Ausgabe 08

  • 19/11/2021

Vorwort #8

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Sehr geehrter Herr Karl W.
Hallo Karl?
He du.

Ich weiß, es wird Zeit, dass ich dir schreibe, habe mich schon zu lange davor gedrückt. Das Vorwort gibt mir endlich einen Vorwand, der Zug nun die Gelegenheit dazu – „… heute fünfundzwanzig Minuten später von Gleis sechs …“ – Ob ich mir Sorgen machen soll, weil ich schon zum dritten Mal verstehe: „… Grund dafür sind Reparaturen an einer Leiche …“?

Ich zeichne absurde Gedankenbilder und radiere sie wieder weg … zurück zu dir.
Ich weiß, es wird Zeit, dass ich Worte an dich, statt immer nur über dich finde.
Man fragte mich schon voll Eifersucht:
Wer ist denn nur dieser Karl W., über den du immer redest?
Und wieso triffst du dich ständig mit ihm?
Ich versuchte mich zu erklären – wohl eher vor mir selbst – und traf auf Unverständnis:
Was soll denn das jetzt, oooh, literarisches Engagement, Ehrenamt, wir sind ja alle so engagiert, junge interessierte Generation, tolles Projekt und so … – Ich kotz gleich!
Mir scheint:
die Menschen können mein Gekotze nicht mehr ertragen,
und nicht aufhören darüber zu lachen,
und nicht aufhören mitzumachen,
ich danke ihnen für die Nachsicht, und apropos,
ich danke dir für die Nachricht, du weißt, auch wenn sie nicht an mich gerichtet war.
Ich weiß, du fragst immer nach Partizipation, aber ich frage mich, was das ist.
Statt produktiv zu sein, war ich bisher höchstens destruktiv mit meiner Meinungslosigkeit.
Entschuldige mich, ein unabsichtlicher Boykott. Ist die Enthaltung in einer Abstimmung schon Partizipation? Ich boykottiere den Druck, Position beziehen zu müssen. Was mich kalt lässt, lässt mich kalt. G.F. schrieb #7: Wer schweigt, bejaht. Aber ich schweige ja nicht, sondern werfe dir meine Enthaltungen um die Ohren. Wer es braucht, nehme meine Neutralität als Ablehnung. Nichts gegen dich, nur so generell. Ich stoße in letzter Zeit auf viele Probleme mit Sprache, dem Abbild und der Ursache vielen Übels, und zugleich der einzigen Option, die es gibt. Und du, du bestehst doch aus nichts anderem! Mein Beileid. Falls du dir schon Sorgen gemacht hast: ja, es gibt Grund dazu. Bist du nun Freund oder Feind? Und wozu immer diese plakativen Dichotomien? Komplexitätsreduktion ist auch Ursache vielen Übels, und dennoch die einzige Option, die wir haben.
Also wohl weiter so – Mach dir keine Sorgen.
Ach Karl W.
Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Es ist wohl schon fast drei Jahre und einige Sinneswandel her, dass ich deinen Namen das erste Mal hörte von einem vorbeilaufenden Jungmenschen, als ich gerade mit dem Kopf in der Mülltonne steckte. Versuchen wir keine Metaphern zu lesen, wo keine sind. Jetzt bist du acht Einheiten alt und ich gratuliere dir mit diesem Brief zum Namenstag. Der Kuchen ist gebacken und jedes Wesen darf so viele Zeilen kosten, wie es will, kotzen auch erlaubt. Auf den Teller, servierte Kotze zum Kosten für alle, auch gut.
Genug?

Ein pronomenloses V. mit einer Vorliebe für Nullen


(ohne Titel)

Ich meditier
im Jetzt & Hier
und schenke mir
als Souvenir
ein feines Gespür.
Und wofür?

Ganz allein
für mich & mein Sein.


Am alten Hof

Am alten Hof der Kindheit
lag hinter schwarzen Tannen
der Garten meiner Ahnen
voll Rosen traurig, weit.
Wo stille Tiere harren
und Quellenwasser steigt.

Lang ist der Hof vergangen,
die Rosen wachsen frei.
Es bricht ein kleines Röslein
an meinem Fuß entzwei
vor Tannen moosbehangen,
darin die Krähen schrein.

In meinem Rosengarten
wo braune Fäulnis wächst:
die Mauern schon zersetzt,
im Tann versunk’ne Schatten.
Zur Nacht herrscht Mond und Tau,
frühs gelbt ein Molch ins Blau.


Küchenphilosophie in drei Zeilen – die Rubrik für faule Leser und motivierte Denker.
In dieser Ausgabe:

Wer Rechte hat,
hat auch Pflichten,
ohne die es keine Rechte gibt.


Ebbende Balz

Weiß brennt das Licht
auf die Küsten der Stadt.
Dein Mund erfragt zärtlich
wie sandig die Schicht
der Brandung, wie satt
der Kragen, der Samtstich.

Niederungen
vormals ebener Glut
durch Wasser gebrandet
im Strand. Landrippen
befragen die Flut.
Was treibt und was landet?

Abtragung droht
an den Hängen aus Kritt.
Ein einsamer Reiher
reckt Schwingen dem Sud,
die Wellen im Blick.
Was schwemmt sich, mein Reiher?

Heiß ist der Sand
und die Lippen aus Salz
an trunk’nem Gefieder,
an bröckelndem Samt
die ebbende Balz
und des Meeres Gezitter.


Echokammerkultur: Discossion

Diskussion kommt von Disco.
Der Disco,
die als Echokammer
sich über deine Meinung lärmt.

Diskussion kommt von Diskus.
Dem Diskus,
der als Totschlagargument
sich über meine Lippen wirft.

Diskussion kommt von Dissens.
Dem Dissens,
der als Hatestorm
sich über deinen Feed ergießt.

Diskussion kommt von Disconnect.
Dem Disconnect,
der als Oberlehrerintrojekt
sich zwischen uns’ren Austausch schiebt.


manche kamen auf die welt und konnten
manche hatten einen fernseher (ich). ich hatte ennergi
wehte, und flog. uns fehlt nur noch ein bisschen
nicht alle programme sind verständlich
sorry to bother you doch es gibt unsicherheit in alten
haushalten. fragen nach utopien und weisen
zwei sorten von manche sagen ennergi
und meinen lange kabel, röhren, knackende leiter
und gerüst hinter dem zaun im bataillon des umspannwerkes
ich meine das hier / lachen und weinen
eine neue sicht und brillen
nimm deine technik an die hand, oh dear
wir können das zusammen machen (ennergi)
neue monate erfinden im gesurr oder
dem alten baum einen schutz, eine zahl
jemand sagte es gibt ein mittel namens duettin*1
wir haben einen festen griff. auch unsere kinder wachsen
vor geräten. wir kennen sie noch nicht
und vielleicht niemals ihre ennergi
ihre sicht auf icons und kästchen wird sth totally
different sein die dahinter verborgenen inhalte
auswirkungen auf – naja man kennt kritik und
verteufelnde. diese alte angst vor ecken
und kanten an augen. heute sagen viele
lost-soul-phänomen als gäbe es das


Gedankenfetzen

Im Folgenden: GEDANKENFETZEN
Meine Grübelgedanken sind wie Eintagsfliegen.
Laut.
Lästig.
Surrend.
Kreisend.
Und jeden Tag neue.

Alle wachsen, wachsen, wachsen …
Aber wer davon gedeiht?
Wer blüht auf? Und wer trägt Früchte?

Lieber einen Knick im Lebenslauf,
als einen Knacks in der Seele.

Um Wunder zu begreifen, bedarf es eines dialektischen Blickwinkels.
Eine Betrachtungsweise, die das Alltägliche als Wunder und das Wunder als etwas Alltägliches versteht.

Wunder wird man nur erleben, indem man sie im Alltäglichen wiederfindet. Und den Alltag lediglich zu schätzen wissen, indem man ihn als Wunder begreift.

Krisen sind Vorboten von Wandel.

Ich bin so viel mehr als
meine äußere Hülle.
–Nur in mir ergießt sich
meine gesamte Fülle.

Ich lass sie ziehen,
die Zeit der Schwere & der Leere.
Es war mir dennoch eine (L)Ehre.


Gedichte
(Katja Schraml)

frau am meer, bist gestRANDet

angelandet am anderen ufer
mittemot1 (mir) gegenüber
höre dein rufen: komm zu mir rüber
sieh die gewässer = vattenpussar2
<so sch|ön3 im see|lenbad>
dagegen meine öde4
ich aber brücke das nicht

1 schwedisch: gegenüber
2 „wasserküsse“/wasserpfützen
3 ön = die insel
4 schicksal

 

hej ho|Hl_er rett_UNgS_ring

angefressene lattenattrappe
ohne in der zur not ruf ich dich an
hängst da so angenagELt in 1 plastik fessel
lockst mich <mit sicherheit>
auf diesen steg hin_aus(gedientes konstverk)
zeigst uns(ere) zeit jetzt an –> so_weit
scheint also der schattenstand

 

ich kann die striche <st|rEiche>

die über_bord|enden
nicht über bord werfen
wohl aus_druck
(you know – – – bin_d|ungs|angs|t)
bin die ge|beute|telte ratte (??)
meines eigenen moEnsters5
„von demher“ bild ich mir 1

5 schwedisch: mönster: muster

grenzenfluss_lauf (!) o|der [not]

ich höre es poldern poltern
an deinem zahnungslosen ufer
<hOriZONt horrorzont>
sie schLichten die steine zuhauf
in die schiefe des p|fahlen lots
an ihren harthERZigkeiten
zerspringt alles zu schTerben


Gedichte (shiva)

Treppe in ehemals Kleinparis

ich sah ihm nach
da stach
mir zigarettenrauch ins auge
und angst ins herz
als ich aufsah war er nicht mehr da ich sahs ihm nach

 

ohne Titel

Neulich nachts besuchte mich Benedikt, der Schuft im Bunde die Bande
aus Schergen aller Lande
Ich war nicht völlig ahnungslos, nein
mein allnächtlicher Angstschweiß
roch sie kommen durch die Luft
Ich lag im Bett, hellwach
hörte ihrer Beinchen Tippeln
bevor ich fühlte ihrer Körper Kribbeln Licht an und bewaffnet mit Waffeln
Die Schergenbande erschrak kriecherisch und floh


diese verfranste aufforderung not to turn away
und sieht eine*r hin = aufgabe erfüllt
einen dreck haben wir gegen. wissen wie
(und hier endet die lit.)

wir wissen was da los ist. ist.
1st of all und jetzt gerade in diesem […]
aber oft reicht ein keks
eine musik aus zur easy flucht
wir verbuchen uns aus schutz
nennen es schutz und meinen schmutz

ein junge von vielleicht sieben watet durch den matsch zur toilette
aber: wir {ha!}ben es gesehen
zu allererst mal uns schützen/schmützen
ein paar stückchen sagst du gegen das gewissen machen

ich empfange steine in minuten
kleinzeug enough
ok cool dann als einen bannspruch und alles verebbt

das wort welterusten


Haltermanns Verschwinden

„So er am 14. von Norden her ankam, machte er sich sofort auf den Weg nach Hamburg“, sagt Klöschner und überprüft nochmal, ob die Seile auch wirklich festsitzen. „Keinesfalls“, sagt Jahns und wetzt die Säge, „dies hätte er Karl, mindestens aber Johnson mitgeteilt. Doch haben wir keine solchen Briefe“ – „Exakt dies“, sagt Meier, „dies passt kaum zu des Dichters mitteilsamer Natur.“ Klöschner geht noch einmal außenherum. „Mitteilsam, ja, doch nicht um jeden Preis! Wir kennen alle Haltermanns, nun ja, Phasen, in denen er sich gerade im totalen Rückzug öffnet.“ Jahns nimmt die Säge und gibt sie Reichler. „Du packst das schon“ – „Ich hoffe“, sagt Reichler, „und was den Hamburg-Aufenthalt angeht: Wir sollten uns nicht von der Unwahrscheinlichkeit der Unwahrscheinlichkeit täuschen lassen. Ein Leben läuft nicht Prozentangaben ab. Es mag Außergewöhnliches passiert sein.“ Wiebaum stöhnt gegen den Knebel an. Klöschner läuft zu ihm und nimmt ihn ihm aus dem Mund. „Ja?“ – „Das ist ein gewichtiger Punkt“, sagt Wiebaum, „für die Historiographie im Allgemeinen. Doch ist es noch viel wichtiger, den Blick auf die Historie nicht lebensphilosophisch zu verstellen, sondern die Sachen für sich zu betrachten. Und in dieser Sache, mit Verlaub, spricht fast nichts für einen Aufenthalt Haltermanns in Hamburg und fast alles dagegen“ – „Eben, eben“, sagt Jahns. „Mag das Szenario auch unwahrscheinlich sein – es ist das mit der höchsten Erklärkraft, und zwar mit Abstand!“, sagt Klöschner. „Aber nicht alles muss erklärt werden“, sagt Wiebaum, „nüchtern ist die Geschichte, und das müssen wir akzeptieren.“ – „Hm“, sagt Klöschner und steckt ihm den Knebel wieder in den Mund. „Bereit?“ – „Ja“, sagt Reichler und läuft auf den Tisch zu. Er nimmt die Säge und setzt sie zwischen Knie und Fußgelenk an. „Übrigens“, sagt er und dreht sich um, „dürfen wir keinesfalls den Brief der Plorée vergessen, in dem sie schreibt, Haltermann sei Ende September bereits in Lübeck erschienen, und nicht erst Mitte Oktober. Da hätten wir dann auch unsere Erklärung – nämlich, dass alles ganz anders war, und wir gar keine brauchen.“ – „Sehr wohl!“, sagt Meier. „Unsinn“, sagt Klöschner, „die Plorée war allgemein für ihre Fantasie bekannt. Sie ist ja auch die, die zum allgemeinen Amüsement der Hamburger Gesellschaft ein Treffen mit Sallper imaginiert hat!“ – „Aber ist dies“, sagt Reichler und fängt an zu sägen, „auch ein Beweis dafür, dass sie in Haltermanns Sache fantasiert hat? Schließlich ist die Fiktion um Sallper sehr viel später entstanden, als sie von der Wahrheitsliebe schon deutlich weiter entfernt gewesen sein mag.“ Wiebaum stöhnt und zappelt. „Durchaus“, sagt Klöschner, „aber nur sie schrieb dies. Mindestens fünf Stimmen berichten alle vom Erscheinen Mitte Oktober.“ – „Verdammt“, sagt Reichler, „ich stecke fest!“ – „Das Schienbein ist kein einfacher Einstieg“, sagt Jahns und hilft ihm, die Säge rauszuziehen. „Danke“, sagt Reichler und setzt neu an. „Vielleicht gibt die beste Antwort wieder einmal der Dichter selbst. Denken wir nur an einige der letzten Zeilen aus ‚Eileithyia‘: ‚Schön ist es nicht / an Orten zu sein / und anderswo zu weilen‘“ – „Auch dies“, sagt Jahns.


Hitchcock-blonde

Like light through a prism
There is beauty
In every fragment of You

Paraphernalia for lyricism
All my thoughts
And dreams revert to You

All I want is to be with You.

Like the phoenix arising
From the ashes
I wish to be burned by You

Effortlessly tantalising
My broken mind
Which was blown away by You

All I want is to be with You

Like the neon flickering
In an alley
The uncanniest is radiated by You

Whimsical quivering
A side effect
Caused by the sheer presence of You

All I want is to be with You.

Yes
All I want is to be with You.


stadt aus kalk. 40 grad deutsche härte das wasser
zur orientierung: ab 4 sagt man hart
auch: alk aus kalk

hier heißt uvala nur tal
und man spricht nicht viel über gelöstes
dabei müssten wir karst sein
doch alle münder werden gehalten
und ich vergleiche im stillen mit den toy figures
der 90er jahre ohne batterie die mich nie verlassen

alles lebt mit einem überzug
pullover aus so called kesselstein
t-shörts / eine dünne wand
zwischen jeder taste des fingers +einer sache steht schicht

selbst nebel aus diesem vermaledeiten zeug
ständiges erwarten von bruchkanten. überall
hoffen auf zitronensäure oder mittel
und:
wenn etwas CaCO3 heißt hat es pflicht
eine übertragung sollte usw. aber geht nicht
(kalkheitsbedingt)

eine sicht aus schicht und eine brille: bitte vorsicht!
some say:be careful, weil kalk!
das schrubben und kompliz*innen der sache
viele geben nach der ersten neuen maschine schon auf

*entnommen „Die Bienen und das Unsichtbare“ von Clemens J. Setz


In Blässe überweißelt:
ein Leukozytenbaum,
so knorrig, rissig, kaum
erkennbar eingebeiselt
in halbverbleichte Flur,
von Wirbeln übergliedert.
Rücklings blättert Flieder
immerhin noch purpur.
Recht schreckhaft dümpeln Ziegen
(im Herz die Hänge des Pamir)
entlang Segmenten viel-
geteilter karger Weiden:
ein Wollknäuel-Defilee
auf paarhufigen Stielen.
Bergseits deucht den Vielen
immerhin schon Schnee.


Kirtonische Anekdoten: Der neugierige
Student

Nichts bereitet dem Menschen mehr Unbehagen als das, was er nicht greifen kann. Auf dieser Tatsache basiert das nur allzu menschliche Verlangen nach der Kategorisierung des sich ihm Präsentierenden. Gegriffen, gefasst und etikettiert soll werden. Einhergehend ist das Denken der Masse in klaren Bildern, ungeachtet dessen, ob diese der Realität entsprechen oder nicht. Was nicht ersichtlich, da verschwommen ist, muss scharfgestellt werden. Was nicht verstanden werden kann, muss nicht verstanden werden, sehr wohl aber kategorisiert. Das Nichtzuverstehende trägt hierbei in der Regel das Prädikat schlecht, bzw. böse. Ich verweise erneut auf den ersten Satz des hier Geschriebenen:

„Nichts bereitet dem Menschen mehr Unbehagen als das, was er nicht greifen kann.“

Auch ich versuchte mich im Rahmen einer langen Selbstfindungsphase zu kategorisieren. Auch ich zählte lange zu jenen Wanderern, welche ziellos, teilweise auch komplett orientierungslos durch die Wildnis stapfen und Spektren und Szenen abgrasen. Ich suchte mich. Ich suchte mich in Spektren, ich suchte mich in Begriffen, ich suchte mich in Bildern, ohne zu realisieren, dass was ich suchte, ich selbst bin.

Mich nun weitestgehend gefunden zu haben und zu erkennen, dass nur meine Taten mein Wesen beschreiben können, nicht aber die gebräuchlichen, doch inhaltslosen Phrasen aus dem Bereich des Politischen, ändert nichts an dem Verlangen der Anderen, mich weiterhin in die ihrem faulen Gemüte dienlichen Schubladen zu verfrachten.

Lamentieren möchte ich nicht, sondern als Beobachter des Hässlichen verstanden werden. Dementsprechend interessant war das Aufeinandertreffen mit einem katholischen Studenten, dessen Bestreben mich zu etikettieren groß war. Binnen einer Konversation von etwa zehn Minuten flogen mir sage und schreibe fünf Kategorisierungen um die Ohren – links, neurechts, konservativ, libertär und anarchistisch. Von all diesen Termini, abgesehen vom Begriff des Konservativen, war der Jünger Christi gänzlich empört. Er wollte einfach nur wissen, wie empört er denn nun zu sein hat. Für einen Wähler der CDU und als jemand, der davon überzeugt sei, es handele sich dabei um eine konservative Partei, hätten neurechts oder anarchistisch die wohl verheerendste Wirkung gehabt, obgleich ich ihn damit beglückt hätte, mich nun endlich greifen zu können. Wohl gemerkt: Vermeintlich greifen zu können. Nahezu sadistisch war demnach mein Gedankenexkurs, dem der Herr Studiosus nichtsahnend zustimmte: „Du möchtest also wissen, wo ich politisch stehe. Nun, dann schließe Deine Augen und stelle Dir ein Koordinatensystem vor. Auf der Y-Achse findest du im positiven Bereich den Totalitarismus und im negativen Bereich ebendieser die Anarchie. Auf der X-Achse hingegen findest Du im positiven Bereich den Begriff rechts und im negativen Bereich den Begriff links.“

„Sehe ich.“
„Möchtest Du nun wissen, wo ich politisch stehe?“ „Gerne!“

„Dann öffne Deine Augen. Ich stehe direkt vor Dir und ich stehe für mich!“
Gänzlich enttäuscht war der junge Mann im Anblick des Tatsächlichen, wollte dieser doch nicht die Wirklichkeit erblicken, sondern das Bequeme für sich in Anspruch nehmen.

„Ich merke, Du bist enttäuscht. Darf ich Dich etwas fragen? Worauf fußt Dein Verlangen, mich und meine Standpunkte zu kategorisieren? Fürchtest Du das Nichtgreifbare?“

„Ist es nicht menschlich, das Nichtgreifbare erst einmal abzulehnen?“
„Wohl wahr. Menschlich, da bequem. Menschlich, da faul. Aber macht es das Nichtgreifbare automatisch schlecht? Du bist doch Katholik – ist Gott schlecht, da nicht greifbar?“

Ich möchte diesen jungen Herrn nicht allzu schlechtmachen. Im Gegensatz zu den Herrschaften aus dem Steine schmeißenden Spektrum der Realitätsverweigerer wagte es der katholische Kollege, den Dialog zu suchen und sich diesem auch zu stellen. Die mir entgegengebrachte Offenheit, selbstredend nachdem die Palette der üblichen Begriffe abgearbeitet wurde, gefiel, bzw. gefällt mir. Mit solchen Menschen kann man arbeiten.


Nietzsche ist tot, Gott auch!

Gott, gelangweilt, von Ewigkeit zu Ewigkeit, Amen. Und noch eine Ewigkeit mehr … und weitere Ewigkeiten …
Aus lauter Langweile die Schote mit Maria und Jesus. Was hatte ihn da bloß geritten: Der heilige Geist! Und diese komische Siedlerwelt, die er bis zum Überdruss programmiert und wieder zurückgesetzt hatte, musste dran glauben. Da war sogar Meteor-Bowling spannender.
Aus purem Überdruss ließ er sich auf Spielchen mit Luzifer ein: 1815 verlor er eine Wette (es ging um Wetterprognose), weil er zerstreut war und den Tambora-Ausbruch nicht auf dem Schirm hatte. Seither muss er auf der Welt herumkrebsen, in Lebewesen verkörpert, und vor allem aufpassen, dass er vor dem Hinscheiden rechtzeitig einen neuen Wirt findet. Andernfalls wäre er in der Tat tot.
Zunächst erlangte er eine würdige Behausung im jungen Charles Darwin. Gott wusste natürlich, dass der damals sechsjährige Bub ihm im fortgeschrittenen Alter verdammt ähnlich sehen würde. Er machte sich einen Spaß daraus, seine Kenntnis der Siedler-Evolution sanft in das Hirn des kleinen Charles einsickern zu lassen, sollten sich seine unsympathischen, jesuitischen Exegeten doch die Zähne daran ausbeißen. Allerdings fiel es ihm mit der Zeit immer schwerer, seine und Charles Gedankenströme auseinanderzuhalten.
Veränderung war angesagt, und als der junge Sigmund Freud 1875 seine Halbbrüder in Manchester besuchte und bei dieser Gelegenheit ehrfürchtig vor Darwins Anwesen, Down House, flanierte, schaffte Gott den Absprung.
Wieder hatte er sich einen Kirchenfeind ausgesucht, der ihm ähnlich sah. Er sammelte Statuetten, erfreute sich sehr an guten Zigarren und wühlte – eher nebenher – in der Psyche herum. Hatte er als Darwin den Menschen die Illusion genommen, die auserwählten Geschöpfe Gottes zu sein, so zauste er als Freud die Illusion der Willensfreiheit. Ihm war langweilig dabei, und er wurde rallig.
Beim Spazierengehen im Park kam ihm ein aufgeregter, junger Feldhase über den Weg. Gott nutzte die Chance und stieg um. Die nächsten Wochen hielten geradezu himmlische Freuden für ihn bereit: er rammelte, was das Zeug hielt. Liebesblind achtete er nicht mehr genau auf das, was sich ansonsten in der freien Landschaft abspielte.
Die junge Gräfin Dönhoff war sehr reiselustig. In ihren Kreisen war Gastfreundschaft selbstverständlich. Gerne besuchte sie Freunde in England. Zumal wenn Saison war, da sie eine leidenschaftliche Jägerin war. So kam es, wie es kommen musste: Der liebesblinde Gott geriet ihr vor den Lauf und sie drückte kaltblütig ab. Gott war sofort tot. Er musste nicht leiden. Gut gewürzt und mit einem passenden Bordeaux serviert wurde er am kommenden Tag verzehrt. Seither regiert Luzifer. Und die Gräfin fühlte sich mehr denn je als Gottes Ebenbild.


Nigh

Dewdrops outside mirror the condensation on their tumblers. It’s no use insisting on etiquette when the doom of failing refrigerators impends. And anyway, day drinking becomes quite magical when you start by sunrise and ignore the butler snorting cocaine from the matriarch’s urn. He yields the delicately engraved artefact to the clutches of his successor (the matriarch’s, too), whose nose is already encrusted, but lovely still. Her daughter would be next in line (etcetera, etcetera), hadn’t she decided to stick to G&T for now (until the bitter end of electricity).

The matriarch’s son is content with his unpatriotic choice of Calvados at room temperature, which will suit him just fine until the bitter end, period. He set up camp behind the master bedroom’s windows and waits for stray survivors to snipe, while secretly listening to Rita Ora’s latest (last) album. He bummed his sister’s slims and his niece’s phone, both of which barely ease his ever-gnawing disappointment in the world. He coughs, misses the shaggy squirrel, down by the fountain, and utters a flaccid curse he’d never used in front of mother.

Down in the garden, in between sizzling husks of limousines (last night’s entertainment), the squirrel scuttles away into the manor’s shadow. Grooms its whiskers, sniffs the air for more wheezy fly things. Hop-hop-hops, tail a wave, all around the north wing to its secret escape crevice. Nobody is left to spot, let alone repair. Right next to it died Gary, the final guard, giggling, handing out truffles to rodents and happily hacking away at the ironically reinforced fence. Strings of fabric are caught on the edges.The scene in the parlour remains unchanged: butler and heiress snorting, daughter drinking, staring into nothing (vaguely wondering where her phone went, perhaps). Downhearted, muffled wails drift from the next-door kitchen stove inside, which huddles the third sibling, imprisoned after coughing once or twice. He pauses. Holds his breath. A dirt-caked hand delicately brushes the stove’s copper. Lingers for a moment, feels the smooth, chill surface, before it withdraws and vanishes again. One beat, two. His wailing resumes.

There are dust bunnies in the corners and first signs of disrepair on the edges, but the staircase remains committed to regularity and the irrevocable order of things, protesting as peasant feet clumsily stain its Persian carpets. The corridor above has no such reservations and doesn’t care one bit.
Ora’s falsetto fills the air. Lost in it: Bedford. Eyes closed, cigarette stuck to his lower lip, rifle all but forgotten on the pillow next to his head. Fluffy belly peeking through the gaps between his shirt’s buttons. “Don’t mind me, enter if you like”, he says. “I didn’t want to intrude”, says the intruder. She’s in rags, more so after losing her sleeve’s hem to the fence. A small sacrifice.

“How did you get in here?”
She mock-looks around, shrugs.
“You seem to have lost your belief in locked doors.” “Are you sick?”
“Do I look sick?”
He props himself up, crosses his legs.
“Frankly, yes.”

Her hair chopped closely to the scalp (that’s what passes for hygiene out there), her bones stretching translucent skin. Her nails bloody, her knuckles, too. A shotgun at her side, just as used and impaired. Her smile, though. Bedford offers his glass.
“So. How are things out there?” “Marvellous. I haven’t seen that many stars in my life. Haven’t spent that many nights next to romantic fires since I was a teen.”
“I always enjoyed camping.”
“Shame you miss out on all the fun.”
They pause. He beckons her towards a cushiony embroidered chair, which she ignores. Instead, she plants herself directly onto the bed, prompting some awkward drawn-out shuffling until he appears comfortable again. Her odour is devastating.

“Quite the room you have here.”
“Quite the house we have here, huh?”
“Yeah. I feel very sorry for you. You must’ve been filthy rich.”
“I don’t miss it that much. It’s a relief to not have to amount to anything.”
“Isn’t that what being born rich is supposed to buy you?”

Bedford sighs, looks her over in order to find a subject to transition to. Lingers on the aged sores on her neck.
“So you are sick”, he whispers.
She smiles gently. “Used to be.”
There’s a lot of commotion on Bedford’s face now, ripples of sorrow dashed with amusement and fear. If he comes up with a witty reply, it is stuck in his throat.
“The world is transcending, Bedford”, she says, and he’s not the least bit surprised to hear her say his name. “You’d see it if you weren’t locked inside this tomb. We all lost our possessions, our identities. Our people. But we don’t grieve, because now we have no battles left to fight. There’s beauty in that. I’m here to get you.”
He tenses.

“Not get get you. Leave this place. Be free of it.”
While the butler lies aesthetically passed out on the chaise lounge, Bedford’s sister enquires the possibility of infiltration through the chimney by trying to climb it herself. Irregular puffs of ash would call everybody’s attention towards her endeavour if there was someone left to pay any. The daughter retired to the kitchen to keep her unfortunate uncle company, who in turn finally stops his annoying bawl and settles for a soft sniffle. She doesn’t leave his side even as he sneezes.
Bedford halts in front of the broken fence. Birds are chirping. The squirrel makes its way across the field, with what looks like a bunch of truffles peeking out of its snout. The intruder’s palm against Bedford’s back, part reassurance, part command. He squats, sways a bit from all that Calvados, and ungracefully inches through the opening, careful to not ruin the last perfectly good suit he’ll ever wear.


Nimmersatt und trotzdem glücklich

Unter den abertausenden von rosa Zuckerguss pappig triefenden Poesiealben- und Postkartensprüchen, gibt es einen, den ich einfach nicht aus dem Kopf kriege, der sich festgeklebt hat:

“There’s nothing in a caterpillar that tells you it’s going to be a butterfly”

Abgesehen davon, dass sich jeder Biologe bei diesem Statement nur kopfschüttelnd auf die Zunge beißen kann, frage ich mich: muss eine Raupe denn zu einem Schmetterling werden? Ist es nicht genug, Raupe zu sein? Sind zwei bunte Flügel und eine lange Zunge alles, wofür es wert ist zu leben?

Eine bestimmte Raupe lag mir immer besonders am Herzen. Die kleine Raupe Nimmersatt war mein Lieblingsbilderbuch. Eigentlich ist es das immer noch. Wie in jedem meiner Lieblingsfilme und -bücher ignoriere ich konsequent das Ende. Star Wars zum Beispiel gefiel mir als Kind am besten (solange ich noch die Hoffnung hatte, dass das Imperium und sein konsequentes, postmodernes Design gewinnen). Heutzutage wäre ich enttäuscht darüber, dass Todessterne anscheinend von Berliner Flughafenarchitekten gebaut werden.

Ohne das Ende ist die Story der Raupe Nimmersatt einfach toll! Eine kulinarisch flexible Raupe genießt ihr Leben und isst sich durch alles, was die moderne Lebensmittelindustrie zu bieten hat, bis sie am Ende der Woche von zu viel Zucker und Geschmacksverstärker high wird. Klingt nach Weihnachtsferien.

Mit dem eigentlichen Ende offenbaren sich ganz neue Deutungsmöglichkeiten: Eine vereinsamte Raupe substituiert soziale Beziehungen mit Essen. Bis sie sich für eine mehrwöchige Sonnenfastenaushungerungskur in einem Kokon aus getrockneten Körpersekreten entscheidet, um dann am Ende als exzentrisch geschminktes Magermodel aus dem Lockdown zu entfliehen und sich nur noch von einem Tropfen Nektar pro Tag zu ernähren.
Ich kann mich viel besser mit der Version Prä-Kokon identifizieren. Ich ess’ mich lieber quer durch die Küche als ein Schmetterling zu sein. Zumal Flügel echt unpraktisch sind, um auf dem Sofa herumzulungern.

Ich stelle mir die kleine Raupe Nimmersatt sehr glücklich vor, zumindest vor der Verpuppung. Sie ist nie mit Problemen außerhalb der Speisekammer konfrontiert. Die Raupe Nimmersatt muss nie zur Schule, zum Studium, zur Ausbildung gehen. Niemand erwartet von ihr, ein Bücherwurm zu sein, sich durch tausende Seiten veralteten Wissens zu fressen um dann nach der Prüfungsphasenverpuppung wieder neu aufzuerstehen. Niemand hat von ihr erwartet, ein ganz neues Insekt zu werden, weil die Corporate Identity nun mal von Schmetterlingen geprägt ist und es der Kunde erwartet, dass alle Mitarbeiter Flügel haben, emsig von Blüte zu Blüte fliegen und dabei auch noch verdammt gut aussehen, anstatt sich über Blätter herzumachen. Niemand erwartet von ihr, jeden noch so nervigen Mitarbeiter oder Vorgesetzten mit bezirzenden Flügelschlägen zu beruhigen und so zu tun, als würde sie sie nicht am liebsten bespucken.
Die kleine Raupe Nimmersatt muss nicht arbeiten. Ihre Träume liegen direkt vor ihr. Sie muss sich lediglich durch die Schale des Apfels fressen. Sie kann bleiben wie sie ist. Warum würde sie sich je verändern wollen?

Vielleicht ist die kleine Raupe Nimmersatt einsam. Vielleicht ist auch das der Grund, warum sie von Tag zu Tag die Gesellschaft von einer immer größeren Anzahl an Früchten sucht.
Wenn ich auf die Jahre zurückblicke, die vergangen sind, seit ich die Biographie dieser kulinarisch polygamen Raupe zum ersten Mal aufgeschlagen habe, so war es für mich immer der Wunsch, anderen zu gefallen, der mich am stärksten zu Veränderung verleitet hat. Vielleicht ist die kleine Raupe von Äpfeln zu Würsten umgeschwenkt, weil sich daran der „coolste“ Wurm im Garten gütlich tut. Ähnlich wie ich in der Schule einst anfing Französisch zu lernen, nicht weil ich es mochte, sondern weil alle meine Freunde es auch taten. Ich wollte dazugehören. Vielleicht aber gibt es einen noch viel gewichtigeren Einfluss; vielleicht ist die kleine Raupe Nimmersatt mit dem nicht-ganz-so-kleinen Schmetterling Nimmerruh zusammen und weiß, dass er nur glücklich sein kann, wenn er fliegt. Deshalb will sie mit ihm fliegen und ihr liebstes und einziges Hobby, die gepflegte Völlerei dafür aufgeben.

Für die kleine Raupe scheint es einfacher zu sein, als es für mich war. Neben einer Raumzeitsingularität als Magen, hat sie eine weitere Superpower, die mir fehlt: Sie kann sich verpuppen, wenn sie es möchte. Ich habe schon oft versucht mich zu verändern, habe mich, anstatt mich nach einer Fressorgie von einem Blatt herunterhängen zu lassen, ehrlich und ernsthaft bemüht, einen anderen Weg einzuschlagen. Ich wurde nicht über Nacht die extrovertierte Charmebombe, mit der man sich lieber unterhalten würde. Bisher habe ich keine Flügel bekommen.

Ich bin eben kein Schmetterling, sondern ein sehr hungriger Wurm.


Passanten im Wind

Ich habe nächtelang gesucht.
Nach Worten.
Den Richtigen.
Hab sie zurechtgelegt,
intoniert,
es nicht geschafft, sie dir zu sagen.

Ich hab’ dir zugezwinkert.
Dir gewunken.
Einen Brief geschrieben.
Und eine Nachricht
an deine Wohnungstür gepinnt.
Sie in meterhohen Lettern
auf die Hauswand gepinselt.

Doch du hast nicht aufgesehen.
Meine Zeichen nicht bemerkt.
Meine Worte nicht gelesen.

Jetzt schwebst du fort.
Blickst nicht zurück.
Überfliegst mich.
Und weißt weder
wer ich bin,
was ich denke,
wie ich fühle,
noch wohin.


Schweine und Füchse

Treffen sich ein Schwein und ein Fuchs. Der Fuchs, nicht zum ersten Mal, ist eine Viertelstunde zu spät. Also wartet das Schwein, und hält immer genügend Abstand zur Metzgerei.


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wie soll ich denn auf Party knutschen wenn ich mich nüchtern nicht trau
und es immer länger dauert bis ich besoffen bin und dann auch immer
gleich müde und wenn ich eigentlich nicht will sondern
und wer erwartet das von mir


Steinbruch-Aperçu

Ockernes Gefärbe prangt in
Weilern über Kalksteinschluff,
prieselt schutthaft in des Wasserspiegels
trübe Mitte und sinkt hin-
über wie gelöst, schlicht, in Lust,
in Worten Benn’scher Mystik:
Schimmer, Schöpfung, Dämmer, Ekel –
und über allen Poren Schlick.

Weiters drüber Du im Schrämschlitz,
stämmst zur Schau die Arme weit,
wie um allen zu beweisen, dass
aus tristen Gräben Lächeln schlüpft.
Fiedernd ädert sich (unverzweigt)
das Schichtenwirr des Trias’
grimmer Urzeit Ungemaß –
und manchmal glimmerts nächtgens blass.

Säumend krönt die Riffekliptik
Deinen Körper himmelwärts,
prieselt weiter schutthaft nieder,
tüncht mir rostbraun Deinen Anblick
und im Weiherspiegel flimmerts.
Vor Ockerschluff klingt Aperçu
mit „k“ und keinen kümmerts –
und über allem Kalkstein wieder: Du.


Tragödie

Jeden Abend saß Großvater auf der Veranda. Es regnete in Strömen. Und jeden Tag, wenn es schneite, sprach Großvater zu mir: „Du, Junge, hol mir mal’n Kasten Bier!“ Ich apportierte zugleich.
In den Fichten fickten wieder die Tauben. „Garr garr garr, guuu garr …“, so ging das die ganze Zeit. Ich stellte Großvater den Kasten auf den Schoß und brach ihm damit die Eier. „Garr garr guu“, sagte Großvater und richtete sich Blut und Knochen neu in der alten Latzhose. Mit jener um seine noch stabilen Eier, hatte er das Haus einst aufgezogen, unser Haus.
Er hatte als Automechaniker gearbeitet und war jede Nacht mit ölschwarzen Händen nach Hause gekommen. „Du, Junge“, pflegte Großvater dann zu mir zu sagen, „der ist leer.“ Ich besah den Kasten. Und tatsächlich: der Kasten war stets leer gewesen. Sie hatten ihn 1948 ausgetrunken, Karl, Gustav und er, als sie infernalisch kreischend, unkontrolliert zitternd, spontan erbrechend aus den russischen Gefangenenlagern zurückgekommen waren. „Von dort hat dein Großvater den Schnee mitgebracht“, erzählte mir Großmutter jeden Tag und küsste mich mit ihren Herpeslippen zärtlich auf die Stirn, als ich einen neuen Kasten holen ging. Die Tauben saßen überall im Haus, kackten und spritzten jedes Zimmer voll. Hinter dem milchglasigen Küchenfenster konnte ich schon wieder diesen Typen sehen, der für die ganze Taubennummer gutes Geld anbot. Meine Großeltern wollten sich aber nicht darauf einlassen, und der andere Kasten war deutlich schwerer. „Danke, mein Junge!“, sagte Großvater und klopfte mir auf die Schulter, als der Zirkus landete. Der Direktor entstieg dem Zeppelin und lief auf uns zu. „Graa graa gru!“, schrie Großvater und zeigte auf mich. Zwei Bären von Männern kamen auf mich zu und schleppten mich aus dem Garten, fielen über mich her, bis die Männer sie verscheuchten. So arbeite ich also im Zirkus, schippe die Kohle, balanciere auf Seilen, und gelange jedes zweite Jahr wieder zu unserer Veranda, wo ich oft an einen Satz denken muss, den Großvater damals bei jeder guten Gelegenheit anzubringen wusste.


Nachwort #8

„Dat is kein herkömmlicher Laden hier“, sagt der alte zerzauste Herr durchweg bestimmt zum Menschen, den er nur im Spiegel des getönten Ladenfensters sieht. „Wenn du hier den Straßenkater packst und der gilt gemeinhin als Allgemeingut, und dann tauchst du den kopfüber in das Klosett. Das wird gemacht, fällt aber niemandem auf. Was sagst du dazu?
Das hat ja im Allgemeinen nichts mit Transparenz zu tun. Sollst ja auch an keine Statistik glauben, die de nich‘ selbst gefälscht hast. Verstehst’e? Es fällt in so etwas wie ’ne moralische Grauzone, was ich da nun angebe und mitteile. Einen rechtlichen Rahmen gibt es ja nicht. Ob du jetzt einen gemeinnützigen eingetragenen Verein leitest oder mit dem Fernglas nach denen Katzen schaust ist egal. Die möchten nur wissen, wie du das finanzierst, des ist des A und O. Auch das muss so ’ne Demokratie aushalten.“

Hinter den getönten Fenstern einer herkömmlichen Ladenfront:

neondoggystyle beißt dunkelheit in umsichgreifendes licht von einer unergründbaren quelle zwischen sich verschränkenden räumen von vierbeinern ohne kopf und ohne die absicht der reflexion fernzubleiben oder näher zu rücken schlangenfrüchte erleben still höhe unbeteiligte werfen schatten konzentration von konservierungsbehältern die 0111010010 nicht verstehen umgekehrte entropie masse breitet sich aus beine werden zu armen und fliegen regel nummer eins wir leben in einem irrenhaus sprich nicht davon regel nummer zwei wir leben in einem irrenhaus sprich nicht davon ich war die ganze zeit du schon lange bevor beim einschlagen zweier hände das weiße pulver zersprengte

der mensch ist fraglich fragil ob er nun an tischchen sitzt wo gestämmt wird weiß er nicht wie wir uns wirklich fürchten oder welches gift zu lange in einem bleibt und ich war die ganze zeit du auch das eine mal als wir dem klu-klux-klan in die suppe spuckten bis du blut spucktest in der stadt der 116-fachen unds und ich war die ganze zeit du das versuche ich dir schon ewig zu sagen die gehhilfen auf dem weg nach erlongen dem ort des fränkischen drachen head-cha-la mach dir mal gedanken ob wir die äsung überhaupt so stattfinden lassen wollen es gilt ja wieder der katastrophenfall

„Was war noch gleich der Unterschied gewesen? Zwischen Rot- und Dammwild? Herr Durden, immer eine Freude Sie anzutreffen.“

Liebe:r Leser:in, wie ist es um Sie bestellt?

Die Herausgeber