reißen. Bald sah er das vergilbte Geschäftswappen seines Lehrbetriebs unter der trüben Laterne leuchten. Die Luft war angenehm und der Geruch, der aus der Backstube auf die Straße strömte, hatte immer etwas Tröstliches gehabt. Seine Absprache mit dem Nachbarn war nie widerrufen worden, und so parkte er das Mofa im Hof gegenüber, direkt vor dem alten Kuhstall. „Hier hilft ein Mengele-Aufzug“, stand da auf einem Schild aus Blech.

Die Gesellen grüßten ihn knapp, als er zum Hintereingang der Backstube hereinkam. Das war nicht immer so gewesen. Mann hatte sich daran gewöhnt, dass er hier aushalf um sein Studium zu finanzieren, und die Männerkonflikte von früher gerieten allmählich in Vergessenheit. Er hatte sich ihnen gegenüber, das musste er irgendwann einsehen, manchmal aufgeführt wie ein Psychopath, und welcher erwachsene Mann konnte es schon auf sich sitzen lassen, von einem Teenager vorgeführt zu werden. Er war jetzt ohnehin meistens am vorderen Ofen zugange, der schon zum alten Teil der Backstube gehörte, bevor der junge Meister den Betrieb hatte modernisieren lassen, da trat man sich nicht auf die Füße. Hier hatte sich in den letzten 30 Jahren kaum etwas verändert, nur die alten Stikkenöfen waren durch moderne Gärunterbrecher ersetzt worden. Die Verkäuferinnen, die um fünf anfangen mussten und allmählich eintrudelten, flirteten mit ihm und hatten auch sonst Besseres zu tun, als sich in die Angelegenheiten der Männer einzumischen. Sie lächelten nett und waren angehalten, den Verkauf anzukurbeln. Die engen Mieder und hochgeschnürten Brüste taten ihr Übriges.

Nach einer knappen Stunde hatte er die alte Backstube komplett aufgeräumt, alle Bleche geputzt, die Industriespülmaschine dreimal befüllt und den Boden gekehrt. Das konnte er alles noch, und es ärgerte ihn, wie schlampig hier sonst gearbeitet wurde, auch, wenn ihn das eigentlich gar nichts mehr anging. Das Gassenhauer-Brot hatte er schon ausgeschossen; er ging von 290 Grad runter auf 180, damit der Plunder nicht verbrannte. Er schwitze und fühlte sich wohl. Ab und an übersah der Chef seine Arbeit, aber eigentlich konnte er machen, was er wollte. Als er hier angefangen hatte, waren die Haare des Meisters noch schwarz gewesen. Jetzt trug er die weißen Strähnen halblang, wie ein alternder Hipster, der den Verstand verloren hatte. „Du siehst glücklich aus, Michael“, sagte er zum Chef, um etwas Konversation zu machen. Auf das „Du“ hatte er zwei Jahre warten müssen, und vor den Gesellen sagte er bis heute „Herr Schickling“. Der einfache Mann grinste betreten, dann lehnte er sich gegen den Ofen und schloss müde die Augen. „Ich sehe das hier eigentlich nicht mehr als Arbeit …“, sagte er, und es war kaum auszumachen, ob das jetzt etwas Positives aussagen sollte oder nicht. Dann ging der Chef zurück ins Büro um seine Partie Solitaire fertig zu spielen.

Er backte den Plunder fertig aus und drapierte die Bleche sorgsam in die Stikkenwägen. Aprikotieren sollte der Lehrling. Noch schnell den Ofen aushudeln und gut. Im Bad setzte er sich aufs Klo und wusch sich notdürftig mit einem alten Handtuch. Im zweiten Lehrjahr war er für ein paar Wochen absichtlich eine halbe Stunde zu früh gekommen, um dort vor der Arbeit zu meditieren und ein paar Kekse zu essen. Irgendwann wurde das dem alten Meister, Roland Schickling, der außer bei den Lehrlingen im Betrieb nichts mehr zu melden hatte, zu bunt. Er hatte gegen die billige IKEA-Tür gehämmert und gebrüllt: „Oben frisst er es rein, unten kommt es wieder raus!“ Darüber war er damals sehr erschrocken und kam fortan pünktlich. Aber jetzt war Roland vom Krebs zerfressen, da konnte er sich ruhig Zeit lassen im Bad. Als er mit waschen fertig war, wechselte er noch ein paar belanglose Worte mit dem drallen Lehrmädchen Jolene, und wollte schon gehen, aber Frau Pflanz, die hier nach wie vor die Bücher besorgte, hielt ihn auf. Er möge sich die Haare schneiden lassen und nicht so finster aus der Wäsche schauen. Das hatte er immer gehasst, wenn die Leute das sagten, sein Gesicht sah halt so aus. Aber Frau Pflanz trug ab und an hohe Schuhe und schwarze Tangas unter ihren hellen Hosen, da hatte er sich bestimmt hundert Mal einen drauf runtergeholt. „Ja, Frau Pflanz, ich bin halt ein trauriger Typ …“. „Na, du bist mir einer!“, lachte sie, und kraulte ihn ein bisschen am Hinterkopf. Er wurde knallrot und spürte, wie ihm das Blut in den Schwanz schoss. „Ich muss jetzt wirklich los, Frau Pflanz …“. „Du kannst jederzeit wieder Vollzeit hier anfangen!“, rief sie ihm hinterher, als er die schmierige Alutür zum Hinterhof aufdrückte.


Berghaare

Zwei Frauen wandern in den Karpaten, das ist ein Gebirge in Mitteleuropa. Sie finden eine Stelle, wo Haare aus dem Berg wachsen. (Schön, oder?) [Eben nicht.] (Vielleicht ist das eine Pflanze.) [Oder eine Leiche liegt dort vergraben. Komm wir gehen weiter.] (Das ist ein Naturphänomen!) [So ein Blödsinn.] Die Frau, dessen wörtliche Rede mit runden Klammern umrahmt wird, heißt C. Die Andere heißt E. C kniet sich hin und streicht mit der Hand durch die Berghaare. Ein Wind weht und biegt die Fichten des Berges. Unweit rauscht ein Bach. Es riecht nach irgendwelchen Pflanzen, aber auch süßlich, vielleicht wegen den Haaren. (Ich weiß nicht, wieso du in die Karpaten wolltest, wenn du sofort Angst vor der Natur bekommst.) [Das ist keine Natur, das sind Haare!] (Sind Haare nicht auch Natur? Tiere haben auch Haare.) [Bei Tieren heißt das Fell, glaube ich. Komm, wir gehen jetzt.] C lässt sich diesmal überzeugen und sie steigen weiter Richtung Bergspitze. [Ist dir schon aufgefallen, dass uns noch niemand begegnet ist heute?] (Das ist klar.) [Mein Rücken ist eigentlich verschwitzt.] (Schau, schon wieder Haare.) [Eklig.] (Aber das beweist doch, dass es keine Leiche sein kann!) [Außer es sind viele Leichen! Überall wo wir hingehen, ein Berg aus Leichen.] (Jetzt erfindest du wieder etwas. Schau dich doch um, das ist schön. Die Landschaft und ein Naturphänomen.) [Na gut, ich habe eine Tüte. Packen wir etwas ein.] C reißt Haare raus. (Die haben sogar Wurzeln.) [Komisch, zeig her.] (Ja, komisch.) [Voll … komisch.]


Californication

Die tiefstehende Sonne, unsere mindestens genauso tiefstehenden Augen und Rims Versuch bei 120 Stundenkilometern mit seinen Knien zu lenken, während er unseren dritten Joint rollte, waren einfach zu viel. In einer langgezogenen Linkskurve verließ uns das Glück und wir schlitterten brüllend dem Straßengraben entgegen. Funken flogen, als die Ölwanne riss. Rim, der mitten im Drehvorgang erstarrt war, blieb auf dem Gaspedal. Er gab mir das Rollpapier und das Gras, das wir in Mittenwald bei einem Gitarrenbauer gekauft hatten, und umschloss mit beiden Händen das Lenkrad. Es war ein Kampf zwischen Mensch und Maschine. Wer nun gewinnen würde, war unklar. Ich wusste nicht, was Rim im Sinn hatte, wobei ich schwer davon ausging, dass er das selbst nie so genau wusste. Das Auto hatte zwei Möglichkeiten. Entweder es ergab sich seinem Schicksal, aber konnte so zwei seiner Insassen mit in den Tod nehmen oder es hatte ein Gewissen und würde uns irgendwie zum Stehen bringen.

Nach 12 Leitpfosten, die wir vom Straßenrand rasiert hatten und einer Rechtskurve, in der wir die Straße querten und über den kleinen Wassergraben hinweg flogen, kapitulierte das Auto und wir standen; hinter uns eine Schneise der Verwüstung. Ich schwitzte wie ein Schwein, starrte nach vorne und ich wusste mir nicht anders zu helfen, als den Sonnenstrahlen entgegen  zu brüllen. Weit und breit war niemand zu sehen, also hoffte ich, dass wir zumindest etwas Zeit hatten, uns aus dem Staub zu machen. Ich drehte mich zu Rim hinüber, der kurz mit seinen Fingern knackte, bevor er die Fahrertür aufstieß und sich streckend außerhalb des Autos aufbaute.

„Aaaaah, schau mal, Mats! Die Sonne grüßt uns“, Rim lachte traurig. „Sie grüßt uns.“ Er drehte sich zu mir um, der ich noch immer mit schockgeweiteten Augen durch die verdreckte Frontscheibe starrte. Einzig meine Hände taten so, als wenn nichts gewesen wäre und rollten weiter. Ich konnte mich an alles gewöhnen, aber jedes Mal, wenn Rim ein Auto crashte, nahm mich das trotzdem immer etwas mit.

„Junge, jetzt steig mal aus“, warf er mir lachend entgegen, „ist doch nix passiert.“

Er ging um den Wagen herum, trat gegen den Kofferraumverschluss und als sich dieser öffnete, schüttelte er den Kopf. Ich war ausgestiegen, beäugte ihn mit noch immer unsicherem Blick, schüttelte ebenso meinen Kopf und ließ das Feuerzeug klicken. Ich zog drei Mal gierig, bevor ich es in meine Hosentasche gleiten ließ und schon erreichte mich das beruhigende Gefühl, meine Anspannung löste sich und ich wurde wieder still. Rim schnalzte mit der Zunge und ich gab den Joint weiter an ihn.

Wie durch ein Wunder war uns kaum etwas passiert. Mein Nacken schmerzte und meine Augenbraue war aufgeplatzt, Rim hatte einen kleinen Schnitt auf seiner rechten Wange; aber das war es dann auch schon gewesen. Noch wundersamer war allerdings, dass unser Proviant im Kofferraum absolut unberührt war. Also wirklich unberührt. Es lag genauso da, als hätten wir ihn gerade erst dort verstaut. Wir packten also unsere prall gefüllten Wanderrucksäcke und machten uns auf den Weg über das Feld, das vor uns lag. Eine Kirchturmspitze durchbrach den Horizont und wir steuerten, unseren sakralen Leuchtturm im Auge, auf sie zu.

„Schade ums Auto, Mann. War echt gut, hat gezogen wie Sau und viel verbraucht hat es auch nicht. So ein’s werden wir hier wahrscheinlich nicht finden“, sagte Rim in die Stille hinein und reichte mir den Joint. „Jo.“ Mehr wollte ich nicht sagen und vielleicht konnte ich es auch nicht. Ich zog noch ein letztes Mal und löschte die Glut. Es war Anfang August und durchgängig heiß. Die Häuserreihen, die sich in der drückenden Abendröte verloren, kamen schleichend näher. Rim zog zwei Bierflaschen aus meiner Seitentasche und öffnete sie mit seinen Backenzähnen. Er reichte mir eine davon und so liefen und tranken wir in stillem Einvernehmen. Ziemlich parallel zu dem Weg, den wir eingeschlagen hatten, krochen vereinzelt Autos die Anhöhe hinauf und weit hinter uns hörten wir ein Martinshorn brüllen. Wir blickten uns kurz an. Ich nickte nach vorne, um Rim zu sagen, dass wir einfach geradeaus weitergehen sollten, aber er hatte schon verstanden.

Als wir an einer Kuhweide mit Elektrozaun angelangt waren und ich Anstalten machte, nach rechts um die Weide herumzulaufen, ging Rim einfach geradeaus darauf zu, trat einen instabil wirkenden Befestigungspfosten um. Er hüpfte darauf herum, bis dieser sich ihm nicht mehr entgegen lehnte und drehte sich kurz zu mir um. Rim hatte die Angewohnheit immer den kürzesten Weg zu gehen. Meistens war das sehr unkonventionell und für andere Beteiligte eher unangenehm und ärgerlich, aber ich hatte mich daran gewöhnt. Diskutieren konnte man nicht mit Rim. Die Kühe muhten gelangweilt und ließen sich auch nicht weiter von dem unscheinbar anmutenden Duo stören, das vollgepackt und zugerauscht an ihnen vorbeitrottete. Im Dorf angekommen fand sich schnell eine ältere, nette Frau, die uns zur nächsten Autobahnraststätte mitnahm, uns einen Zwanziger, sowie einen halben Korb Äpfel schenkte und winkend in Richtung Beschleunigungsstreifen davonfuhr.

„Bierchen? Und wenn du schon dabei bist, roll doch noch einen. Ich geh mal kacken. Hast du schnell fuffzig Cent? Ohne Scheiß, jetzt muss man fürs Kacken zahlen, was soll das. Ich bezahl‘ sprichwörtlich für was, was ich mir aus der Peripherie drücke. Man man … Wart mal da vorne bei den LKWs. Da bei den Glascontainern.“

Bevor ich etwas entgegnen konnte, war er auch schon außer Rufweite. Aber das machte mir nichts aus. Ich musste sonst immer reden und jetzt hatte ich Urlaub, da konnte ich ganz gemütlich still sein und niemand konnte mir was deswegen. Ich setzte mich auf eine der Bänke und der säuerliche Geruch der Flaschenleichen säuselte aus den Containern zu mir herüber. Ich öffnete die Seitentasche, zog zwei Bierflaschen heraus und stellte sich neben mich. Während ich unter der Tischplatte zu drehen begonnen hatte, schaute ich bemüht träumerisch durch die Gegend. Es war relativ viel los, aber das war immer die beste Voraussetzung für unsere Ausflüge. Eine holländische Familie zog lachend an mir vorbei. Die Mutter drehte sich um und als sie mich erblickte, lächelte sie mich an, bevor sie ihre Hand schützend auf den Hinterkopf ihres Sohnes legte und ihn mit bestimmter Vorsicht am Arm zu sich zog.

Ich öffnete eines der beiden Biere und trank mit langsamen Zügen, ließ es kurz in meinem Mund perlen, bevor ich es herunterschluckte. Ich blickte auf die Uhr. Rim war schon zwanzig Minuten auf der Toilette, aber ich wusste ganz genau, dass Rim nicht wirklich auf die Toilette gehen wollte. Rim widersetzte sich allen Plänen, auch denen, die er sich selbst setzte. Aber mir war das egal. So war wenigstens was los und diese Unbekümmertheit steckte an.

Ich kramte in den Tiefen meines Rucksacks, bis ich die Blechdose fand, die wir schon zu Beginn unserer Fahrt gesucht hatten, öffnete sie und verteilte etwas von dem Pulver auf meinem Handrücken. Die Dose verstaute ich in der Deckeltasche und das Pulver in meiner Nase. Ich musste mich für das wappnen, was schon bald kommen würde und als ich einen hektisch winkenden Rim in einem alten Volvo sah (ihr wisst schon, die aussehen wie ein Leichenwagen), wusste ich, dass ich die richtige Entscheidung getroffen hatte. Ich wuchtete beide Rucksäcke über meine Schultern, steckte mir den Joint in den Mund und öffnete die Hintertür. Mit dem Kopf voraus tauchte ich auf die Rückbank. Die Tür war noch immer offen, aber Rim fuhr extra nah an den gewaltigen LKW-Fronten entlang, bis eine von ihnen die Tür mit einem lauten Rumsen zuknallen ließ.

„Wir sind noch nicht mal vom Parkplatz runter und das Auto sieht schon wieder aus wie Scheiße, Mats. Die Tür müssen wir uns später nochmal anschauen. Bier, bitte“.

Ich richtete mich auf, was nicht so einfach war, weil mich noch immer beide Rucksäcke unter sich begruben, aber nach kurzem Ringkampf hatte ich sie dann abgeschüttelt und streckte Rim das Bier entgegen. Wir stießen an und ich kletterte auf den Beifahrersitz. Rim schnipste mit den Fingern und ich reichte ihm den Joint. Ich öffnete das Handschuhfach und der Inhalt platzte mir entgegen.

„Alter, wie hat das denn überhaupt gehalten? Da war doch safe doppelt so viel drin, wie dort reinpasst oder? Schau dir das an!“

Ich streckte Rim einen lila Dildo entgegen. Rim weitete seine Nasenlöcher und tat so, als ob er sich ihn
in die Nase stecken wollte, bevor er ihn mir entriss und aus dem Fenster über uns hinweg auf den Standstreifen warf, wo er sich noch ein paar Mal überschlug und dann unter der Leitplanke abtauchte.

„Ich flipp aus. Schau dir die CDs an!“

Und schon wummerte Around the World von den Red Hot Chilli Peppers aus den Boxen. Das MDMA fing langsam an zu wirken und ich wollte nicht, dass Rim angepisst sein würde, also holte ich die Box aus der Deckeltasche, während wir laut singend und angefeuert von Fleas Bassline mit den Köpfen nickten. Ich streckte meine linke Hand zu Rim hinüber und Rim vergrub seine Nase in meiner Handfläche, wo ich ein kleines Häufchen für ihn bereitgelegt hatte.

„I’m a Califoniaaa Kiiiiing, I swear it’s everywhere, it’s everythiiiing! Maaaaan, ich hatte das Album ganz vergessen. Scheiße, gute Zeit, Mats. Weißt du noch? Weeeißt du noch, als wir das das letzte Mal gehört haben?“.

„Ne, kann mich nicht daran erinnern. Aber ist einfach ein Album, das sich anfühlt wie tätowiert zu werden. Es tut weh, aber wenn’s dann vorbei ist, dann hat man den Schmerz wieder vergessen und man will’s wieder und wieder spüren. So ist das mit Californication.“

Wir sahen uns an und wussten, dass das, genau das hier, so nicht sein sollte. Dass man das nirgends auf dieser Welt machen sollte. Rim machte das. Immer. Ich sprang nur ein oder zwei Mal im Jahr mit auf. Aber ich schob den Gedanken bei Seite und meine Kiefer mahlten die Erinnerung nieder. Die Nacht bot uns ihren Umhang und wir nahmen ihn dankend an.


Ich stehe am Ufer,
warte auf des Fährmanns Kahn.
Das tiefschwarze Wasser spiegelt,
Hoffnung, Liebe, Wahn.

Ich trat oft an diesen Fluss,
wurde von seinem Bann gefangen,
bin im Nebel zwischen Dämonen
auf, und ab gegangen.

Bisher entkam ich der Versuchung
und widerstand dem Drang.
Diese Reise – so oft aufgeschoben –
steht nun an, mein letzter Gang.

Leise nähert sich das Plätschern
der Paddel in stiller See –
dem Wasser der Ilias Helden,
dem Trank des Feldherrn Weh.

Dem kalten Nebel enthebt er sich,
gleitet gegen den modrigen Steg.
In meiner Hand die matte Münze,
der Zoll für den finalen Weg.


Ein Schattenmann
im Sommer

Er lässt sich auf ein Ästchen nieder, sein Blick entspannt und klar.
Die Lider werden müde, der Atem ist jetzt tief.
Aus dem Nichts kommt eine Lederhand, umschließt den ruh’nden Spatz.
Ein Schattenmann mit rotem Haar, wächst aus dem Stamm heraus.
Sie seh’n sich an, sie mustern sich, der Mann, er ist ein Kind.
Ein Tränchen fällt, ein Flügel kracht, ein Seelchen schwebt hinfort. Von weit ertönt ein Mutterschrei, mein Herz, was treibst du da? Mit schnellem Schritt und stolzer Brust, eilt es der Stimm’ entgegen.
Schau her, Mama, was ich da hab, davon hast du mir erzählt.
Ein stummer Schrei, gib‘ her das Vieh, sie zu, dass keiner schaut.
Ein Grübchen in den Staub gescharrt, komm schnell, leg ihn dort ab.
Mama, Mama, was hat er denn, er ist doch nur mein Freund.
Er ist so müd’, bewegt sich nicht, du musst schön leise sein.
Das ist kein Schlaf, er wird nicht wach, du kommst jetzt mit, sofort!
Du bist zu jung, ganz eindeutig, verstehst doch nichts vom Leben.
Über manche Dinge spricht man nicht, denk’ gar nicht drüber nach.
Den Blick gesenkt, ganz schnell hier weg, wo sie war’n nur Wirbelstaub.


ekelhaftes Gefühl

Es ist ein ekliges Gefühl.

Ich sitze auf dem Bett und klebe.
Ich klebe an meiner Matratze,
kann meine Beine nicht bewegen.
Meine Arme hängen am Kissen,
ich kann sie nicht heben.
Ich weiß nicht, wo ich
aufhöre oder gar beginne. Da ist nur
die vertraute Schwere, der Stein, der
mich in den Abgrund zieht.

Wo sind meine Gefühle?

Ich hacke in leere Tasten, lerne
Stumpf auswendig und fülle die Formeln
mit Zahlen. Nichts bleibt hängen,
aber nichts will gehen. Scheiße.
Ich weiß, das ist nicht deine Schuld,
obwohl ich es mir wünsche. Und
wie ich es mir wünsche! Ich will mit
meinem krummen Finger auf dich
zeigen und die Schuld in deine stinkenden
Schuhe schieben, sie sanft ablegen.
Soll sie doch dich in den
Abgrund ziehen.

Wo ist mein Wille?

Ich trauere nicht. Ich sollte trauern.
Ich weine nicht. Ich sollte lieber weinen.
Ich weine.
Ich bin nicht sauer. Ich wäre lieber sauer.
Ich bin nicht sauer. Ich sage, ich bin sauer.

Du bist ein ekliges Gefühl.


Faul, feig

„Längst lacht niemand mehr über unsere Ironie, es wird allenfalls geschmunzelt. Selbst das ist verwunderlich, verwandelte sie sich doch gerade in den letzten zehn Jahren zu einem faden, kollektiven Partygag und zeugt kaum mehr von Esprit. Mehr noch, sie ist zu seiner sicheren Insel, einem Rückzugsort geworden, für Redner, die Angst haben. Die vermeintliche Sicherheit der Ironie rührt daher, dass alle Gesprächsteilnehmer, sobald sie enthüllt wurde, eben gemeinsam schmunzeln können, aus falschem stillem Stolz, in dieser Gemeinschaft die Realität kurz negiert zu haben und trotzdem aus keiner Rolle gefallen zu sein. Allein dieses Schmunzeln ist anspruchslos.

Kein professioneller Humorist schmunzelt heute mehr über unsere Ironie, wahrscheinlicher eher, dass sie wieder anfangen zu lachen, aber aus Ablehnung. Die Ironie behält weiterhin hartnäckig den Ruf scharf zu sein, dabei ist sie weich und flach. Die Schärfe kann eine rhetorische Figur mit komischem Effekt nicht behalten, wenn sie institutionalisiert, abgestumpft wird. Der komische Rhetor hat den Auftrag Konventionen auszuweichen. Er muss sie nicht zerstören, er lebt durch Abgrenzung zu ihnen, aber er weicht ihnen aus und tritt in die Lücken dazwischen. Wenn die Gesellschaft beginnt diese Lücken zu füllen, muss er ausweichen und neue Lücken finden oder schaffen. Tut er es nicht, so wird er konventionalisiert, er wird träge und faul und mitunter erfolgreich. Wenn sich die Gesellschaft eine seiner Figuren einverleibt, muss er sie zurücklassen und darf nicht wehmütig werden, denn die Figur hat ihren Glanz verloren.

Noch aus einem weiteren Grund ist unsere Ironie heute falsch.

Als Otto Waalkes in den 1970-Jahren den Menschen lehrte über Penisse zu lachen, war das gut und richtig, denn die Menschen konnten hier schlecht über Penisse lachen und sie brauchten jemanden, der es sie lehrte. Nur so konnten sie sich mit ihren Penissen und Vaginen und deren Miteinander auseinandersetzen. Otto Waalkes ist heute erfolgreich, faul und träge, aber er ist vor über 50 Jahren in eine Lücke getreten.

So wie Nachkriegs-Deutschland inhaltliche Lücken hatte, hat unsere Gegenwart eine Lücke in der Drastik. Die Methoden sind zu behäbig angesichts der Umstände. Wenn die Gesellschaft behäbige Methoden hat, muss der Humorist als Treter umso drastischer sein. Unsere Nudelsalat-Ironie ist nicht drastisch. Sie möchte elegant sein durch uneigentlich Gesagtes, ist aber in unserer Lage vor allem mangelhaft. Die Gegenwart von 2020 bedarf eigentlich Gesagtes und Drastik. Unsere Ironie hingegen ist distanziert, bequem und nicht zuletzt feige.“

„Möchten sie noch etwas trinken?“


Mein Haus

Ich lebe im Nebengebäude einer Wäscherei. Ständig klopfen Leute an meiner Tür, weil sie denken, dort gäbe es weitere Waschmaschinen. Das liegt nicht an mir, das liegt an der skurrilen Bauweise der Stadt. Ich hasse die Stadt und ich hasse die Leute, die bei mir klopfen und Herr Dr. Kokosch rufen (das ist mein Name … er steht in großen Buchstaben auf der Tür … die Stadt meinte, das würde reichen, um die Ruhestörung zu minimieren … wieso nicht einfach „nicht stören“ oder so?). Ich leide an einem überempfindlichen Gehör. Das verdammte Rattern und Surren der Waschmaschinen und die wiederholten Rufe machen mich fertig. Übrigens gehe ich schon seit etwa zwei Monaten nicht mehr aus dem Haus. Schließlich führt der einzige Weg durch die Wäscherei. Wer sich das ausgedacht hat, kriegt eine gekloppt. Mir ist das beim Einziehen gar nicht richtig aufgefallen, auch das mit dem Lärm nicht, ich glaube es war ein Sonntag … Heute ist Montag. Eine ganze Woche Lärm vor mir. Ich sollte wandern gehen. Gerade als ich die Tür aufschließe, klopft es, ich öffne und ein nackter Mann stolpert in mein Wohnzimmer herein. Er sieht eigentlich recht schön aus: Seitenbeleuchtung, Haare im Wind der offenen Tür, aber nackt. Ich finde jede Art der Nacktheit abstoßend. „Das ist mein Haus“, sage ich und der nackte Mann lächelt. Er sagt, er habe seine ganze Wäsche in die Waschmaschine getan und vergessen, dass er dann nackt sein würde. Dann läuft er gegen eine der Wände. „Soll ich dir eine Decke geben?“, frage ich zur Sicherheit, aber auch weil ich keine stabile Seitenlage kenne und der nackte Mann schon wieder Anlauf nimmt. Der Mann knallt gegen die Wand, dass es mir schmerzt und kippt um. Er liegt auf dem Boden und strampelt und weint. „Sie haben mich ausgelacht“, ruft er und ich sage, er solle nicht so schreien, in meinem Haus. Also kriecht er Richtung Wäscherei zurück. „Das ist gut!“, sage ich, um den nackten Mann aufzumuntern. Er dreht sich im Kriechen immer wieder zu mir. Dann hat er es geschafft. Er ist bei der Tür. Er rappelt sich auf und läuft weg. Ich schließe die Tür wieder zu und steige durch ein Fenster hinaus, laufe aus der Stadt in die Berge zum Wandern und fort.


Menschen | geben |
Macht |
Menschen | gemacht

Das Narrativ spricht [ausladend, einladend, beladen, schrill und gemein(sam)]:

Willkommen bei den Sprachspielen 2020!
Ziehen Sie die Schuhe aus, steigen Sie in den Ring!
Wir sehen Ihnen von der Tribüne aus zu.
Wir zählen (wetten? wetten!) auf Sie.
Worum Sie kämpfen- äh spielen?
Um die gesellschaftliche Ordnung, Ihr eigenes Schicksal
und die Lebensrealitäten all derer, die Sie lieben.

 

Auch ich war ein Mund, durch den etwas gesprochen hat.

Quellenverzeichnis: für die Gliederung maßgebend war Berger, Luckmann, Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit und für die Theorie der Begegnung Kristeva, Fremde sind wir uns selbst. Geschichten sind Fahrzeuge und diese haben mich hierhin gebracht


Nevati Home 2152

Peter:
— Sir, wir haben die vorgesehene Tiefe erreicht. Das erste Glied unserer Kette sollte zu uns stoßen, damit wir einen neuen Zyklus beginnen können.
— Pen, haben Sie Peter gehört.
— Ich mache mich gleich mit Jane auf den Weg. Wie sind die Lichtverhältnisse – noch zumutbar?
— Es wird schwierig Details zu erkennen die weiter als 20 Meter entfernt sind.
— Ich werde dann das Notlicht an meinem Schutzanzug aktivieren. Aber die Batteriezeit reicht dann nur für 45 Minuten.

Major:
— Steven hat Ersatzbatterien vom Pathfinder mit genommen. Wenn sie seine Position passieren, rüsten sie sich mit neuen Batterien aus und wechseln sie am besten schon 30–35 Minuten.
— Guter Vorschlag, Sir.

Pen hielt sich an die Anweisung des Majors und nahm neue Batterien von Steven mit. Steven schlug vor, die Batterien unter der Extrabeleuchtung von Jane zu wechseln, wenn sie an Pen vorbeigeht, um ihre neue Position in dem Zyklus einzunehmen. Nach 1 Stunde 50 Minuten erreichte Pen die vorderste Spitze der Kette.

Pen:
— Jane, ich habe meine neue Position erreicht. Würdest du zu mir aufschließen. Ich brauche deine Lichter, um meine Batterien zu wechseln.
— Ich bin spätestens in 30 Minuten bei dir, Pen.
— Jane, ich kann zum ersten mal blaue Punkte in dem grünen Silininmuster an den Wänden hier erkennen.
— Leuchten diese phosphorartig?
— Ich bin mir nicht sicher, warum ich sie bei diesen Lichtverhältnissen überall an den Wänden hier erkennen kann.
— Dann kannst du ja eine Probe vom Boden in der Nähe der Wände entnehmen. Wir werden den Energiegehalt der Gammastrahlung messen, ob es sich auch um Silinin handelt oder es nur ein gemischtes Erz ist. So tief im Boden haben wir das noch nie gemessen.
— Mir ist etwas schwindlig, Jane. Nimmt der Sauerstoffgehalt auf dieser Ebene immer mehr durch den erhöhten Druck der Stickstoffatmosphäre ab laut deinen Instrumenten?
— Bei mir in der Nähe ist der Sauerstoffgehalt nur leicht unter dem den bisherigen Ebenen. Aber ich messe wieder seismische Aktivitäten tief im Untergrund.
— Jane, besteht akute Gefahr von einem erneuten Beben?
— Noch sind die Wellen sehr seicht. Ich kann überhaupt kein Epizentrum erkennen. Aber du solltest dich immer regelmäßig melden und allein nicht weiter in die Tiefe eindringen.

6 Minuten später. Pen:
— Jane, bist du noch weit weg? Hier passiert was mit der Struktur der Wände. Die blauen Punkte fangen an die grünen Wellen des Silinin immer mehr einzukreisen, wenn ich mir das hier unten nicht einbilde.
— Pen, meinst du damit das das Silinin sich nun stärker bewegt und anfängt Kreismuster zu bilden?
— Ich bin mir nicht sicher, ob ich gerade meinen Augen trauen kann.
— Pen, du kannst den Filter für Sauerstoff mit der Sauerstoffversorgung des Anzugs verbinden, um eine bessere Atemluft innerhalb des Schutzanzugs zu erzielen. Das ist genauso wie bei den Anzügen für den Orbit. Konzentriere dich darauf. Ohne Sauerstoff kannst du dich bald auch nicht bewegen.

Pen:
— Jane, die blauen Punkte drehen sich jetzt schneller und gewinnen Distanz zu mir. Kannst du irgendeinen Ausschlag auf deinen Geräten wahrnehmen.
— Ich bin in 2 Minuten da. Konzentriere dich nicht auf das Muster, sonst verlierst du noch das Gleichgewicht.
— Jane, kein Scheiß, ich kann an der Wand vor mir eine Sternkonstellation erkennen – es ist der Schwan. Die blauen Punkte sind nun Sterne und Planeten geworden.
— Pen, entferne dich schnell von der Wand und komm in meine Richtung. Auf diese Weise sind die Bergleute im westlichen Anbaugebiet unseres ersten Einsatzes verschwunden.
— Jane, der Boden fängt an zu vibrieren. Die grünen Wellen formen sich zu einem Kreissegment mit vier stark leuchtenden Punkten.
— Pen, leg dich auf den Boden und bleib weg von den Wänden. Es gibt einen seismischen Schub.

Pen:
— Jane, ich kann vier Gestalten an der Wand mit den Leuchtpunkten erkennen, wie bei einer Höhlenmalerei nur das die Bilder immer größer werden.
— Pen, entferne dich sofort von deiner Position. Ich kann dich nur noch als Silhouette erkennen und der Boden fängt an bei mir stärker zu vibrieren.
— Jane, sag dem Major, dass…

Vier Gestalten in dunklen Schutzanzügen, die er ein einiges mal auf der Marsbasis gesehen hat, tauchten 6 Meter vor Pen in einem hellen Lichtblitz auf. Er sah wie ein Art Gewehr in seine Richtung zeigte. Als er sich auf den Boden werfen wollte, sah
er nur noch wie ein blauer Lichtkreis die Spitze des Gewehrs erhellte. Nicht mal eine Sekunde später war Pen bewusstlos auf dem Boden.
Pen erwachte in einem grün beleuchteten Raum. Er hatte jegliches Zeitgefühl verloren – er konnte Stunden so dagelegen haben, aber auch Tage…

Als er sich wieder etwas bewegen konnte, erkannte er Jane auf einer gleichgebauten Liege neben sich liegen. Es schien, als seien die beiden entführt worden. Nach einer vermutlichen viertel Stunde, ging die Tür, die als Tür vorher nicht zu erkennen war, nach oben auf und zwei Platten, die belegt waren mit Brot, Käse und unbekanntem Gemüse, wurden hineingetragen von einer Person im dunklen Schutzanzug: Essen, sagte die Person in einem unbekanntem Dialekt. Die Person entfernte sich und die Tür ging automatisch zu, ohne dass die Person einen Mechanismus berührt hatte oder ein Wort aussprach.

Pen probierte, das sonderbar aussehende Gemüse (dem Geschmack nach zu urteilen). Es schmeckte fremdartig, aber sehr vitaminhaltig und insgesamt nicht schlecht.

Doch Pen dachte beim zweiten Bissen, es wäre richtig mit Jane zusammen zu essen, da sie in der gleichen Lage sind.

— Jane, wach auf Jane.

Sie hörte ihn scheinbar nicht. Pen umfasste mit den Händen ihre beiden Schultern und versuchte sie wachzurütteln.

— Pen, nicht das Muster anschauen… entferne dich von den… Pen, wo sind wir.
— Das weiß ich nicht genau, da ich vor rund einer viertel Stunde selbst aufgewacht bin und mich in diesem Raum befand. Aber es gibt was zu essen. Und so wie das Essen serviert wurde, können wir uns derzeit nur als Gefangene betrachten.
— Pen, es gibt gar keine Tür hier… also wo kam das Essen her?
— Doch es gibt eine Tür da, wo die zwei Platten mit Essen stehen. Aber ich vermute mal sie ist nur von außen sichtbar. Und das einzige, was ich sicher weiß, ist, dass sie automatisch nach oben aufgeht.
— Sind wir jetzt innerhalb eines Ufos?
— Das kann gut sein oder sind wir auf einer Basis im Untergrund von Mars?

Nach dem Abendessen passierte so ca. 45 Minuten gar nichts, dann tauchte ein holografischer Bildschirm in der Mitte des Raums auf. Ein Mann mit dunkelbraunen Haaren und Augen mit einer rötlichen Iris war darauf zu sehen.

— Ich bin Schanuk, der Kommandant dieses Schiffes. Sie beide sind nur vorübergehend meine Gefangenen oder sagen wir besser Gäste wider Willen – bis sich der Zweck des Aufenthaltes von Erdenmenschen auf dem Planeten Mars geklärt hat. Wie darf ich Sie anreden (Er sprach die irdische Sprache mit einem nur leichten Akzent).

— Ich bin Pen.
— Und ich bin Jane. Dürfen wir fragen wo ihre Rasse her ist?
— Vom Mars.

Eine halbe Stunde später betraten Schanuk und zwei Bewaffnete seiner Besatzung den Raum. Schanuk war der einzige der den Helm absetzte. Zu seiner Linken war wohl eine Frau, den ihr braun-rötliches Haar passte nicht ganz unter den Helm. Schanuk: Wir wissen aus sicherer Quelle, dass die Erdenmenschen ihre Anzahl auf dem Planeten Mars erhöhen wollen. Gibt es dafür einen vernünftigen Grund?

Pen:
— Der Planet Erde besitzt nicht nur ein Oberhaupt. Ist Ihnen das bekannt.
— Uns ist bekannt, dass die Erdenmenschen im letzten Krieg ihre Lebensumgebung genetisch verändert haben.
— Und die verschiedenen Fraktionen wollen alle Zugang zum Abbau von Silinin haben!
— Ich verstehe.

Jane:
— Sie nutzen das Silinin doch auch um im Weltraum zu reisen.
— Wir nutzen das Silinin nicht so, wie du es meinst… wir sind Teil des Silinin und das Silinin ist Teil von uns.
— Wie kann ein Erz Teil einer Lebensform sein oder werden?
— In eurer Sprache ist es nicht möglich diese Verbindung treffend zu beschreiben. Das Silinin ist nicht einfach ein Rohstoff wie das Öl auf eurem Planeten es war. Das Silinin geht direkt eine symbiotische Verbindung mit dem ganzen Planeten ein, der wiederum Teil des Sonnensystems ist, was wiederum teil unserer Galaxis ist – ihr nennt sie, glaube ich Milchstraße.
— So ist das Silinin nach eurem Verständnis ein Teil des Kosmos.
— Ja.
— Warum betrachtet ihr den Mars als euren Heimatplaneten.
— Vor ca. 8 Milliarden Jahre, war der Mars der 3. Planet des Sonnensystems und die Erde wie sie heute ist existierte noch nicht. Unser Volk bereist seit 7,5 Milliarden Jahre die Sterne. Aber das Silinin in dieser reinen Form haben wir nur auf dem Mars vorgefunden. In einer interstellaren kriegerischen Auseinandersetzung, hat unser Feind damals die Atmosphäre des Mars gravierend verändert und wir waren gezwungen unseren Heimatplaneten zu verlassen.


Schwarze Raben

Eine rabenschwarze Limousine rollte durch die dunklen, vom Morgennebel noch trüben und feuchten Gassen.
Die Scheinwerfer zerschnitten dumpf die letzten Schwaden, und die Vögel, die sonst so frivol ihre Lieder pfiffen, verstummten unter dem Rauschen des Motors. Der Wagen hielt am Bordsteinrand. Ohne den Motor oder das Licht abzuschalten, stand er dort dann einige Minuten, quälende Minuten. Stand einfach da, brummte, stank und leuchtete vor sich hin. Schließlich verstummte der Motor und die Birnen der Scheinwerfer glommen ein letztes Mal auf, die Lichter erloschen. Der schwarze Wagen wurde vom Nebel eingehüllt und verschwand fast ganz im Graublau der sich dem Ende entgegen neigenden Nacht. Nur zwei kleine rote Glutpunkte blieben zurück, kaum auszumachen durch die dahintreibenden Schwaden. Einige weitere Minuten verstrichen, ohne das etwas passierte. Und dann ging alles sehr schnell. So schnell, dass es kaum wahrnehmbar war, das man hätte denken müssen, die Phantasie spiele einem Streiche und man habe nur kurz zu lange geblinzelt. Die Türen öffneten sich gleichzeitig, fast lautlos. Zwei verwaschene Silhouetten hoben sich ab, so schwarz wie der Wagen, dem sie entglitten. Zwei Zigarettenstummel fielen und verloschen auf dem feuchten Kopfsteinpflaster. Kein Augenblick, und die Schemen waren zur Tür und in das Haus. Das einzige, das man dumpf durch den dichten Nebel hätte vernehmen können, war das Zuschlagen der beiden Autotüren.

Nun geschah einige Sekunden wieder nichts, dann hörte man aus dem Inneren des Hauses einen Knall, als wäre eine Vase heruntergefallen, nur viel lauter. Weitere Sekunden verstrichen, schließlich flog die Eingangstür auf, diesmal aber mit einem lauten Schlag. Die beiden Schatten tauchten im Türrahmen auf, zwischen ihnen eine kleine, untersetzte Gestalt, die sich kaum auf den Beinen halten konnte. Doch was war das? Ein Mensch? Wo war dann aber sein Kopf? Über dem hellen Nachthemd hörte der Körper einfach auf … Die zwei Männer und das Etwas traten über die Schwelle, und da hob sich ein schwarzer Fleck an der Stelle ab, wo der Mann seinen Kopf gehabt haben musste: Man hatte ihm einen Sack über den Kopf gezogen. Unter den Schultern seiner gefesselten Armen wurde er mehr zum Wagen geschleift, als dass er dorthin ging. Doch obwohl er augenscheinlich nicht bewusstlos oder tot war, leistete er keinerlei Gegenwehr. Er wirkte geradezu gleichgültig, lediglich seine Beine kämpften dagegen an, nicht völlig umzubrechen. In diesem Moment ging in einem Fenster einige Stockwerke weiter oben das erste Licht des Tages an.

Noch während der Mann im Nachthemd auf die Rückbank verfrachtet wurde, saß der erste Schatten schon wieder im Wagen. Fast zeitgleich schlugen die beiden Türen auf der Beifahrerseite zu. Der andere ging um das Heck des Wagens herum; doch anstatt schnell wieder hinter dem Steuer zu verschwinden, vor dem er keine zwei Minuten zuvor aufgetaucht war, blieb er stehen, wandte sich um. Er zog etwas aus seiner Manteltasche und blickte über das Dach des Wagens die Fassade des Hauses hinauf. Das Aufflammen des Streichholzes durchzuckte die Szenerie, für einen kurzen Moment war das Gesicht des Mannes durch den sich allmählich verziehenden Nebel im flackernden Widerschein des Feuers zu erkennen. Seine Züge waren hart, fast geschunden, die Augen dunkel. Aber sein Mund zog nervös, in schnellen Zügen an der krummen Zigarette, mit kurzen, abrupten Stößen stieß er den Rauch aus. In dieser Sekunde, da der Mann seine Belomor anzündete, wirkte das Geschehen zum ersten Mal stillzustehen; glaubte man fast, das Atmen der Männer hören zu können. Doch keine Sekunde später war die Flamme schon wieder verloschen und der Schatten im Wagen verschwunden. Die zwei rot glühenden Punkte hinter der Windschutzscheibe verrieten mit keinem Wort, was sich die letzten Minuten hier in dieser stillen, trostlosen Plattenbausiedlung abgespielt hatte. Wie der Wagen schließlich gestartet wurde, langsam über das Kopfsteinpflaster dahinrollte und mit den hell leuchtenden Lichtkegeln seiner Scheinwerfer an der nächsten Kreuzung zwischen den Häuserblocks verschwand, hatte ich mich schon längst abgewendet.

Hungrig von den Streifzügen der langen Nacht hatte ich meinen einsamen Weg durch die einsetzende Dämmerung bereits fortgesetzt, der Nase nach zu den Hinterhöfen. Vielleicht würde ich wieder ein Fischskelett finden, dachte ich. Den ganzen Weg, bis ich schließlich die Müllcontainer erreichte, grübelte ich noch, was diesen Morgen anders war. Seit diesem Schauspiel, das ich als unentdeckter Beobachter mitverfolgt hatte, war etwas verändert. Als ich schließlich um die Einfahrt schlich und mich meinem Frühstücksbuffet näherte, hob sich ein Schatten von den Mülltonnen und stieß sich mit starken Schlägen hinauf in den Himmel. Das Krähen des Raben erfüllte kurz den Innenhof, bis er hinter den Platanen verschwand. Und mit einem Mal entdeckte ich, was den ganzen Morgen anders war: Die Singvögel in den Bäumen haben nicht mehr geträllert, seit der blecherne Rabe gekommen ist. Sie sind die ganze Zeit still geblieben.

Und sie sollten still bleiben, auch als längst der Lärm des Alltages wieder die Straßen erfüllte.

Erinnerung einer streunenden Katze.
In Gedenken an die Opfer staatlicher Willkür.


Sermo Episcopati Humberti

Sermo Episcopati Humberti ad populum Regnum Orientalium Anglorum, anno DCCCLXVII ab incarnatione domini nostri Iesu Cristi§

Beloved Brothers, we have witnessed this nation wither away to perdition. Year after year after year the pagans have attacked our neighbours, raided our homes, martyred our monks, abducted our nuns, robbed our women and murdered our men.
This year, their ships have returned to our shores and they are storming our settlements, for there is greed and gluttony, disloyalty and dishonesty, doubting and questioning, not in them, but in us. “For the godly man ceased; for the faithful fail from among the children of men. They speak vanity, every one with his neighbour: with flattering lips and with a double heart do they speak.” (Psalms 12:1–2)
So, know that which is true: The Lord is angry with us. Pious and faithful men were slain all across the country, good Christian men fighting in the name of the Lord under the sign of the cross, and often ten or twenty were struck by just one or two of the pagans, for the devil is their prince and God is angry with us. We lost our faith in God. We strayed from the law of the Lord. And trembling with fear, we decided not to fight, but to pay tribute to those who humiliated and disgraced us. We gave them horses to invade our brothers in Northumbria and wreak havoc among the children of God. And to this day, our shame grows and grows day by day, for we let these demons and devils dwell upon our land. Out of respect to our king and his just actions, I have been silent, but brothers, no more! This shall cease. May God be my witness, and may the angels stand by my side, I hereby vow that this shall cease. As “thou, O Lord, art a shield for me; my glory and the lifter up of mine head. […] For thou hast smitten all mine enemies upon the cheek bone; thou hast broken the teeth of the ungodly. Salvation belongeth unto the Lord: thy blessing is upon thy people.” (Psalms 3:3–8)

In these days of despair, these times of terror and these hours of horror, we must return to the ways of the Lord, the peace of the prayer and the salvation of the scripture. To please him who is enthroned above the Cherubim and redirect his wrath against those who threaten us. To prove our dedication, we must rejoice in trust and faith in our beloved king Edmund, whom I myself have crowned to be king, by virtue of the pope and by the law of the Lord. He has been destined to lead us by the will of the heaven and as the heavens’s humble messenger to Elmham, I declare that the will of the heaven shall be carried out. Our king shall remain in power, for the god-given order shall continue to prevail like it is good and righteous. “The statutes of the Lord are right, rejoicing the heart: the commandment of the Lord is pure, enlightening the eyes.” (Psalms 19:8)

All those who burn and plunder, who bring plague and bloodshed upon our people, they shall know this: Faithful people like our king remain in this country to this day, good honest and faithful men. Like Ricsige of Bamburgh, the Bishops of Leicester and Worcester and all our Christian brothers in Mercia and Wessex. United under the light of the Lord, we shall expel the pagans from our country. The natural order shall be restored and the people shall prosper again. The evil may perish and the good shall prevail. “For the Lord knoweth the way of the righteous: but the way of the ungodly shall perish.” (Psalms 1:6)

In nomine Patris et Filii, et Spiritus Sancti. Amen.

§The sermon of bishop Humbertus to the people of the Kingdom of East Anglia, in the year 867 after the Incarnation of our Lord Jesus Christ


truhe mit wut
(Auszug)

#4

was ist passiert bevor manschettenknöpfe
die zaubertaler ersetzten die kärtchen?
das wort auto ein selbstwert wurde / was wirst du?
anstatt playmobil sich selbst im krieg
versuche anzuhäufen was nicht bei drei
auf den speichern gelandet ist?

gab’s explosion in eurem leben?

und work hard play hard wurde zu mehr
als einmal den müll raus bringen?
und wolltet mehr als nur das kästchen schmuck das
eine tote oma barsch versprach?

gab’s kollapse / apokalypsen
hier in diesem land?
gab’s tradition in eurem garten?

wurden die automarken sikus durch
einen abiball real? vater wird nur stolz
wenn das wort meeting fällt?
gemeinsam fällt mit scham im handgepäck?

gab’s graue eminenz am essenstisch und der sache mit dem abendbrot?

in einer wucht mit der binome klappen
klötzchen falln soll geld geschehen


Wie aus dieser
Zeitschrift Literatur wird

(Bühnenstück in einem Akt für eine beliebige Zahl an Schauspielern.)

Gehe auf die Bühne mit allen erschienenen Exemplaren dieser Zeitschrift. Werfe sie auf den Boden. Nimm eine Schere und schneide jeden einzelnen Buchstaben aus den Seiten. (Lass dir dabei von den anderen helfen.) Klebe auf leere weiße Blätter die Buchstaben in der gleichen Reihenfolge, in der sie in Shakespeares Hamlet aufgestellt sind. (Wahlweise ein anderes literarisches Werk.) Die Aufführung ist zu Ende, wenn es von einem gerade benötigten Buchstaben keine Exemplare mehr gibt.


Zu den Wurzeln

„Was soll das alles?“, dachte sich der Kleinlaster. Seine vier Räder waren fürs Fahren auf Asphalt gebaut. Für das Leiten von Luftströmungen oder gar das Erzeugen einer Auftriebskraft waren sie und das Chassis gänzlich ungeeignet. Dies entzog ihm – anders gesagt seinem Fahrer – die Kontrolle über die Fahrtrichtung und Geschwindigkeit. Über 500 m, die das etwas in die Jahre gekommene Fahrzeug noch vor sich hatte. Zehn Sekunden noch bis zum Aufprall. Ein Luftzug säuselte um die Außenspiegel, die das Gesicht des Fahrers zeigten. Entsetzen. Verblüfftheit. Weit aufgerissene Augen. Doch für wen das ganze Minenspiel? Der aufgerissene Mund, die erhöhte Atemfrequenz und das erblasste Gesicht sorgten für volle Einsatzbereitschaft in Armen und Beinen, ideal koordiniert durch aufgescheuchte Sinne sowie einen primitiver arbeitenden, rasche Entscheidungen fördernden Denkapparat. Jedoch war diese evolutionär perfekt abgestimmte Reaktion etwas veraltet. Der Fahrer war nicht von einer großen Raubkatze bedroht, sondern Opfer der Machenschaften seiner eigenen Spezies geworden und in einer von der Evolution gänzlich unvorhergesehenen Lebenslage.

Derart vorbereitet, einer voraltertümlichen Gefahr zu trotzen, verharrte der Unterschichtler, denn es gab nichts, was er hätte tun können. Noch neun Sekunden. Die Geräusche der Straße waren verstummt. Das Fahrwerk war nicht mehr der fortwährenden Last des Gefährts ausgesetzt und musste nicht mehr gegen die Reibung mit der Straße kämpfen. Kommendes Wochenende hatte er geplant, an einen nahegelegenen Badesee zu fahren. Darauf hatte er sich sehr gefreut. Ganz allein wollte er diese Zeit verbringen. Freundin hatte er keine, Geschwister auch nicht, seine Mutter war früh verstorben und sein Vater in einem Altenheim. Auch Freunde hatte er keine, bis auf ein paar Arbeitskollegen. Es würde ihn also auch niemand besonders schmerzlich vermissen. Sein Chef vielleicht, wobei, der würde wohl hauptsächlich den Verlust der Ersatzteile, der Palette mit 40 Reifen und seines zwar in die Jahre gekommenen, aber dennoch brauchbaren Transportfahrzeugs bedauern. Noch acht Sekunden. Der Wind zischte, pfiff und zog am Fahrzeug. Seine Laufbahn als Fahrer hatte tragisch begonnen. Kurz nach seiner Kündigung auf dem Hof wurde seine Mutter plötzlich schwer krank und starb einige Wochen später. Nur mit dem Einkommen des Vaters hätten sie das kleine Häuschen nicht halten können. Daher begann der Sohn eine Stelle als Fahrer bei einer KfZ-Werkstatt in der nächsten größeren Stadt. Er zog in eine Wohnung im fünften Stock eines trostlosen Mietshauses.

Noch sieben Sekunden. Das Säuseln und Zischen war zu einem Toben erstarkt. Als er seine Schulbildung beendet hatte, begann er auf dem Bauernhof zu arbeiten, wo auch seine Eltern angestellt waren. Dieser war aufgrund wirtschaftlicher Lockerungen größer geworden und suchte Personal. Dies kam dem Jugendlichen sehr gelegen, da er ohnehin gern draußen war. Einige Jahre später, die nahezu ereignislos verliefen, aber recht angenehm und harmonisch waren, wurde er gekündigt, da mehr und mehr Arbeit nun von Maschinen gemacht wurde. Noch sechs Sekunden. Das Fahrzeug hatte sich mittlerweile nach unten gedreht, sodass der Fahrer freien Blick auf die herannahenden Baumwipfel hatte. In der Schule war er nie besonders auffällig gewesen. Auch nicht im Guten. Er hatte sich sogar einigermaßen geschickt angestellt, doch wirklich eifrig war er nie gewesen. Ihn hatte immer die Natur gelockt. Nachmittags half er seinen Eltern im Garten oder stromerte durch die Landschaft. Noch fünf Sekunden. Kurz hintereinander knallten zwei Schläge. Die Spiegel waren eingeklappt. Der Wind toste gewaltig. Als Kind war er quasi immer draußen gewesen. Den ganzen Tag hatte er im Garten seiner Eltern gespielt. Er hat Löcher in den Boden gegraben, schüttete Häufchen auf. Noch eine Sekunde. Die Erde hat eine rotbraune Färbung. Aufschlag! Mit einem lauten Krachen zerbersten Maschine und Lenker auf einer schmalen Kiesbank eines schmalen Baches. Einige Vögel flattern auf. Der Junge ist zur Natur zurückgekehrt.


Nachwort #4

. . . However, external value which is being attached to the BC disbalances the system. The incentive for hackers to attack the network raises while the number of network participants and nodes stays constant at the same time which, at least in theory, proves as a security risk. When applying the principle of smart contracts onto crypto-assets and smart property new advantages emerge. With the help of smart contracts and their variations “we now have the capacity to assign digital representation to any store of value, including creative content, physical property, and intangible assets” (Casey & Vigna, 2018, p. 14). Now conditional sale contracts which ensure a parallel enforcement of the transaction become possible. Contracts could be programmed in a way to only release funds when the goods ordered are received in a satisfactory condition.4 This eradicates potential downsides of the pure asset linkage to the BC. In common non BC system nowadays this works with the help of a centralized entity. They will hold the payment from Person or Company A until Person or Company B delivered the respective object. Only then will the payment be forwarded to Person B. With this ap- proach, . . .

4Hansen & Kokal, 2017.