Ausgabe 06

  • 01/12/2020

Vorwort #6

Die Jugendherberge, Würzburg, in der Nacht vom 09. auf den 10. November ’20

DIE RUHIGE KUGEL

Nanu?,
ich kann noch nicht gehen, die Augen
schließen.
Dann wachen, die Plätze zurück rufen an
denen wir —
Gemach gemach, Wodka und
Himbeergeist grinsen die Ecke.
Ich kann noch nicht gehen.
Kapitän Morgengähn sagt nein.
Langsam der Zahnschmerz,
was redeten wir als Kollektiv nicht alles?
Die Trägheit unserer Autorenschaft,
die Apathie der Leserschaft,
die kleingeistige Ignoranz dieser Stadt.
Wer fühlt sich denn verantwortlich,
außer die Abteilung des
Schwertransportes
des Ordnungsamtes.

Herr Schuchardt,
Herr Könneke,
wie wäre eine maskierte Partie Golf,
darauf Trüffel suchen an der Steinburg?

Langsam der Zahnschmelz.
Will doch nur liegen bleiben,
und ein paar destruktive Scheiben,
ballern in die FakeNewsPsychosis,
in die Hysterie der Massen.
Schmeißt die Fuck-Boys in den Mülleimer,
hier werden andere Spiele gespielt.
Wir spielen Russisch Roulette,
der Gewinner drückt sich die ruhige Kugel
in die Schläfen,
der Verlierer —

Keine Angst vor Überlänge,
werfen Sie einen Blick in unsere sechste
Ausgabe.
Und geben Sie endlich Widerworte.
Damit der Eklat wieder seine Bahnen
brechen kann.

An all die saturierten Punker da draußen,
vielleicht ist die KLW doch nur mein
propagandistisches
Sprachrohr – Freiheit für Arzach.

Der Herausgeber,
M. B.,
männliches Pronomen,
sonst fluider Frostschutz.

„Ich hatte einmal eine Reiche ERNTE23,
sie ist die Frau für’s Leben. Wie damals
München in der Geographie, beim Treten
der E-Roller.“


akira (old school
remix)

wo zitadellen der hybris sich allzu dicht draengen
explodiert jeder konflikt gleich zur eskalation
wir kriechen im staub von tod & verwesung
doch unter unsren staedten lauert wiedergeburt

uns durchschwirren die gene wie amoeben sich teilen
die energie des universums immer schon retro-neo
mutiert uns den geist auf telekinetischen schwingen
zerschuettelt die schalen saemtlicher egos zu bruch

& entquellen den ritzen traeume gepeinigter kinder
bilden sie einen hauch luzider prophetie-paprika
aus knallbunten visionen unter den schatten des chaos
vergaert uns das bewusstsein zu halluzinogen-kapriolen

o wir warten seit langem auf das licht der befreiung
denn tief in uns schlummern reste wahrer natur
deshalb klammern wir uns gerne an helden & gurus
deren worte als laser unsere ketten verformen


Blicke in die Ferne
So weit, das nur zu erahnen ist
Wovon Unschärfen erzählen.

Die klaren Gedanken leiden,
Darunter auch das Selbst.

An manchen Tagen stehe ich nicht zu mir.
Ich liege im Bett in instabiler Seitenlage
Und betrachte mich in Zukunftsversionen –
Vermeintliche Sicherheit, phantastisches Scheitern.

Alles für die Kontrolle.

Am stärksten halte ich mich an Formen
einen Augenschlag entfernt
bereit sie zu verwerfen.
»Nimm Abschied und gesunde« oder so ähnlich.
Was einmal war, das wird nicht mehr.
Das was kommt, das ist noch nicht.
Das was ist:
ich schreibe.


Das hässliche Entlein

Der Mann auf dem gegenüberliegenden Bahnsteig scharrt Schottersteinchen vor seinen Füßen zusammen und lässt einen dicken Spuckfladen darauf nieder. Er zieht tief und wütend an seiner Filterzigarette, die sich kaum von der vergilbten Haut seiner Hand unterscheidet. Es sieht so aus, als würde er ein Glutmenschchen zwischen Daumen und Zeigefinger zerdrücken wollen. Der Mann hustet, der ganze Körper macht mit und peitscht und beugt sich, fächert sich auf wie eine Ziehharmonika. Der Zug fährt ein. Er bremst und ich mache einen Schritt nach rechts. Da ist eine Tür, ich gehe hindurch und nehme Platz.

›Der Hali hat mir letztens erzählt, also der mit dem Hund, der Kugler is’ nimmer aufgstand’n. Bahnhof vorne, weißt scho’, Ausgang Kö’ Passage, war’er bei den Punkern vorn, hat g’schaut, ob die noch a weng was ham. Aber die war’n alle scho so wech oder immer noch, da hat’er keine Chance g’habt bei denen. Ne, hat’er wirklich net g’habt, aber ich hab’s ihm immer wieder g’sacht, geh’ bis zu die Punker und net weider. Aber dann isser weider, weißt, hat wieder bloß den Nebel im Kopf g’habt, kennst’n ja, da hast halt keine Chance net. Isser an die Russ’n vorbei unten mit ihre Kugeln da zum werfen und roll’n. Der Peter hat a mal welche geklaut von dene, des solltst net machng. Und weil die Russ’n immer ihr pantschtes Zeuch ham, des derfst net anfassen. Die halten des aus, die Russ’n ham da eh an Badscher, was des angeht. Aber des derfst dir net andreh’n lass’n, des packst net. Hab’s auch a mal fast net gepackt, der Tuschi hat mich dann zum Sanka bracht, hat’er selber fast net laufen können.‹

Ich drehe mich zur Stimme hin und sehe eine Frau. Sie trägt eine Bomberjacke, eine ganz alte, aufgetragene mit einem Streichholz in weißem Stick auf der Brust. Sie sieht aus dem Fenster und wippt leicht hin und her. Dann neigt sie ihren Kopf in Richtung ihrer Hände, die sich voneinander lösen und sich öffnen, sie gar fragend ansehen.

›Der Kugler hat aber dann halt doch bei die Russ’n vorbei g’schaut und die ham ihm dann was mitgeb’m, was kleins, weil er nix wollt von dene, a Probierding halt. Isser aber dann, so hat’s der Hali g’sacht, zu die Araber und die Franzosen vor, bei dene weißt halt, dass ma danach net die Hufe hoch macht. Auf’m Weg hat’er nochmal beim Baum dort’n mit der schönen Bank, is eh die schönste wo wir da ham im Graben ne, da hat er dann Pause g’macht. Da ham’sn dann ang’schifft wie er g’schlafen hat. Arschlöcher, da sin’ bloß noch Arschlöcher unterwegs, ich sag’s dir. Schiffen die dem Kugler einfach ins Maul und wie er dann so wach wird und der Kugler is’ ja a Prügel Kerl, der hat früher drüb’m bei ihm daheim immer die Pferde umgschmiss’n, weil ihm langweilig war, isser dene dann hinterher g’rennt, aber die war’n halt schneller, weil der Jüngste isser ja nimmer, der Kugler und hat dann aufgehm.‹

Die Frau lacht dieses heißere Lachen, das sich so anhört, als ob es weh tun würde und auch kein Lachen ist, sondern eher ein Husten mit Grinsen. Sie nimmt einen Schluck aus ihrer verbeulten Bierdose und sieht sich im Fenster an. Sie lächelt und schiebt sich eine fettige Strähne hinter ihr Ohr und posiert im grauen Licht des Spätherbstes. Ihre Augen funkeln.

›Der Kugler war scho’ immer so a klassisches Mannsbild, mit dem hast nie Angst ham brauch’ng, aber der hat mich leider net so wirklich g’mocht, hab’ ich des G’fühl gehabt, verstehst. Immer so an niederen Blick hat’er aufg’setzt, wenn ma halt zusammen ballert ham, aber des hat vielleicht auch was mit seine Eltern zu tun g’habt, die ham nern net so gern g’mocht. Hat vo’ uns keiner verstanden halt, aber so is’ halt amal bei dene g’wesen. Vo’ dene ganzen Kinder, die ich g’habt hab, hätt’ ich des vom Kugler scho gern g’habt, wegen dem hätt’ ich auch aufg’hört, verstehst, aber die ganz’n andern, die war’n vo’ Anfang an verkorkst, bei dene Väter, da hast glei’ g’merkt, die ham böses Blut, die wär’n net glücklich wor’n auf derer Welt. Aber vielleicht sind’s des ja etz, ich weiß ned, von dene hab’ich nix mehr g’hört. Dem Kugler seins hätt’ich behalten. Fei echt, aber der hat sich aufg’ehm.‹

Ein Schatten legt sich über ihr Gesicht und mir wird ganz schwer. Die Luft hat sich verändert. Der Zug bremst und die Schreie der Bahngleise werden immer greller, bis sie mich unaushaltbar vereinnahmen. Der Zug steht und meine Ohren brummen überrascht von der plötzlichen Stille. Die Frau ist eingenickt und das Brummen wird immer lauter.

›Halt dei’ Maul, halt doch dei’ dreggats Maul! Hau ab, ich will dich da nimmer seh’n, du wass’d genau, dass du a Arschloch bist, lass’ den Kugler in Fried’n, ich bring’di um!‹

Wie vom Blitz getroffen reißt die Frau ihre Augen auf. Ihre Bierdose knallt gegen die Lehne des Vordersitzes und fällt zu Boden. Der Spuckrest siecht kriechend aus der aufgeplatzten Mitte. Zwei schnelle Faustschläge folgen der Dose und der Mann, der vor ihr sitzt, steht auf, murmelt etwas und läuft ans andere Ende des Abteils.

›Hast scho’ recht, du Wichser, hau’ ner ab. Alle hau’ns immer ab vo’ mir, aber du bist doch der Grund, warum wir immer noch den Rotz bei die Russ’n hol’n müssen, du verreckter Lackaffe. Du und deine ander’n Anzugträger, ihr habt’s alles kaputt g’macht nach’m Kriech, des ham mir meine Eltern scho’ g’sacht und du wass’d des scho auch ganz genau, aber hauptsach’ du spielst mit.‹

Allmählich entsteht ein Summen im Zugabteil. Wie an einem Frühlingsmorgen im April, wenn der Wind durch das noch junge Geblätt zischt und die Insekten brummend Blumen belagern und sich auf ihnen niederlassen. Mehr Köpfe werden nun abgekapselt von ihren Endgeräten und drehen sich mit interessierter Empörung in ihre Richtung, ohne sie anzusehen. Dieses mit Blicken kaschieren und verurteilen, sie haben es über die Jahre hinweg perfektioniert. Die Frau weint.

›Dann war’er bei die Franzosen und die Araber und hat’si dann eindeckt mit dem Zeuch. Wass’d, gstunk’ng hat’er wie a Betz, ang’schifft, zittert hat’er, ham’s g’sacht. Der Jean, mit dem kannst immer weng quatschen, der spricht weng deutsch, hat’n dann a frisches T-Shirt geben woll’n, aber der Kugler hat net g’mocht, da war’er zu stolz dafür. Der Jean hat’n dann wegg’schickt, dass die Bullerei halt bei dene dann net auf der Matt’n steht und dann ham’s in Kugler auch nimmer g’sehn.‹

Die Frau sieht sich neben sich um, ergreift einen Informationsflyer und putzt sich laut und wütend die Nase.

›Der hat’s dann gleich g’schossn, der Kugler, hat’er immer g’macht, den hast seit fünf Jahr’ net ohne Nebel g’sehn. Wenn der net so a Prügel g’wesen wär, dann hätt’er des Tempo net überlebt, so wie der sich wegg’richtet hat. Ich hätt’ aufg’hört, hätt’i dem sein Kind g’habt, aber der wollt net, hat mich ja net so g’mocht.‹

Die Frau ist in sich zusammengesunken und spricht mit leiser Stimme, während sie weiter langsam vor- und zurückwippt. Die Tränen sind versiegt, nur an den Spuren in ihrem Gesicht sieht man, dass sie geweint hatte. Ihr Blick ist jetzt wieder starr aus dem Fenster gerichtet, als könne sie durch alles hindurchsehen.

›Der Walle hat’n dann es letzte Mal g’sehn, den Kugler, aber der hat ihn halt nimmer g’sehn. Da hat der Walle scho’ g’wusst, dass da was is’ mit’m Kugler, wie er so nach vorn g’stiert is’, so schnell wie’ma halt kann in dem Zustand. Wo er hingeht, hat der Walle den Kugler g’fragt, aber der hat nix g’hört und is immer weider g’loffm und wie’er dann an der Straß’ war, da hat er sich nochmal um’dreht, zum Walle, des mags’d dir net vorstellen. A letzt’s Augenzwinkern hat’er gekriegt, der Walle, aber der hat’s dann auch g’wusst. Scho’ bevor der Kugler dann auf die Straße g’laufm is und si’ von dem LKW hat derfahr’n lassen, scho’ davor hat’er’s gwusst, der Walle. Der Kugler hat’si aufg’ehm.‹

Eine blechern klingende Frauenstimme kündigt den nächsten Halt an, als der Zug schon fast steht. Die Frau erhebt sich, schlurft in Richtung Tür, schaut in meine Richtung, bevor sie den Blick durch das Abteil schweifen lässt. Niemand sagt etwas und alle schauen zu Boden. Die Frau macht auf dem Absatz kehrt und verlässt den Zug.

Ein Alarmsignal ertönt und die Tür verschließt sich mit einem Rumsen. Es ist, als wäre plötzlich wieder Luft im Abteil und ein Schnattern ertönt, vereinzelte erleichterte Lacher sind zu vernehmen. Ich beobachte sie, wie sie sich gegenseitig zusichern, dass sie dazwischen gegangen wären, wenn die Frau noch länger sitzen geblieben wäre, dass man da mal was hätte sagen sollen, am helllichten Tag, unerhört. Ein Jugendlicher persifliert die Frau, begleitet vom treibenden Gelächter seiner Freunde und blickt aufmerksamkeitsheischend über die Gesichter der Anderen. Vereinzeltes zustimmendes Nicken und ein ›Jawohl‹ sind für ihn zufriedenstellende Antwort genug und er setzt sich wieder, klatscht sich mit seinen Freunden ab.

Der Zug hält und ich steige aus. Ich beobachte die Menschen, wie sie sich aufgeregt unterhalten, sich am Alltag ergötzen. Ich bleibe stehen und der Zug zieht sich an mir vorbei. Solange wir so weitermachen wie bisher, denke ich mir, weiß niemand wie wir uns tatsächlich fürchten.


Die gute Fee

Überall war sie bekannt. Im ganzen Land hatte es sich herumgesprochen, dass im kleinsten Theater der Stadt eine Tänzerin jeden Abend die gleiche Vorstellung gab. Und jeden Abend drohte der Saal aus allen Nähten zu platzen. Denn die Tänzerin, die grazil über die Bühne schwebte, hatte eine Gabe. Eine Gabe für die Menschen von nah und fern anreisten. Zuerst wurde es nur gemunkelt in dunklen Gassen und Spelunken. Doch schnell war es im ganzen Land verbreitet, dass die Tänzerin im kleinsten Theater der Stadt wahre Wunder vollbrachte.

Bald wurde sie nur noch die gute Fee genannt, die jeden Abend die Sorgen der Zuschauer verschwinden ließ. Im Saal herrschte vor der Vorstellung reges Treiben. Über die verbreiteten Gerüchte und die Vorfreude auf die Vorstellung. Nur vereinzelt saßen die Zuschauer, gebannt auf den roten Vorhang starrend, auf ihren Sitzen.

Als hätten sie sich den ganzen Tag darauf gefreut. Bei denen, die sie schon gesehen hatten, stimmte das wohl auch. Nur unter diesen, die sie noch nie gesehen hatten, herrschten vereinzelt Zweifel, ob an den Gerüchten auch wirklich etwas dran war.

Zur gleichen Zeit, hinter dem Vorhang in ihrer Umkleide, saß die Tänzerin. Vor ihr im Spiegel lächelte sie sich zwar entgegen. Doch obwohl sie sich schon so oft so gesehen hatte, kam sie sich immer noch fremd vor. Die Haare waren perfekt hochgebunden, sodass keines aus der Reihe tanzen konnte. Ihre Augen übertrieben geschminkt, dass man ganz vergaß, ihr in diese zu schauen. Und das Kleid saß perfekt, als hätte jemand ihren Körper nach den Maßen geformt. So makellos sah sie aus, als wäre sie nicht von dieser Welt. Man hätte sie wirklich für eine Fee halten können.

Ihre Flügel glitzerten im Licht der Umkleide, als die Tänzerin sie anzog und sich im Spiegel betrachtete. Sie war noch nie nicht aufgeregt gewesen, bevor sie auf die Bühne ging. Vollkommen egal, wie oft sie es schon getanzt hatte. Jedes Mal schlotterten ihre Knie so sehr, dass sie glaubte, nicht einen Schritt ausführen zu können und alle Zuschauer zu enttäuschen.

Mit jeder Vorführung stiegen die Erwartungen an sie. Mit jeder Vorführung stieg der Druck, der auf ihr lag. Doch sobald sich der Vorhang öffnete, die Musik erklang, sie die ersten Schritte tanzte, wusste die Tänzerin, dass ihre Sorgen unbegründet waren. Grazil schwebte sie über die Tanzfläche, als wäre Das genau Das, wozu sie geschaffen war. Als wäre sie exakt an dem Punkt, an dem sie seien sollte. Mit fließenden Bewegungen, die so spektakulär und doch so natürlich wirkten, verzauberte sie ihr Publikum. Auf ihren höchsten Zehenspitzen tanzte sie so bewegend, dass im ganzen Saal kein Zweifel gehegt wurde: Sie war die gute Fee.

Gebannt lagen die Augen aller Zuschauer auf ihr, während sie still und heimlich ihre Sorgen klaute. Ihnen Feenstaub in die Augen streute und damit ein kleines Stückchen Glück schenkte.

Jedem außer sich selbst.

Denn mit jedem Schritt schien sie ein Stück von sich selbst zu nehmen, um die Zuschauer glücklicher zu machen. Schon lange tanzte sie für die Massen. Noch lange würde sie weitermachen. Doch nun, da er Realität war, schien ihr Traum, den sie sich ihr ganzes Leben lang erträumt hatte, gar nicht mehr so traumhaft zu sein.

Während die Zuschauer vor Glück erfüllt nach Hause gingen, in ihre warmen, weichen Bettchen krochen, um dort von den schönsten Träumen zu träumen, die sie sich erträumen konnten, saß die Tänzerin in ihrer Umkleide.

Allein.

Und wünschte sich nichts anderes, als auch einmal eine gute Fee zu haben. Sie nicht immer nur zu sein.


Dissoziation
[Frühling in Prag]

[I] Johnny begleitet Frau Baum durch Rosenalleen in den Tod. In Bögen von Dornen wächst der Vortex über den Kies
mit jedem Schritt;
die Spirale wartet auf ihr Ende.
Sie dreht sich zu ihm, und flüstert
sein Wort
er steht an der Zweigung und durchgräbt den Kies mit seiner
Unentschlossenheit.
Als er sich umdreht

küsst der Wind Asche auf einem Rollstuhl.

Sein Mund bleibt offen stehen
wie das verrostete Garagentor eines alten Mannes,
der schon lange nicht mehr fahren darf.
Er selbst bleibt stehen in Stein und
tritt heraus aus sich selbst:

Johnny am Friedhof,
wischt den Staub
vom Todestag eines Grabsteins
ob die Leute damals anders litten?

[II] Wind
steht auf und
wischt den Staub
von einsam vernachlässigten Blättern in Alleen und Wäldern.
Die Hand Gottes
putzt meine Nase,
und streichelt mit dem Rücken über Baumkronen.
Die Straßen zerkrümpfeln wie Pappmaché unter ihrer Hornhaut.

Das Lächeln Morganes über den Spitzen der Jura
glitzernd wie Alu und weiß wie Papier.

Sie trägt keine Sorge in ihrer Haut sonnenglatt wie Oliven
doch zeigt den Finger schlicht herunter:
der See,
der marineblau den Himmel in sich zieht.
Steve steht alleine
Brille zertreten getrübt von Staub wie Wangen von Tränen
im Schilf. Es ist heiß.
Kippt einen Eimer Zeit über seinen Kopf wie Wasser,
dreht sich in zuckenden Kreisen. Mit ihm
die Nadel.
Wie ein Kompass
das Metronom
der steckengebliebene Sekundenzeiger von Sucht,
pendelt aus seiner Wade.
Eine Gebirgskette
reißt sich auf
und Urin tröpfelt an meinen Schuhen in Schlucht endloser Leere.

Flugzeug,
das Dröhnen schwerer in meinen Ohren
als
die Träne auf deiner Wange
als sie mich holten,
fliegt tief beladen mit
dem Groll eines Volkes.
Ich höre es dumpf wie Sturmflut aus einem U-Boot.
Ein kalter Luftzug
küsst die Lippen

[III] Laufen entlang verlassener Schienen
ragen aus dem Horizont wie Zunge aus dem Rachen
nicht-endenden Verlangens dieser Erde;
stickiger Frost des Morgens
streichelt die Lungen.
Ein alter Mann
aschgrau eingesaugte Doggenwangen,
Nase getaucht in das verlegene Pink glühender Morgenröte wie
die eine Freude eines zugesoffenen Penners

frierend vor eisigen Einkaufsfenstern an Heiligabend
sieht mich?
Sieht mich nicht,
sieht mich.
Arme rudern wie
ihr abgestorbenes Motorboot auf salzigem Dunkel
als die türkische Küstenwache zirpend entsichert.
43? Frauen, Männer, Kinder.
Sein Schäferhund springt mich an, zurückgehalten von
unsichtbareren Fäden
Pushka, pushka! Prosìm! Die Bleiche seines Gesichts blendet
unter dem grellen Grau der Wolken,
rechte Hand zerkrampft den Magen
wie ein weggeworfenes Stück Papier
riecht zart nach Urin …telefon,
Wählt drei Zahlen, dreht sie um,
182, 128 … neben ihm
eine Rolle Toilettenpapier, 821 … 3! = 3×2×1
= 6 Möglichkeiten, 218!
průjem
falsche Leitung.
Der alte Mann versucht den Tod zu erreichen,
aber hat seine Nummer vergessen.
Spuckt Speichel wie Eingeweide
Würde es mir etwas ausmachen, wenn dieser Mann hier und
heute sein Leben lässt
wie einen Mantel an der Garderobe?
Der Hund will, dass ich gehe.
Aus dem Maulkorb flüstern Augen eine Träne.
186. Der alte Mann
hat erreicht, was er wollte
aber wo er ist, kann ihn keiner holen kommen.
Zeigt auf die andere Seite der Gleise
über die nur noch Wolken fahren.
Das Bahnhofsgebäude, älter als diese Welt
Fensterscheiben erblindet von Splittern.
Der Hund springt und reizt die Kette in der Luft so weit

dass sein Speichel meine Schenkel küsst. Ich helfe dem Mann auf
seine Beine – jau, jau, jau, jau …

Der Hund bleibt verlassen stehen in Stein
wie ein Golem
uns hinterlassen aus einer anderen Ära.

Sich versteckend vor Stalins Sonne
kriecht der Mann durch Kuppeln verstummter Waggons
liegengeblieben wie tickende Zeitbomben, warteten auf Asyl;
und wandert unter Gleisen

Der Zug glüht aus dem Horizont
wie die Kippe zwischen deinen Lippen.
Dreht mein Genick in seiner Brise
wie den Hals eines Rehes
beim Klicken der Flinte.
Und einzelne Bögen Toilettenpapier
gleiten sorgsam auf die Gleise wie Blätter auf den Teich.
Gesprungen auf den Güterzug dorthin,
wo Körper nur noch als Asche aufsteigen

Aber die Zeiten haben sich uch jeändert, watt min Jung?
[IV] Mein Bruder schließt sich der Mafia an, um sozialen
Anschluss zu finden.
Sieht Kindheitserinnerungen getaucht in knallende
Wachsmalfarben
wie das Blut auf seinem Jackett.
›Da nahm ich sein Leid und …‹

stecke es in eine Schublade,
da muss ich es nicht sehen.
[Hat es jetzt noch einen Sinn?
… die Welt zieht sich zusammen
unter meinen Zehen, ich wollte das alles nicht …]

[V] Das warme Eindringen von Hinterhofsonne unter
Wellblech-verschmutzten Scheiben. Gott
sitzt an seinem Schreibtisch.

Zerkrümpfelt die Erde
und wirft sie in den Papierkorb.
Der Papierkorb ist voll.
Der Ladebalken am Monitor frisst stetig fort wie Ebbe und Flut.
Beißt seine Fingernägel, und schaut aus dem Fenster:
Über dem Feld liegt Abendsonne auf Heu wie Honig; Milch fließt
im dickflüssigen Bach,
in dem die Gesalbten luftschnappend ertrinken wie Teer.
Ob sie heute kommen werden?
Gott benutzt Windows 98.
Letztes Mal nahmen sie Sulamith

[VI] … Naja dann um diese Zeit sowieso war ich beschäftigt mit
… der Bus trägt das knisternde Laub in seinem Wind wie Melodie
ihre Töne
die Straße vom Himmel noch getaucht in das schlafende
Tiefseeblau von 5 Uhr morgens –
vereinzelte Konturen gefurchter Stirne
treiben in den kalten Strömen von Kausalität in Büros und
Kleindieselwagen … Naja es war dann,
und ÜBERHAUPT dann,
dass – … der Moment,
kurz bevor ich auftauche aus farbloser Tiefe, Schlaf,
der mich noch zieht, und ich spüre wie ich schwebe
zwischen blassblau ausgebleichtem Himmel und dem Fall in das
Schwarz, das jeden Nanometer absorbiert
… und panisch anfange mit Paddeln des Verstands zu rudern,
keuchend zu schnappen nach Inseln von Gedanken; Licht. Decke.
Gitter. Meine zarte Haut blass wie Kinderscham.
Hinter einem Fenster ohne Griff winken die Blätter des Ahorns im
Wind.
Fraglos sitzend in Unterhosen auf der Matratze
ist es verschwunden.
›… ja und jetzt gehen Sie, bitte.‹ – ›Wie ich soll gehen UND
rauchen, zur gleichen Zeit?!‹ – ›…‹ – ›Ich bin doch nich … nich
multitasking-fähig‹ – ›… Madame, ich muss sie inständig
bitten-‹ – ›Des is ein Aberglaube, dass man gehen kann UND
rauchen zur gleichen Zeit‹

›Man darf hier nicht rauchen.‹ – ›Wie man darf hier nich
rauchen?‹ …

… verlassen allein
Donnerstagabend an der Ampel.
Wieso
zittert der junge Mann in der Pfütze denn so stark?
Ich überquere die Straße, und:
… meine Augäpfel von der Nacht noch so betäubt in die Höhle
meines Schädels gegraben wie
das unbenutzte Kondom
in die verlegene Tiefe meiner Hosentasche,
als …
Halt’s MAUL!
Sie sagte es so sanft.
… Und die Hintertüren des Bus öffnen sich,
wie ein Portal in eine andere Zeit,
oszillieren im Regen unter trübselig goldenem Laternenlicht
reflektiert in den Tropfen,
dass es so nah ist,
es kann kaum wahr sein …

[VII] [Sinatra spielt]
Die Streicher wiegen wie ein einsames Boot auf verlassener See.
Noch ein bisschen mehr und … in the wee small hours
ich kann nicht mehr zurückkommen … of the morning
Die Welt ist getaucht … while the whole wide world
wie Abendsonne in den Rost alten türkisen Lacks … is fast asleep
You lie awake. … ich wünschte, du könntest das sehen.
… and think about a girl
Der Winter ist kalt hier, Johnny
hat nach dir gefragt. That’s the time you,
miss the … Ich hab ihm gesagt, … most.
wir kommen bald nach Hause. of …

all.
Wenn ich das lese,
pflanzt du Kirschblüten auf meinem Grab. Jakob –

dein Gesicht blitzt zurück aus der Leere
Der Kopf dreht sich sanft in der Brise, in einem Hauch
bricht der Wind mein Genick
Bitte,
ich will das nicht wissen.

und löst sie auf.

Die kühle Verdunstung von Schweiß auf meiner Kopfhaut


Ewig gestrig #2

Entlang von Landstraßen weiter navigiert zu unserem Ziel Buchenegger Wasserfälle. »Guten Tag Herr Just, ich darf nebst einer Vielzahl von Geschwindigkeitsüberschreitungen gerade innerhalb von Autobahn- baustellen vermelden, dass sich unsere gemeinsame Reise dem Ende naht. Wir erreichen planmäßig die Buchenegger Wasserfälle in der Nähe von Oberstaufen in fünfundfünfzig Minuten. Allerdings haben wir ein erhöhtes Maß an Müdigkeit bei Ihnen erkannt und bitten Sie so, eine dringende Pause einzulegen, denken Sie an Ihre Insassen, Familie und Freunde – Navigationssystem Over.«

»Ich bin nicht müde«, entgleitet mir über meinen mit Lippenbalsam benetzten Mund. »Oder sehe ich so aus?«, ich brauche Bestätigung, schaue kurz in den Rückspiegel und dann rüber zu Malice und halte diese Botschaft für vermessen und lächerlich. »Pff, Technik.«

Mit heruntergelassener Hose befinden wir uns beide an einem begrünten, bewurzelten Abhang, der die schmale, betonierte Straße und den daneben liegenden, mit Kies aufgeschütteten Parkplatz begrenzt. Geschützt von unserem schwarzen Sportwagen und dessen niedriger Kühlerhaube erleichtern wir uns, stehend, sitzend, führen unsere dreckigen Finger zum Abwasch kurz durch ein Grasbüschel und vernehmen aus der Ferne einen gellenden, durchdringenden Schrei und ein darauf folgendes Platsch, Plitsch, Platsch – der Wasserfall, ein Sprung, ein Mensch.

Ich streife meine Hände zuerst mit den verhornten Handinnenflächen, danach mit dem Handrücken an meinem kragenlosen bordeauxrotem Hemd ab und bewege mich zum Kofferraum, dort innehaltend lasse ich meinen Blick schweifen. OA – wie ich später erfahre das Oberallgäu – hängt an einem grauen, seelengrauen Nissan Modell »Panzer« – gefährlich nur für die, die außen stehen, die dessen Gas spottendem Geschütz oder den Michelin Gleisketten zu nahe kommen und zerrupft werden – der durch bloße Anwesenheit mit der kraftvollen Energie und Mächtigkeit des Flusses, der fräst und schafft, konstruiert und dekonstruiert, einen F-Vergleich anstrebt und sich zu messen versucht. Es haucht im zügig, frischen Wind ein m mal a. Und schon hängt das Kfz-Schild ein wenig scheps in seiner Verankerung. Während ich die grüne Alpe visuell nach oben begleite, liegt dort weinerlich, bauchlinks auf seinen letzten Tagen der noch weiße Schnee, kristallin, großporig, schwitzend in Schlieren die bleichen Holzpfähle umarmend. Ich öffne den Laderaum des Autos und beginne Proviant von dem häuslich, dem ›gemütlich machen‹ dienlichem und unabdingbar nützlichem Material zu trennen. Vorgekochte Vollkorn- Penne-Nudeln (wir sind ohne Gaskocher angereist), Vespergurken, erdige Karotten, Äpfel der Sorte Topaz und Elstär, Bananen, Erd- und Walnüsse, Kiwis (das Obst Kiwi), Haferflocken (kleinblättrig), Kunspermüsli, Haferdrink, sortiere ich in einen kleineren fünfundzwanzig Liter fassenden, quadratisch konstruierten Rucksack mit breiten Außentaschen; übriges Rüstzeug für Amüsement und geregelten, wenn auch zerknirschten Schlaf, kommt in den großen Wanderrucksack, an dem zusätzlich am Kopfe an Ösen meine Kletterausrüstung verankert wird. Ich bin ein erfahrener Wandersmann und nicht zuletzt auch praktischer, funktionaler Denker, allerdings auch ein fauler Mensch und so verblieben vor der Abreise alle Nahrungsmittel in Glasgefäßen, so wie ich sie in unserem lokalen Unverpackt-Laden in aller Regelmäßigkeit erstehe. Mit einem erhöhten Gewicht habe ich also Rechnung gemacht, angesichts der zu schleppenden Transportlast drückt es mich überraschend tief in den Kies. Vorne Rucksack klein, hinten Rucksack groß, Malice ebenfalls bereit für die ersten zu gehenden Schritte, fertig aufgesattelt, beobachtet meinen trägen Gang und greift vorweg: »Paul, wenn du den kleinen mal abgeben willst, dann sagst du Bescheid.« Ich maule nach den ersten Schritten, seufze: »uffa, uffa!«, wiehere auf, »Ich bin Rodrigo der Packesel«, und wiehere ein wiederholtes mal. Gestikuliere eine Peitsche, die mir den Marsch schlägt, geißele mich. »Oder wir finden einen Sherpa, der uns unseren italienischen hundert Kilogramm Kaffeevollautomaten im shabby look hinterherträgt und zur Stromspeisung der Gerätschaft noch in die Pedale tritt.« – »Stramme Waden sollte er haben«, merkt Malice an.

Bevor wir auf den Wanderweg gelangen passieren wir noch den zweiten, größeren Parkplatz. Dort angebrachte Wegweiser informieren uns über eine Laufzeit von fünfundvierzig Minuten zu den Wasserfällen. Wir betreten den Bergpfad. Es ist die Zeit gekommen für den willenvollen Halbmarathon-Mann, der sich durch das indische Morgengrauen in einem Pendeln zwischen Dies- und Jenseits in Trance schwang, um durch den Smog – mit Elektrolyten und überzuckertem Orangen- und Apfelsaftkonzentrat geschwängert, aufgeblasenen, aufgepumpten Energiehaushalt – zu schreiten, zu siegen und den Lauf durch eine von industrieller und kultureller Bedeutungslosigkeit geprägten indischen Millionenstadt, in der eine/ein jede/r siebte ihr/sein tägliches Einkommen durch den Verkauf von modrig-sumpfiger Grütze in einer gebrechlichen Teighülle verdient, zu beenden. Man jubelte ihm zu, von Straßenrändern, von den Flachdächern der Einkaufszentren, von sieben Menschenleben bewegenden Motorrädern und den grün-gelben Rikschas und aß sein Pani puri. Sie haben eine Universität, sie haben die neun Nächte des schwindelerregenden Tanzes. Sie spielen die Trommel. Er kann die Trommeln hören, er musste die Trommeln hören. Ich höre die Trommeln. Der Weiße rannte. Man gebe mir dieses Gefühl.

Weite breite Straßen. Er in Gedanken an 2004 in Athen.
2004, 5000 m, Silber in Athen, brüllt er.

Olympia 2004 in Athen, da war er noch etwas.
2004, 5000 m, Silber, in Athen, grölt er.
Sanderstraße 2019, da findet er sich wieder.
Heute ist er der Allesschonmaldagewesen, gibts schon,
Rationalist und Zeitzeuge, wie jeder, wie jede.

Bergab bleibe ich wiederholt an Nudelholz-dicken Wurzeln hängen, verliere das Gleichgewicht, erlange es zurück, orientiere mich an Malice, versuche jeden einzelnen Schritt nachzuahmen, sie kennt den Weg, ein gar nicht komödiantisches Schauspiel, wo sie hintritt, trete auch ich hin und wie sie tritt, so trete ich auch. Sie redet, ich schwitze, atme ein und aus in erhöhter, erregter Frequenz. »Also wie gesagt, ich nehme dir den Kleinen auch mal ab«, erwähnt sie zwischen »das letzte Mal als wir hier waren, da haben die Jungs sogar Bierkästen bis zu unserer Insel getragen«, – Wow, südbayerische, gorillaähnliche Geschöpfe – und »die größte Herausforderung kommt noch, da kannst du dich dann entscheiden, ob du den Weg über den Baustamm nimmst oder durch den Fluss watest, aber du wirst selbst sehen.« Es wird flacher und wir erreichen eine silbergraue Brücke mit Gitterrostboden. Keine Steigung, keine Neigung, null Grad oder hundertachtzig auf denen ich stabil stehe und bitte, ein wenig wurzeln zu dürfen. Malice gewährt mir die Zeit zum Durchatmen. »Nun, wenn du mal nach rechts blickst, dann und da eben weiter kommen die Wasserfälle, nach links, naja, da ist nicht viel, das können wir uns aber auch kurz mal anschauen, wenn du willst.« Ich winke ab. »Links zwo drei vier, geradeaus, den direkten Weg zum Lagerplatz erbitte ich, alles andere gefährdet unsere Mission, ähm, wie lange denn überhaupt noch?« – »Da hoch«, Malice zeigt auf eine durch Erosion offengelegte, von Bioturbation zeugende Wand, die sich vor uns fünfundzwanzig Meter aufbaut. Und auf ihr bequem gemacht hat es sich ein Gemisch aus Laub- und Nadel-Bewaldung, wetterfest und stramm im Stand. Ich atme zweimal tief ein, aber schnell, fast abrupt und einmal lang aus, reproduziere diesen Rhythmus, denke an den Halbmarathon-Mann – er hätte es auch so gemacht – und begeben uns auf die Etappe bergauf. Gitterrostböden in treppenförmiger Aufmachung bestücken den zu erklimmenden Erdwall, so rolle ich Treppenstufe für Treppenstufe und Fußballen für Fußballen, mein Gewicht von Bein zu Bein schrittweise ab. Wir unterlaufen an einer inoffiziellen Weggabelung einen den offiziellen Wanderweg eingrenzenden Zaun aus metallischen Rohren und rutschen langsam einen kleinen festgetretenen Trampelpfad entlang wieder bergab. Das Rauschen des Wassers wird schärfer, lauter. Ein Geräusch, das harmlos aussieht, immer während Erfrischung und Abkühlung suggeriert bis die Welle oder Strömung dich mitreißt. Zwischen einer Baumfamilie schauen wir hervor und das Licht erblickt uns in seinem Zenit. Wir stehen auf einer Seite des Wasserfalls, der von einem verwehten, gestürzten, entwurzelten Baum überbrückt wird, und setzten uns auf das Stück des Baumes, das bis auf sicheren Boden reicht. Nach der Peitsche kommt das Zuckerbrot. Es wird lunchiniert mit einem Topaz Apfel, den Malice mit ihren Händen zu zwei fairen Hälften entzweit. »Du bist aber stark«, lasse ich Malice in unserem Slang wissen (du bisch aba stronk).

Kleingruppen strömen hinter uns an den Wasserfall, auf den Baum, lassen sich in schläfrig, schlüpfrigen Posen von Begleiter:innen ablichten, um Fotos in einer Welt zu teilen, die nicht meine ist. Lassen diese im Internet kursieren, in sozialen Netzwerken, um zu erhaschen, was den Menschen kurzzeitig an eine besondere Qualität in einzelne Erfahrungen glauben lässt. Momente der Sucht, der Abhängigkeit, der Widerwärtigkeit des Lebens. Bilder suggerieren, diese Qualität erlebbar gemacht zu haben und für Ewigkeiten zu konservieren, doch verschwinden so schnell wie es jemand kaufte oder jemand nachahmte in der Quantität. Dann muss eben ein neues her! Ihr Heuchler …

Fortsetzung folgt …


Freestyle #134

Prinzessin Marek denkt er wäre voll der krasse
Amigo, doch dabei ist er nicht mal halb so
cool wie ein Latino.

Er heult rum wegen der Parkplatz Situation, denn
er ist ein Hurensohn.

Wutentbrannt steigt er aus meinem Mercedes
mit seinem kleinen Penis.

Ruft dann an
und fragt wo ich denn sei? Was soll der Brei?


ich glaub blosz was
ich glaube
was ich sehe glaub
ich nicht

auf dem flug nach irgendwo hocke ich tatsaechlich neben e t a hoffmann & darf mir natuerlich nicht verkneifen einen hofmann spezial zu groelen er spielt den brueskierten doch wie gesagt er spielt ihn blosz denn dann zeigt sein mund das feinste laecheln & er drueckt mir ein kleines buch in die hand ich beginne zu lesen es ist die geschichte von einem mann auf reisen der ploetzlich in einem maerchenraumschiff mit blinkenden untertanen die relativ sonderbar durcheinanderwuseln thront & sich auf seine abenteuer vorbereitet wobei mir drei kleine papiervierecke entgegen purzeln ich lege sie gemeinsam auf die zunge bald verschiebt sich alles bald will der opa aus der reihe hinter mir tarot mit mir zocken & dazu sollen wir bilder die ich mal gemalt habe verwenden ich tue ihm gerne den gefallen allerdings kann ich gar nicht erkennen was ich ueberhaupt anschaue hol mir lieber einen pinsel & tusche beschmiere die waende auch die leute tuscheln & lachen meinen der ist ja voll drauf genau wie bei einem klassenausflug als ich jedes mal nachdem ich meine tasche abgelegt hatte immer noch mehr sachen zum mittragen am boden liegen fand sehr grelle brillen accessoires wesentliches fuer schneestuerme & aus den flocken & dem ganzen eistreiben traten bunt wirbelnde prismen hervor ich verlief mich & kauere wieder in meinem sitz muss nur gegen ein riesenschwein kaempfen das durch schlaege mit einem zauberknochen immer kleiner wird bis ich es zertreten kann & unter dem jubeln der massen schlafe ich endlich


Küche #2

Küchenphilosophie in drei Zeilen – die Rubrik für faule Leser*innen und motivierte Denker*innen. In dieser Ausgabe:

 

Wohlauf, wir Bildhauenden!

Weil wir uns selbst denken können,
können wir uns nicht nur selbst machen,
wir müssen es auch.


Sanfte Brise im Wald.
Trägt Erinnerungen an Zeiten
Alter Tage.

Rauschende Melodien in
Saftigem Grün,
Die ihren Ruf Richtung Zukunft wagen.
Vollmundige Farben
Lassen Vergänglichkeiten außer Acht.

Schön ist es zu reisen.
So schön wie zu rasten.
Alles.
Alles hat seine Zeit –
Alles.

Wehende Leichtigkeit,
Tief wurzelnde Kraft.
Aus Wandlungen wird
Beständigkeit gemacht.


Oktoberwetter

Ihre Spaziergänge führen Emma und Romy fast jeden Tag genau an diesem Stück Wald entlang – der Abschnitt lässt sich nur schwer umgehen. Normalerweise beschleunigt Emma ihre Schritte hier. Erst wenn sie sicher ist, dass sie die Stelle hinter sich gelassen hat, wird sie wieder langsamer. Aber heute bleibt sie zum ersten Mal stehen und richtet den Blick in den Wald. Warum kann sie nicht sagen.

Romy verschwindet im Unterholz, bevor es Emma gelingt, sie festzuhalten. Emma ist nicht mehr die Jüngste und an manchen Tagen kann sie es kaum mehr mit ihrer Hündin aufnehmen. Eine Weile hört sie nur das Rascheln des trockenen Laubs, das Romy mit ihrer Schnauze durchstöbert. Dann wird es plötzlich still. Und Emma weiß sofort, worauf die Hündin da zwischen Brombeerranken und Farnwedeln gestoßen ist.

Das Blätterdach taucht den schiefen Stein in geheimnisvolles grünes Licht. Emma tritt vom Feldweg zwischen die Schlehen- und Holunderstauden, die den Waldrand säumen. Vogelgezwitscher und das leise Rauschen der Bäume umfangen sie. Und von einem auf den nächsten Schritt fühlt sie sich wie in einer anderen Welt. Romy hat sich hinter dem Stein verschanzt und beobachtet Emma dabei, wie diese sich durchs Dickicht kämpft. Äste greifen nach Emmas Haaren und Dornen verhaken sich in ihrem Wollpullover. Als wollten sie sie zurückhalten. Emma schüttelt sie ab und geht weiter. Sie kann nicht anders. Der Stein zieht sie unaufhörlich zu sich hin.

Als sie schließlich direkt vor ihm steht, erkennt Emma eine einzelne Kornblume, die obenauf liegt. Sie runzelt die Stirn. Doch sie bekommt nicht zu fassen, warum die blaue Blüte sie stutzig macht. Emmas Knie ächzen, als sie in die Hocke geht. Sie wagt es nicht, sich abzustützen. Zu sehr graut ihr vor dem Stein. Davor, ihn unter den Fingern zu spüren. Warm und rau und fast lebendig. Als sie endlich am Boden kauert, ragt er wie ein dunkler Turm vor ihr in die Höhe. Die Inschrift ist kaum mehr lesbar. Sie hebt ihre Hand, um ein paar Grashalme zur Seite zu streifen. Doch ihre Finger zittern so sehr, dass sie sie schnell wieder sinken lässt. Emma kennt sie ohnehin. Die Worte, die an Ludwigs Tod erinnern.

Emma weiß es noch, als wäre es gestern gewesen. Es passierte an einem Samstag Ende Oktober. Die Sonne stand tief am Himmel und ein eisiger Nordwind pfiff durch die Bäume. Er kündigte den ersten Schnee des Jahres an.

Die Männer machten Holz. Sie arbeiteten schon seit den frühen Morgenstunden in dem Waldstück direkt hinter dem Dorf. Um die Mittagszeit packte Emma ihren Fahrradkorb. So wie jeden Samstag um diese Jahreszeit. Als sie den Waldrand erreicht hatte, lehnte sie ihr Rad an einen Baumstamm und ging die letzten Meter zu Fuß. Es war nicht besonders weit. Ludwig war der Erste, auf den Emma an diesem Tag traf. Er war gerade dabei, einen frisch gefällten Baum zu entasten. Als er sie kommen hörte, schaute er auf. »Grüß dich, Emma«, sagte er und lächelte. »Gut, dass du da bist. Ich habe einen Mordshunger.« Das Geäst über ihren Köpfen ächzte im Wind.
Hannes war mit dem Rest der Männer ein Stück weiter waldeinwärts beschäftigt. Sie bemerkten Emma erst, als sie schrie. Die Männer kamen angerannt. Sie fanden Ludwig genau an der Stelle, an der er eben noch gearbeitet hatte. Er blickte mit leeren Augen in den bleigrauen Himmel. Neben ihm lag ein blutverschmierter Ast.
Der Todesfall war tragisch, aber alles andere als außergewöhnlich. Immer wieder kamen Männer bei Arbeiten in den Wäldern durch umstürzende Bäume oder herabfallende Äste ums Leben.
Doch Ludwigs Tod erschütterte die Dorfgemeinschaft mehr als jedes vorherige Unglück dieser Art. An seiner Beerdigung nahmen mehr Menschen teil, als der kleine Kirchhof fassen konnte. Monatelang war sein Grab ein Meer aus Blumen und Kerzen. Als sich sein Tod zum ersten Mal jährte, stellten Hannes und die anderen Männer einen Gedenkstein am Unglücksort auf. Es dauerte lange, bis es endlich ruhig um Ludwig wurde.

Das leise Knacken eines Zweigs lässt Emma aufhorchen. Sie schaut sich um. Durch die Sträucher hindurch sieht sie einen jungen Mann mitten auf dem Feldweg. Er hat ein ausgeblichenes Baumwollhemd an und die Hände tief in den Hosentaschen vergraben. Emma fällt sein altmodischer Seitenscheitel auf. Es ist die gleiche Frisur, die auch Hannes seit seiner Jugend trägt. Dann richtet er den Blick in den Wald. Und obwohl er Emma im dichten Gebüsch unmöglich sehen kann, treffen sich ihre Augen. In diesem Moment weiß Emma, sie hätte nicht stehen bleiben dürfen. Sie hätte an diesem Ort vorbeigehen müssen. So, wie sie es schon seit Jahrzehnten tut.

Emma hat es plötzlich eilig, auf den sonnenbeschienenen Weg zurückzukehren. Sie rappelt sich hoch und das Blut sackt ihr in die Beine. Für den Bruchteil einer Sekunde wird ihr schwarz vor Augen. Dann packt sie Romy am Halsband. Die Hündin lässt sich bereitwillig hinter dem Stein hervorzerren und folgt Emma auf die unbefestigte Straße. Dort dreht sie sich einmal um die eigene Achse und lässt sich schließlich an Emmas Seite nieder. Emma tätschelt ihren Kopf. Ihr kurzes, graues Fell ist mit Kletten übersät.
Nur wenige Schritte trennen Emma und den Mann jetzt noch voneinander. Auf seinen Lippen liegt ein versonnenes Lächeln. Als wolle er lediglich ein wenig über das milde Herbstwetter plaudern. Es ist ein warmes Lächeln. Es ist ein Lächeln, das einem das Gefühl gibt, der wichtigste Mensch auf der Welt zu sein. Ein Lächeln, dem auf die Dauer niemand widerstehen kann. Auch Hannes nicht. Als Hannes diesem Lächeln nachgab, waren er und Emma schon fast zehn Jahre verheiratet gewesen.

»Schöner Hund«, sagt der Mann. Seine Worte rauschen in Emmas Ohren. Sie schüttelt den Kopf. Sein bloßer Anblick ist nichts gegen diese Stimme. Es ist seine Stimme, die sie kaum erträgt. Dieser Klang, den es außerhalb ihrer Erinnerung nicht mehr geben dürfte.

»Du bist nicht echt«, sagt Emma. Er löst den Blick von Romy und sieht sie an. »Wie kann ich nicht echt sein, wenn ich doch hier stehe?«, fragt er. Winzige Fältchen umrahmen seine dunklen Augen. Es sind große Augen mit dichten Wimpern. Augen, die aussehen, als wären sie nicht ganz hinterhergekommen als der restliche Körper erwachsen wurde. Es sind die Augen, die Emma als Erstes vor sich sieht, wenn sie aufwacht, und als Letztes bevor sie einschläft. Sie verfolgen sie bis in ihre Träume. Und immer öfter auch bis weit in den Tag hinein.
Emma schließt für einen Moment die Augen. »Lass mich in Frieden.« Als sie sie wieder öffnet, ist sein Lächeln verblasst.
Er macht einen Schritt auf sie zu. »Du bist doch die, die mich nicht in Frieden lässt«, sagt er. »Du bist die, die Tag für Tag hierher zurückkehrt. Tag für Tag an den Ort, an dem es geschah. Weil dir das, was du getan hast, keine Ruhe lässt.«

Emma spürt, wie sich ihr Puls beschleunigt. Sie denkt an all die durchwachten Nächte, in denen sie nicht wusste, wie es weitergehen sollte. Und an den schlafenden Hannes neben ihr, der ihr mit jedem seiner tiefen Atemzüge weiter zu entgleiten schien. »Ich hatte keine Wahl«, sagte sie, wie sie es schon unzählige Male zu sich selbst gesagt hat.
Als er weiter auf sie zukommt, muss Emma sich zwingen, nicht zurückzuweichen. Erst unmittelbar vor ihr bleibt er schließlich stehen. »Hannes hatte keine Wahl. Du hast ihm die Entscheidung abgenommen.«
In Emmas Magen ballt sich eine unerträgliche Hitze zusammen, die binnen Sekunden in ihren ganzen Körper ausstrahlt. Sie hält seinem durchdringenden Blick nicht länger stand und wendet sich ab. »Sei still.«
Aber Ludwig ist nicht still. »Du hast uns beide auf dem Gewissen«, sagt er. »Hannes und mich. Und du erträgst die Schuld mit jedem Tag weniger.«

»Sei still!«, schreit sie. »Sei still!«, hallt es schrill von den umliegenden Bäumen zurück. Romy springt auf und fängt wie von Sinnen an zu bellen. Ein paar Krähen steigen kreischend mit in das Geschrei ein. Emma greift nach einem Ast. Ihre Finger schließen sich fest um das raue Holz. Dann schlägt sie zu. Der Ast saust durch die Luft, doch er verfehlt sein Ziel. Sie holt wieder aus. Und wieder. Emma schlägt zu, bis sie die Kräfte verlassen. Dann gleitet ihr der Ast aus den Fingern. Er ist voller Blut. Als Emma aufschaut, ist Ludwig fort, und als sie wieder zu Boden sieht, ist auch das Blut verschwunden.

Hannes sitzt auf der Bank unter dem Apfelbaum. Unter demselben Apfelbaum, in dem sie schon als Kinder zusammen herumgeklettert sind und unter dem er sie vor all den Jahren gefragt hat, ob sie seine Frau werden will. Auf seinen Knien liegt eine dünne Decke und darauf ein aufgeschlagenes Buch. Die Abendsonne taucht sein Gesicht in goldenes Licht.
Als Hannes ihre Schritte auf dem Kies hört, hebt er den Kopf. »Du warst lange unterwegs heute«, sagt er und klappt sein Buch zu. »Wie war dein Spaziergang?« Zwischen den Seiten lugt eine getrocknete Kornblume hervor.

»Ich hab ihn erschlagen«, sagt Emma. »Den Ludwig.«


Partner gesucht!

Authentisches Motto, so gesehen in der ADAC-Mitgliederzeitschrift:
»Frau mit Wohnwagen sucht Mann mit Anhängerkupplung«

—  Frau mit Verbesserungsvorschlägen sucht Mann mit Fehlern

—  Frau mit Brandschäden sucht Mann mit Löschzug

—  Abstrakte Malerei (Volkshochschule) sucht konkreten Pinsel

—  Frau mit asymmetrischer Brille sucht Mann mit Kontaktlinsen

—  Kreisel sucht Verkehrsstau zwecks gemeinsamer Auflösung

—  Ordnungsgemäße Ladung sucht Kassenbericht

—  Frau mit Rezept sucht Mann mit Herztabletten

—  Reibekuchen sucht Himmel und Erde

—  Hinfällige Frau sucht Krücke


Pixel-Aphorismen
über Wahrheit,
Lüge, Unvernunft,
Freiheit

Es ist schwer
die Wahrheit
in allem
zu prüfen.

Es ist leicht
die Lüge
in allem
vorauszusetzen.

 

Nach Sartre ist die Fähigkeit,
die Realität zu negieren,
eine Grundeigenschaft
und Freiheit
des Menschen.

 

Die Lüge
in der Wissenschaft
vorauszusetzen
ist unvernünftig,
aber es befreit von der
Last des Wissens.

Es befreit von der
Aufgabe der Intelligenten,
schreckliches Wissen
auszuhalten.

 

Wenn alles Lüge ist,
ist die tatsächliche
Wahrheit
ganz anders.

Alles wäre
ganz anders und neu.
Das ist ein gerngedachter
Gedanke.

 

Wenn es eine Realität gibt,¹
ist ihre Negierung
gleichzeitig
ein Akt der
Unvernunft
und
ein Akt der
Freiheit.

¹Was nicht sicher ist.


Requiem

Nach einer Notiz vom 12. Juni 2018 zu Erfurt.
Auf Basis einer möglicherweise wahren Geschichte,
eine möglicherweise realistische Deutung.

Als ich erwache, fühlt es sich an, als wäre die Welt, in der ich mich befinde, eine andere, eine unbekannte. Aus dem Rauschen in meinen Ohren formen sich Töne – ein klingelndes Telefon, die schreiende Stimme eines Kindes, das tiefe Surren eines Ventilators, gleichmäßig ratternde Rollgeräusche und das orchestrale Tappeln, Klatschen und Klappern zahlreicher Schuhsohlen. Die Geräuschkulisse zieht nach und nach an mir vorüber wie eine sanfte Schlafmusik, sie verschwimmt mit den wirren Szenen, in denen ich fliege und falle und zieht mich wieder tief in die Weiten der Traumwelten. Ein frischer Wind umweht mich dort im Gleitflug, in ihn mischen sich der Duft von Seife und ein ekeliger, süßlichbeißender Geruch von Desinfektions- und Putzmittel. Die immer wärmer werdende Luft ruft in mir die Erinnerungen an die mit PVC ausgelegten Unterrichtsräume des Internates wach. Ich stehe wieder im Türrahmen des Sekretariats, mit dem gleichen gesenkten Kopf vor dem gleichen riesigen Schreibtisch. Wenn der stellvertretende Direktor einen Schüler in sein Büro rief, wurden die Fenster immer verdunkelt, so dass man – aus dem lichtdurchfluteten Gang kommend –, fast blind vor ihm stand. Schwarz ist es auch jetzt um mich, doch hat das fortwährende Gleiten und Schweben ein jähes Ende auf einer kalten, harten und feuchten Unterlage gefunden.

Dort ruhe ich nun, leicht und gedankenverloren. Im Schwarz, das mich umgibt, sind noch immer keine Konturen zu erkennen – wie damals, als man von der Sekretärin eilig am Arm durch das Vorzimmer gezogen und hinter die schwere Eichentür gestoßen wurde. Ihr Knallen ließ einen jedes Mal zusammenzucken, jedes Mal. Beim ersten Mal machte man noch den instinktiven Fehler, mit angestrengt aufgerissenen Augen im übermächtigen Zimmer etwas erkennen zu wollen – dann ließ das heiße Licht der auf die Tür gerichteten Schreibtischlampe einen fast erblinden. Damals gewöhnte ich mir wie jeder den starr nach unten gerichteten Blick an, die einzige Haltung, in der die Tortur überhaupt ein Ende finden konnte. Ich kannte damals einen Jungen, der aufzublicken versucht und sich dabei schützend die Hand vor das Gesicht gehalten hatte. Ich weiß nicht, was sich genau abgespielt hatte, doch erinnere mich noch genau, wie er den restlichen Tag nicht mehr im Unterricht auftauchte und am nächsten Morgen mit blutigen Striemen an den Handgelenken wiederkam. Wir fragten ihn, doch er sprach seit dem Tag kein Wort mehr.

Auf meiner kühlen Liege jedoch bleibt es dunkel, und so schließe ich wieder die Augen, gehe hinein in einen unruhigen Schlaf. Mehrmals trete ich aus der wirren Handlung heraus, dann wird Schwarz zu Grau, schließlich pulsierend grelles Weiß, im Gleichklang mit dem Beat der Rollen. Habe ich meine Augen offen oder geschlossen? Ist das Licht echt oder nur ein Heiligenschein? Alles um mich ist so dumpf und sanft, das zum unablässig spielenden Lautorchester hinzugekommene Piep-Pieep-Piepip komplettiert die Sinfonie dieses wirren Films eindrucksvoll. Es ist geradezu psychedelisch, ein Trip im Trip: Im Wechsel von Schwarz und Weiß, von Kühle und Hitze tauchen Bilder auf; Gemälden auf den kahlen Wänden einer Galerie gleich, fliegen sie aus dem Nichts in den Fokus der Scheinwerfer.

Da sind ein stark behaarter Arm vor grüngrauer Landschaft, ein Ufo mit einer Unterseite voller kreisrunder Scheinwerfer in einem weiten weißen Raum, hellblaue Rechtecke unter silber-schwarzen Linsen im hektischen Tanz. Wie beim Blick aus einem Zugabteil kommen die Bilder in mein Blickfeld, präsentieren sich bloß kurz und fliegen wieder dahin. Ein Beigeton dringt im Schwarz zu mir durch, erst kreisrund, dann mehr und mehr konturiert. Aus einem roten Fleck werden Lippen, aus grünen Punkten Augen, eine Nase bildet sich markant heraus, ein Haaransatz erwächst. Ich halte inne – ich kenne dieses Gesicht, ich kenne den Blick, doch kann ihn nicht entschlüsseln. Meine Hand streckt sich aus, doch es verblasst bereits, wie alle anderen Bilder auch. Angst steigt in mir auf, Wut, Kraft. Die Leichtigkeit ist mit diesem Gesicht so plötzlich verschwunden, wie es aus dem Nichts aufgetaucht ist. All der Schmerz, den ich die ganze Zeit unterdrückt habe, hämmert nun wieder durch meine Eingeweide – die Kälte und Härte meiner Ruhestätte, die Stiche in der Brust, die Krämpfe in meinen Beinen. Ein Ruck geht durch mich, ich knicke ein und schreie, halte mich überall zugleich und halte doch nichts, der Stein unter meinen Füßen öffnet sich und lässt mich wieder fallen. Schweiß tritt auf meine Stirn, meinen ganzen Körper, aus dem Schwarz wird ein grelles Weiß, ein kochendes Licht. Schwälle von Hitze und Kälte durchströmen mich, obwohl ich nichts sehe und in Traumwelten irre, verlöscht das Licht vor meinen Augen, ich rutsche in einen noch tieferen Traum, in einen neuen Fall und Aufprall.

Ich sehe den Asphalt auf mich zurasen und die Hochhausfassade an mir vorbeigleiten, in ihr spiegelt sich der graue Novemberabend. Unten stehen schon die Wagen, die ganze Kreuzung wird von ihnen verstopft. Ihre Lichter erwarten mich, doch noch sieht mich keiner, sieht niemand hinauf. Alle sind beschäftigt, überhaupt durch die gläserne Eingangshalle hineinzugelangen, bevor zu viele Dokumente und Festplatten in den Reißwölfen verschwinden. Mich brauchen Sie nicht zu holen, ich komme ihnen entgegen. Mein Wissen nehme ich mit in die Tiefe, und die Kursgraphen auch. Die Schmerzen – noch immer präsent, doch gedämpft, wie im Halbschlaf – drängen sich in den Hintergrund. Der Boden erwartet mich, denn Staub soll zum Staub zurückkehren. Den Aufschlag auf das Dach des grauen Transporters nehme ich nicht mehr wahr. Aus dem mich umgebenden Nichts komme ich langsam zurück, mein Herz schlägt noch, doch es ist auch alles was ich spüre. Ich beginne wieder zu fühlen, realisiere meine Umwelt – doch nicht wie ein normaler Mensch: Ich sehe nichts, doch merke einen Blick auf mir lasten und winde mich, bin plötzlich herausgerissen, hellwach. Ein Kichern erfüllt den Raum, und ich erblicke ein blaues Kleid am anderen Ende der Dunkelheit. Ich rufe etwas, doch höre mich selbst nicht, höre nichts – nur das wüste, schmerzhafte Kichern. Ich laufe los, will rennen, weg, nur weg. Ich laufe, doch bleibe stehen, versinke in der Dunkelheit wie in Treibsand, werde von ihr gepackt und erdrückt.

Bilder trudeln vor meinen Augen, Fotos von Champagnerflaschen und Stripperinnen. Arm in Arm tanze ich mit ihm auf dem Tisch, er trägt die gleiche Krawatte wie an dem Tag, an dem die Männer die Bürotür eintreten und mich zusammengebrochen am offenen Fenster lehnend finden. Sie ist gar nicht verschlossen gewesen, doch das hat sie nicht gekümmert. Schnee umweht uns auf dem Foto, doch er durchnässt unsere Anzüge nicht. Er lässt uns atmen und leben – und beginnt uns aufzufressen. Atem habe ich nun keinen mehr und keine Kraft. Ich verliere das Bewusstsein, mache mich zum Gehen bereit, senke den Blick wie … und blicke auf. Ein greller Schein blendet mich, ich halte mir die Hand vor mein Gesicht und blinzele. Es ist aber kein neuerlicher Scheinwerfer, es ist die Sonne vor einem blauen Himmel. Ich sitze auf einer Parkbank und kann nach und nach mehr und mehr Einzelheiten erkennen. Ein Park liegt vor mir, es ist angenehm warm und ich fühle keinen Schmerz, keine Verzweiflung, bin nur etwas müde. Ich merke, wie ich mich kneife, doch träume wirklich nicht. Ich muss eingeschlafen sein und wild geträumt haben. Als ich an mir herunterblicke, stecke ich in einem feinen Anzug und finde neben mir einen Strauß Blumen liegen. Auf der Wiese spielen Kinder, ihre Mütter sitzen in der Sonne. Auf einem Sockel aus Basalt treiben Stier und Bär ihr altbekanntes Spiel. Ich weiß wieder, wo ich bin, was ich hier will und frohlocke in Erwartung des Kommenden. Wie ich nach rechts blicke, wo hinter einer breiten Allee die Bürotürme in die Höhe ragen, sehe ich sie schon in Gedanken die Straße überqueren und auf mich zukommen. Beim Gedanken daran bekomme ich eine angenehme Gänsehaut. Ich greife in meine Sakkotasche und finde dort das Kästchen, als ich es öffne, blendet mich der Glanz der mir entgegenstrahlt. Zufrieden lächelnd stecke ich es wieder ein. Ein Blick auf die Uhr verrät mir, dass ich noch mindestens eine halbe Stunde habe. Ich bin wohl wirklich nur eingenickt und in dieser unbequemen Pose wilden Träumen zum Opfer gefallen.

Glücklich lehne ich mich also zurück und schließe die Augen, genieße das warme Sonnenlicht. Von der Geräuschkulisse aus bellenden Hunden, regem Feierabendverkehr und lauten wie leisen Stimmen hebt sich ein tiefes, lautes Knattern ab. Als ich die Augen öffne und auf die Fußgängerampel unweit von mir blicke, sehe ich dort einen alten, blauen Wagen stehen, im Seitenfenster erblicke ich einen noch älteren, großen und bärtigen Mann. Ich stutze, denn ich kenne diesen Mann doch. Verunsichert, doch neugierig, stehe ich auf und gehe mit immer schnelleren Schritten zu dem Wagen, ich renne förmlich, auch wenn ich nicht weiß, warum. Der Mann dreht sich zu mir um und nickt. Ich bleibe stehen, so ruckartig als wäre ich gegen eine Wand geprallt. Die Ampel schaltet auf grün und der Wagen rast mit qualmenden Reifen davon. Lange blicke ich ihm hinterher, reibe mir schließlich die Augen. Als ich – irgendwie noch völlig konfus – mich schon umdrehe, um zur Bank zurückzukehren, stoße ich mit einem Mann zusammen, der einen Stapel Papier unter seinem Arm trägt. Er lässt die Blätter fallen, sie werden vom Wind erfasst, wirbeln um mich herum wie Schneeflocken im Winter. Ein Blatt klatscht gegen meine Brust und bleibt dort am Revers hängen. Als ich es ergreife und umdrehe, lese ich meinen Namen, fett hervorgehoben. Auch ihrer steht da geschrieben, wenige Zeilen darunter, ebenfalls fett hervorgehoben. Das Dokument ist vom Notar gezeichnet, eine offizielle Urkunde. Mein Kopf sinkt wieder und in meinen Augen bilden sich Tränen. Es ist doch kein Traum gewesen. Wird das nie ein Ende nehmen? Ist alles schon zu Ende, so sehr am Ende?

Stimmen und grelle Blitze lassen mich in die gegenwärtige Form meiner Realität zurückkommen. Der Schneesturm hat sich gelegt, ich stehe im Gerichtssaal, eine breite Front aus Kameras und Mikrofonen vor mir. Ich muss den Urteilsspruch nicht hören um ihn zu kennen: Ein Freispruch erster Klasse, doch fühle ich mich wie ein abgeurteilter Kriegsverbrecher. Alles ist laut, alle Schreien. Mein Anzug ist neu und fällt faltenfrei, doch ich fühle mich wie in Altkleider gehüllt. Ich suche nach dem blauen Kleid, doch erblinde fast im Blitzlicht der nach Fleisch hungernden Paparazzi. Im Schein der Fotographen bahne ich mir von meinen Verteidigern und den Gerichtsdienern umringt einen Korridor durch die versammelten Massen. Sie versuchen mich zu greifen, wir waten förmlich durch ausgebrannte Glühbirnen und die Papiere der Journalisten. Alle Rufe und Beleidigungen verkommen wieder zu einem infernalischen Rauschen, ich schließe die Augen und beginne das Beten. ›Herr lass es enden.‹, ›Herr, lass das Klavier spielen und das alles nur einen Film sein …‹

Kaum dass ich die Worte gesprochen habe, wird es still. Die Menschen sind verschwunden und der Boden ist sauber. Er ist schwarz und voller Schlitze und Spalten. Alles liegt in Dunkelheit, nur ich stehe im Lichtkegel eines Scheinwerfers. Alleine, doch aufrecht. Ich fühle, endlich angekommen zu sein, endlich das Endlevel erreicht zu haben. Ich horche aufmerksam in die Dunkelheit, wohlwissend, was nun kommen wird. Fern und gedämpft beginnt eine Melodie zu spielen, eine Geige, ganz langsam und melancholisch, virtuos, doch zögerlich. Ich nehme allen Mut zusammen, spanne jeden Muskel an und atme kontrolliert, fest und ruhig. »Du hast mich erwartet«, kommt es leise von irgendwo aus dem schwarzen Raum hinter mir hervor. Eine Gänsehaut lässt mich erschaudern, als ich mich langsam in die Richtung der so lange so vertrauten Stimme drehe. Leise Schritte nähern sich, und schließlich tritt sie aus dem Schatten an den Rand des Lichtkegels. Ihr blaues Kleid versinkt im Dunkel, und ihre roten Haare leuchten schwach im Widerschein des Scheinwerfers. Ihr Gesicht hebt sich langsam aus dem Grau hervor, einen weiteren Schritt und sie steht ganz im Licht. Ich kann jede Wimper erkennen, sehe in diese tiefen, doch unfassbar kalten Augen. Ich versuche irgendetwas zu finden, etwas das doch schon lange vergangen ist, das schon ewig tot ist. Wenn ich die ganze Zeit auch einen erbärmlichen Eindruck gemacht haben muss, versuche ich in diesem Moment, so souverän und ungebrochen wie nur möglich zu erscheinen. Ich reiße mich förmlich zusammen, sie ernst und emotionslos anzusehen, gerade und unnahbar den Rest an Mann zu stehen, der ich noch bin. Ich gebe eine jämmerliche Figur dabei ab.

Wie gerne würde ich die wenigen Schritte auf sie zu springen, mich vor ihr hinwerfen und mich, wie ein Kind schluchzend, an ihren Rocksaum klammern. Doch dieser Zug ist bereits lange abgefahren: Nicht erst mit dem klackenden Rollen des Krankenhausbettes, nicht als der Wagen auf der Chaussee endgültig die Bodenhaftung verlor. Nicht als ich im Büro des Notars schweigend gewartet habe und auch nicht im kalten Besuchszimmer des Untersuchungsgefängnisses. Nicht als ihr Bruder aus dem 30ten Stock dem wartenden Blaulicht entgegen fiel, ich sie auf der Dachterrasse des Frankfurter Penthouses zum ersten Mal belog oder im Park vor ihr auf die Knie ging; nicht als in der City of London die Gier zum ersten Mal in meinen Augen aufblitzte und sie – das erste Mal in meinen Armen stöhnend – zum Zentrum der Welt wurde. Nein, schon als sie mir das erste Mal auf dem hell erleuchten Gang vor dem Rektorat begegnete, schon als ich vor der Pforte des Internats das letzte Mal in das bärtige Gesicht geblickt habe und den blauen Wagen habe davonfahren sehen – schon da hatte der Zug den Bahnhof verlassen. Es stand auch auf dem Fahrplan verzeichnet, und doch habe ich ewig auf meinen Zug gewartet, bis jetzt auf etwas gewartet, das nie vorgesehen war. Hätte ich mir damals die Mühe gemacht, den Bahnhofsvorsteher zu fragen. Hätte ich damals gebetet. Jetzt tue ich es, doch schmerzhaft wird mir bewusst, dass es vorbei ist. Hier endet die Geschichte, und nicht wie ich gewollt habe in ihren Armen.

Statt nach ihr greife ich unter mein Jacket und ziehe einen Revolver hervor. Ich habe so ein Ding noch nie in meinem Leben in der Hand gehabt und weiß doch nun genau damit umzugehen. Als ich sie ins Ziel nehme, hat sie schon die Pistole mit aufgeschraubtem Schalldämpfer auf mich gerichtet, die sie die ganze Zeit in ihrer Hand hielt. Wir beide stehen nun, kaum vier Meter voneinander entfernt, in einer Mischung aus Duell und Exekution. Die riesige Kanone wirkt fehlplatziert in ihrer kleinen Hand, und doch hält sie die Waffe souverän und fest auf mich gerichtet. Mit aller Kraft versuche ich, durch sie hindurchzuschauen, sie trotz dessen, wie sie hier vor mir steht, einfach zu vergessen. Schweiß steht auf meiner Stirn und meine Hand zittert stark. Ich kneife die Augen zusammen und blicke ihr noch einmal genau ins Gesicht: Da bilden ihre Lippen ihren Mund, ich habe ihn nur lachend in Erinnerung; da ist ihre Nase, ihren sanften Druck spüre ich noch auf meiner Wange; da sind ihre tiefen Augen, etwas blitzt in ihnen auf – es sind zwei kleine Tränen, schnell lösen sie sich und laufen den Mundwinkel zu. […]


ENDE I: […] Ich weiß, dass sie nicht abdrücken wird, dass sie trotz ihrer kalten Fassade, trotz allem was zwischen uns je gestanden hat, nicht den ersten Schuss abgeben soll. Es ist nicht ihre Aufgabe, es mir einfach zu machen. Ich habe die Wahl, und ich muss mich entscheiden. Die Hand, die meinen Revolver hält, zittert immer heftiger, ich meine gleich zusammenbrechen zu müssen. Sie hingegen steht ruhig und regungslos vor mir. »Ich kann das nicht«, schaffe ich nur herauszustammeln. Ihr Blick verrät kein Mitleid, er verrät überhaupt nichts. Langsam senkt sich ihr Arm, entspannt sich ihre Schulter, bis die Waffe locker an ihrer Seite darnieder hängt. »Bitte«, flehe ich. »Bitte.« Mittlerweile zittern auch meine Knie und mit meiner ruhigen Atmung und festen Haltung ist es schon lange vorbei. Die Tränen auf ihren Wangen sind inzwischen zu salzigen Rinnsalen eingetrocknet.

Ohne eine Regung zu zeigen, ohne etwas von der geraden Haltung zu verlieren, reißt sie die Waffe empor und feuert. Das Adrenalin schießt in meinen Körper, für den Bruchteil einer Sekunde übernehmen übermenschliche Kräfte die Kontrolle über mich, ich schieße, schieße die Trommel leer, ohne zu zielen, ohne hinzusehen, ohne zu fühlen. Im scharfen Gegensatz zu ihrem leisen Schuss knallt der Lärm meines Feuers in den Raum hinein, hallt von verborgenen Wänden wieder und bildet einen Dom aus erdrückendem Krach. Als ich die Augen öffne, ist der Wiederhall verklungen; nur die Geige spielt noch immer ihr Lied. Sie hat es die ganze Zeit nicht einmal unterbrochen, und ihre sanften melodischen Züge bilden nun einen zynischen Gegensatz zu dem Anblick, der sich mir bietet: Durch die letzten Schwaden Rauches sehe ich sie verkrüppelt am Boden zusammengesunken. Meine Hand, die noch immer den Revolver hält, senkt sich und lässt ihn fallen. Ich sehe ihm nach und beobachte ihn beim Fallen, höre seinen Aufschlag. Nun blicke ich wieder hinüber: Sie liegt in einer roten Lache, zur Hälfte im Licht, doch Kopf, Brust und Schultern im Schatten. Die Pistole liegt noch immer in ihrer rechten Hand, ihr blaues Kleid ist zerfetzt, an den Einschussstellen versengt und blutverschmiert. In die Schulter und den Bauch, die Brust und sogar die Hüfte habe ich sie getroffen. Ich weiß nicht, wie viele Schüsse ich überhaupt abgegeben habe, auch nicht, wie viele davon sie getroffen haben – doch nicht einmal alle zusammen schenkten ihr einen wenigstens schnellen Tod. Nicht einmal das habe ich geschafft, geht es mir durch den Kopf.

So zugerichtet liegt sie am Boden, aller Würde beraubt – doch immer noch schön. So unfassbar schön … Ein undefinierbares Glucksen dringt aus ihrer Kehle und ihre Gliedmaßen zappeln mit kleinen ruckartigen Bewegungen das restliche Leben aus ihr heraus. Ich blicke an mir herab und stelle erst mit meinen Augen fest, dass ich überhaupt verletzt bin. An meinem linken Oberarm ist der Stoff aufgerissen, ein wenig Blut tränkt ihn. Sie hat mich gestreift, hat bloß eine Schramme in mein Fleisch gekratzt, präzise auf Millimeter, und mir den Kick gegeben den ich brauchte, der mir ein Leben lang fehlte. Ich presse meine Hand in die Wunde und sacke auf die Knie zusammen. Zu Weinen vermag ich nicht, sie anzusehen noch weniger. Ich wende mich ab, will nur vergessen, nur weg, nur aufhören – einfach nur gehen können. Ein letzter Laut dringt aus ihrer Gurgel, die Geige zieht den Bogen ein letztes Mal über die Seiten, dann ist es still. Durch die geschlossenen Augen nehme ich wahr, wie der Scheinwerfer über uns verlöscht. Für den Bruchteil einer Sekunde ist der Raum absolut leer und völlig dunkel. Kein Rauschen, keine Worte oder Schritte, nichts außer meinem eigenen Atem. Kein Licht dringt zu mir durch, kein Geruch und keine Erinnerung.

Dann dringt ein Toben durch den Raum: beginnend mit vereinzelten Klatschlauten entwickelt sich schnell ein ohrenbetäubendes Cresendo aus Pfiffen, Jubelrufen und unablässigem, extatischen Klatschen. Ich öffne meine Augen und blicke nach links, über ihren Leichnahm hinweg. Kleinere Deckenstrahler beleuchten die Bühne, in ihrem Wiederschein erblicke ich zahllose Menschen, dicht nebeneinander, Reihe um Reihe. Am Ende des Parketts schließt sich die erste Empore an, ich drehe mich gänzlich und richte mich auf. Insgesamt drei Ränge erheben sich in einen nicht enden wollenden Zuschauerraum. Kein Platz ist unbesetzt, ich spielte vor ausverkauftem Haus. Ich blicke auf Männer in feinen Anzügen, auf Frauen in edlen Abendkleidern, auf Kinder und Alte, auf große und kleine Menschen. Alle applaudieren, pfeifen, rufen. Als ich vom Boden aufstand und das ganze Ausmaß zu erfassen begann, erhoben sich auch die ersten von ihren Plätzen. Nach und nach wurden es mehr, und jetzt schließlich steht der ganze Saal und applaudiert noch immer exstatisch. Blumen fliegen aus dem Publikum auf die Bühne, ich stehe noch immer alleine im Licht, wenige Schritte von ihrem toten, übel zugerichteten Leib entfernt. Sie war nicht mit dem Fall des Vorhangs wieder aufgestanden, sie liegt zerschossen, ausgeblutet und inzwischen mit Rosen bedeckt wenige Meter von mir entfernt, wie eine verbrauchte und überflüssig gewordene Requisite. So bleibt es an mir alleine, den Ruhm der Darbietung zu empfangen, meinen Blick abwechselnd auf sie und das Publikum gerichtet.

Wie ich sie so ansehe, überkommt mich der finale Schmerz. Ich schreie und heule, stoße wüste Verwünschungen aus und sacke erneut, diesmal endgültig, zusammen. Das Publikum lässt sich davon nicht irritieren, wird nur noch stärker angespornt und reflektiert mit seiner Euphorie die perverse Kulisse meines ganzen Lebens in dieser einen, letzten Szene. Sie sollen still sein, verschwinden – das ist alles was ich mir wünsche, endlich hier alleine zu sein, endlich Frieden zu haben, wenn ich ihn auch nicht verdiene. Durch meine halboffenen Augen sehe ich den Revolver neben mir liegen, in einem letzten mutigen Aufbegehren greife ich nach ihm, halte mir die Mündung unter das Kinn und drücke ab. Es klackt bloß. Ich betätige den Abzug wieder und immer wieder, doch mehr als ein leises Klacken kann ich nicht gegen die tobenden Massen aufbringen. Ich schmeiße die Waffe in Richtung der Zuschauerreihen und schreie ein letztes Mal all meinen Schmerz und meine Schuld heraus.

Während ich zusammengesunken auf der Bühne weine und mich die Kraft verlässt, höre ich die Jubelrufe nachlassen. Sie weichen einem monotonen Rauschen, einzelne entfernte Stimmen dringen aus ihm hervor, ein periodisches Piepen hebt sich deutlich ab. Ich spüre meine linke Schulter schmerzen und der Schmerz legt sich sanft betäubend und durchdringend über alle Gefühle in mir. Ich blinzele und sehe grelles Licht, das sich nach und nach in eine weiße Zimmerdecke verwandelt. Ich liege in einem Bett und meine Arme liegen locker neben mir, bedeckt mit einem sterilen Laken in einem ebenso sterilen Raum ist da nichts außer dem durchdringend regelmäßigen Piepen, dem Rauschen und Prasseln von Wind und Regen am Fenster und ab und an einer entfernten und gedämpften Stimme. Und einem blauen Fleck am linken Rand meines Blickfeldes. Ich neige meinen Kopf ein wenig zur Seite, meine Schulter und mein Hals schmerzen. Am Rande des Zimmers sitzt sie in ihrem blauen Kleid, es ist dreckig und verschmiert. Sie hat Abschürfungen an Armen und Beinen und ihren Kopf in ihre Arme gestützt. Ihre Haare sind zerzaust und Ihr Gesicht ist verweint. Vom leisen Knistern der Bettdecke aufgeschreckt hebt sie den Kopf und wendet ihn mir zu. Unsere Blicke treffen sich einen kurzen Augenblick lang, halten sich aneinander. Dann steht sie auf.

Ohne ein Wort zu sagen, springt sie auf mich zu und legt ihre Arme um mich, ihren Kopf drückt sie neben meinen auf meine Brust und eine Träne fließt über ihre Wange und trifft mich am Hals. Der Duft ihres Haares legt sich in meine Nase, aber ich nehme ihn nicht wahr. Ich sehe sie nicht an und keine Träne schafft es aus mir heraus. Ich blicke nur still nach oben, denn gegen die Schmerzen der Seele kann kein Morphium helfen. Sie ist mir so nah wie nie zuvor, und doch bin alleine. Ganz und gar alleine.


ENDE II: […] Was soll man in dieser Situation sagen, dass nicht schon offensichtlich oder obsolet ist? Sie schafft es wie immer vor mir, die passenden Worte zu finden: »Wenn du abdrücken musst, dann drück ab. Ansonsten drehe ich mich jetzt um und gehe.« Sie senkt ihre Pistole und lässt sie locker nach unten hängen. Auf dem Absatz dreht sie sich und wendet sich der Dunkelheit zu. »Es tut mir leid«, ist das Einzige, was ich schaffe herauszubringen. Ich schreie nicht, ich stammele nicht, ich sage es so lapidar wie eine Zeitansage. An der Grenze von Schatten und Licht bleibt sie bei diesen Worten stehen. Ohne sich umzuwenden sagt sie mit lauter und klarer Stimme in den weiten Raum hinein: »Das hättest du dir vorher überlegen sollen.« Ein Schuss kracht. Ohne zusammenzuzucken, ohne sich umzudrehen setzt sie ihr linkes Bein in die Nacht, die Pistole noch immer locker in der Hand hängend. Sie zieht ihr rechtes Bein nach und wird von der Dunkelheit aufgenommen, mit gleichmäßigen Schritten geht sie dahin, bis das Klappern ihrer Absätze in der Musik verschwimmt und jäh verschwindet.

Die Geige hat die ganze Zeit unbeeindruckt gespielt, erst jetzt verstummt sie. Wenige Sekunden ist es totenstill, ich blicke meine rot verschmierte Hand an und sehe dann wieder in die unbeirrbare Dunkelheit. Der Scheinwerfer blitzt kurz auf und verglimmt dann, die Dunkelheit erobert das kleine Podium das mir geblieben ist und füllt allen Raum aus. Der Boden ist kühl, und trotz seiner Härte nicht unbequem. Ich fühle nicht einmal Schmerzen, bin bloß müde, unfassbar kraftlos und schwach. Während mir die Augen zufallen und ich beginne wegzudämmern, klärt sich die Dunkelheit vor mir und gibt den Blick auf Reihen an Theatersesseln, drei Ränge und vier Logen frei. Der Zuschauerraum wird von dem durch offene Türen hereindringenden Hell der Gänge und Foyers und einer spärlichen Notbeleuchtung über den Türzargen erleuchtet.

Das Theater ist völlig leer, und keine Stimme und kein Laut sind mehr zu hören. Nur ganz am Ende des Parketts erhebt sich eine einzelne Gestalt von ihrem Sitz und geht den Gang nach rechts. Ich höre, wie sie bei den Türen anlangt, die Stufen herabzusteigen beginnt und langsam, mit einer Hand in der Tasche, auf mich zugeht. Sehen kann ich das längst nicht mehr, denn meine Augen sind bereits blind. Auch meine Ohren nehmen das wieder einsetzende langsame Piepen nur noch unterschwellig war. Es ist mehr ein Wissen und Ahnen als ein Beobachten und Fühlen: Ich weiß jetzt genau, dass die Gestalt aus den Zuschauerreihen ein Mann mit Rollkragenpullover und weißem Kittel mit einem Kulli in der Brusttasche ist, der mittlerweile neben mir steht und auf mich hinabblickt. Er kniet sich neben mir hin und dreht mich auf den Rücken. Ich weiß auch genau, dass ich nicht auf einem harten schwarzen Bühnenboden liege, sondern auf einer weichen weißen Matratze in einem ebenso weißen Raum. Ich weiß das, obwohl ich es nicht sehe oder spüre. Es ist ein Wissen ohne Existenz, ohne Materie, eine Erinnerung im leeren Raum: Ein runtergefahrener Computer mit ausgeschalteten Mikro und Lautsprecher, mit stromlosem Bildschirm. So höre ich auch nicht, dass das periodische Piepen unterdessen einem langgezogenen gleichmäßigen gewichen ist. Aber ich weiß es.


Stein Bruch

Leise bröckelt
Tränenmörtel
Von verfallenen Fenstern
Tief gebückt schmerzgebeugt
Hockt der Turm in seinen Trümmern
Erhob sich hoch höher zu Höherem
Von dort herab
Hundert Feuer
Verbrannten dein Gerüst
Tausend Stürme
Brachen dein Genick

Graue Knochen goldene Kreuze
Ertrinken in feuchtem Staub
Nähren weichen Schimmel
Brechen harten Stein
Inschriften verstummen
Stille Risse öffnen sich
Heulendem Winddrang
In rotem Schutt
Zerbrichst du
In meinem Arm
Zerfällst du

Brauner Schlamm tränenfließend
Erstarrt unter dem Fundament
Schwere widersteht dem Flug
Streben lassen Federn
In rauem Wetter
Tief im Innern versunken
Bleibt Gestein unberührt
Alte Ziegel
Bauen ein neues Heim
Bist du gebrochen
So füge zusammen


Was spielt es für
eine Rolle?

Orientalische Spezialitäten steht auf der Tafel. Auf dem Teller oder im Sandwich. Sonntagabend – hungrig und müde, kurz vorm ersehnten Ankommen zu Hause, entscheide ich mich im Moment des Vorbeifahrens an einem kürzlich neu eröffneten Restaurant direkt bei mir um die Ecke, dort noch Falafel zu holen. Grüne und rote Ballons hängen über dem Schaufenster und der Tür. Ich bin die einzige Person, bestelle zum Mitnehmen. Der Mann hinter dem Tresen beginnt Falafel Bällchen zu formen und sie in die Pfanne zu legen. Ich geh kurz in mich – sinnlose Verpackung, zu großer Hunger und die Vorstellung zu Hause allein in der Küche zu sitzen. »Ach, ich würde doch direkt hier essen.« Das Hörbuch über die Kopfhörer weiterlaufend, setze ich mich an einen der Tische, lege meine Maske beiseite. Kurz schaue ich mir nochmal die Speisekarte an und frage mich, aus welchem Land die Inhaber wohl kommen. Am Fenster auf einem Barhocker sitzt ein zweiter Mann, der offensichtlich auch zum Team gehört, er dreht sich leicht zu mir. Vor ihm eine Tasse Tee.

Er fragt, ob ich nicht auch welchen möchte, deutet auf seine Maske, die er kurz zuvor noch trug und bemerkt, dass das Tragen nervt. Ich stimme, mit einem Kopfhörer noch im Ohr, zu. Hinter mir läuft im Fernsehen eine arabische Nachrichtensendung. Der Mann schaut auf sein Handy. »Sie wollen die Maßnahmen wieder verschärfen, ich habe es gerade gelesen.« Ich verspüre den direkten Impuls selbst die Nachrichten zu checken. Das Essen wird gebracht. Für meine Verhältnisse esse ich schnell. Nebenbei immer mal wieder ein Kommentar von dem Mann wahrnehmend. Ich beobachte, wie er sich drei oder vielleicht auch vier gehäufte Teelöffel Zucker in seinen Tee tut und ertappe mich dabei, wie ich ihn und seinen Körper augenblicklich genauer analysiere. Er ist schmal und klein, etwas drahtig. Das Hörbuch schalte ich nun aus. Der Mann wiederum schaltet das Fernsehprogramm um und es ertönt arabischsprachige Musik. Mein Teller leert sich und allmählich stellt sich ein Sättigungsgefühl ein. Mit dem Brot wische ich die letzten Hummus-Reste auf. Ob es gut war, werde ich gefragt. Ich gebe mir einen Ruck, stecke meine Müdigkeit etwas zurück und lasse mich auf eine Unterhaltung ein. Ich erkundige mich, wie das Restaurant läuft. Er erzählt und erzählt, redet viel und schnell, teilweise etwas undeutlich und leicht gebrochen. Schon seit fünfundzwanzig Jahren lebt er hier in der Ecke, es laufe sehr gut, trotz der Eröffnung während Corona-Zeiten. Ein angenehmer Wortwechsel entwickelt sich.

Ich berichte über mein Studium, er kennt den Studiengang nicht. Dafür aber Kinder von Freunden, die Soziale Arbeit studieren. Eigentlich wollte er Zahnarzt werden, doch es war schwierig, damals als er hergekommen ist. ’93 war das. »Da warst du noch gar nicht auf der Welt, oder?«, ein freundliches Lachen im Gesicht. Erneut unterdrücke ich einen Impuls. Vielleicht wäre es bei der Dynamik des Gesprächs auch völlig in Ordnung, doch irgendetwas hält mich davon ab und so stelle ich sie nicht, die ‚Woher kommst du?‘-Frage. Um mir selbst etwas zu beweisen? Oder tatsächlich aus dem Bewusstsein über mein fehlendes Einschätzungsvermögen, was es für den Befragten bedeutet, diese Frage gestellt zu bekommen? Die Worte von Alice Hasters klingen noch in meinem Kopf nach. Ihr Buch »Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen aber wissen sollten« habe ich heute Mittag in der S-Bahn begonnen zu hören. Sicherlich wirkt sich ihr Geschriebenes auch unmittelbar auf mein Denken und mein Handeln in diesem Moment aus.

Mein Blick wandert nach draußen zu meinem Fahrrad und der noch daran hängenden Fahrradtasche. Der Mann bemerkt es. Ich erwähne, dass ich ursprünglich nur schnell Essen zum Mitnehmen holen wollte. Er bekräftigt meine Entscheidung geblieben zu sein. »Das Auge isst doch mit.« Und frisch wäre es doch auch nicht mehr, bis ich zu Hause gewesen wäre. Ihm wurde bereits ein Fahrrad gestohlen, berichtet er noch. Wir regen uns kurz gemeinsam über Menschen, die so etwas tun, auf. Ich zahle bei dem anderen Mann, bedanke mich und verabschiede mich herzlich von beiden, wünsche ihnen alles Gute. Welcher Küche genau die Orientalischen Spezialitäten jetzt entstammen, weiß ich beim Hinausgehen leider immer noch nicht. Die kleinen, aber feinen Unterschiede machen da doch etwas aus, habe ich mal gelernt. Aber würde diese Info etwas verändern mit meiner Wahrnehmung und der Art, wie ich diese Begegnung in Erinnerung behalte? Was spielt es für eine Rolle? Es hat geschmeckt und ein freundliches Gespräch mit dem Inhaber noch dazu – Gründe genug, um wieder dort Falafel essen zu gehen.


Weißschweigen

Blinkender Balken
Klagendes Glitzern
Quälendes Rauschen
Stille Tasten
Entfliehende Zeit
Brennende Leere
Zögerndes Zaudern
Flüsternde Ahnung
Sanfter Druck
Wachsende Linien
Süße Erleichterung
Gedankliche Pflugscharten
Langsames Verdörren
Jähe Stille
Erschockenes Innehalten
Kalte Ahnung
Kriechende Zweifel
Bittere Gedanken
Harter Klick
Augenblickliche Verweißung
Totgeschwiegene Worte


Nachwort #6

NACHSPEISE,
Kräuterlikör nach acht Weißwurst

Vor- wie Nachwort zu schreiben, das gehört sich nicht. Sei denn mein Name sei Sipos. Peter Sipos. Nennen Sie mich Schweiß. Kalter Schweiß; der unter der Jogginghose, wenn die Nacht schlecht durchlegen. Der unter der Prämisse, dass Unbefugte sich Zutritt verschaffen in Ihre Privaträume. Der Kaffee zu viel aus der Maschine, und Ihr Herz taumelt zwischen Bebop und mehr als einer ganzen

Pause …

Sie kommen hoch, Sie kommen empor. Sehen Sie mich? Ich male meine Umgebung anders als sie ist. Negiere die Realität – ich halte das für durchaus vernünftig. Sprinkle die Wände von unter den Achseln, fast am Ellenbogen abgerutscht. In den heißen Phasen tropfe ich zu Boden. Ich rieche mich selbst, ich rieche Angst, davor falsch zu treten, rieche Anstrengung, Bürde, das, was ich für Demut halte, und den süßen Cocktail, der sich aus unserer primitiven Magie speist.

Haben Sie eine:n Geliebte:n? Fein, machen Sie was draus. Haben Sie eine unerfüllte Liebe? Fein, machen Sie was draus. Aschfahles Gesicht? Träufeln Sie etwas Farbe und meiden Sie Heringsfilet.

Schiff wird Hafen finden. Bayernlotto?
Spielen Sie nicht, so.

Wie meine Hände riechen, nachdem ich sie ableckte, das sage ich Ihnen lieber nicht. Es macht keinen Unterschied, ich muss einfach hässlich sein. Ich rieche diese Stadt, und hänge im brennstofflosen Ölofen der Redaktion. Diese zeigt sich steingesichtig, konsterniert über die jüngsten Enttarnungen – gibt sich dieser Tage auch kaum eine:r Mühe einen vernünftigen Text zu schreiben. Kein Augenzwinkern, sparen Sie sich Ihr selbstgefälliges Grinsen. Nehmen Sie Hennermannschen Mut (Noch nicht in Flasken erhältlich). Gehen Sie hart ins Gericht – mit Ausgabe Sechs und Kolumne Drei von Karl T. Ziegler (offizieller Groschenlos-Stipendiat der KLWerke). Mit sich und Ihrer Umwelt. Schreiben SIE doch etwas Vernünftiges, vulkanisiert-waffliges. Senden Sie es uns zu – wir sind nicht empfindlich, wir weinen nur, wenn’s dunkel ist und der Gipfel noch weit.

Bleiben Sie kalt, dann denken Sie
hoffentlich an mich; wenn Ihre
wohlig-heimelige Kulisse zerfällt,
bin ich da — mit Ihnen im Netz der Spinne.

Von Herzen, ein φόβος,
Ihr Kalt. E. R. Schweiß