Zwischen
Würzburg und
Leipzig

Er ist der bestgekleidetste Autor Leipzigs, so sagt man. Aber nicht nur das, der ehemalige Trainer des SV West 03 Leipzig, hat es in die Erstausgabe der Kollektiven Literaturzeitschrift Würzburg geschafft. Sakko und Stoffhose – wir treffen den ehemaligen Würzburger in seiner Lieblingsszenekneipe im alternativen Westen der sächsischen Großstadt. Unscheinbar, fast versteckt erspähen wir ihn in einer hinteren Ecke der Raucherkneipe. Der massive Holztisch lädt zum Niederlassen bei Weißwein und Weizen ein. Und unter den Augen seines Lektors tasten wir uns gemächlich in das Interview hinein.

Interview: Florian Bötsch und Emma Baumgarten

“Guten Abend Jo, Gratulation zur Aufnahme in die Erstausgabe der KLW!”

”Das habe ich mir doch schon gedacht”, er grinst spitzbübisch. ”Nein, darüber freue ich mich natürlich sehr.”

“Unsere Reichweite ist ja noch sehr begrenzt, erst Wenige haben uns auf dem Radar. Daher interessiert uns natürlich wie du auf die KLW aufmerksam geworden bist?”

“Ursprünglich hatte Marco mit mir Kontakt aufgenommen, um mich von seinem Verlags-Projekt zu überzeugen. Einige Zeit habe ich dann nichts mehr von ihm gehört bis er sich mit der Idee meldete eine Literaturzeitschrift zu gründen. Er hat mir relativ schnell vermittelt, dass es ihm wichtig ist, dass ich dabei bin. Ich freue mich, dass es jetzt sowas in Würzburg gibt.”

“Ihr kennt euch also schon länger? Da schrillen bei mir alle Alarmglocken. Das stinkt doch nach Vetternwirtschaft.”

“Ich habe mir aus dieser Beziehung schon Vorteile erhofft”, sagt er lachend. “Marco ist merkwürdig und die Gedankenwelt des Marco Bötschs ist für mich schwer zu verstehen, schwer nachvollziehbar. Ich weiß nicht ob wir Freunde oder nur Bekannte sind, aber wir kennen uns seit der Schulzeit und treffen seitdem im Leben immer wieder aufeinander. Ich empfand für Marco und seine persönliche Freiheit schon immer ein Stück Neid. Sein Leben zwischen Abenteuer und Größenwahn, wie er sich der Moderne entzieht.“

“Abseits deines literarischen Schaffens bist du auch als Fußballtrainer in Leipzig bekannt geworden. Was sagst du zu deiner persönlichen Trainerbilanz?

34 Spiele – 9 Siege – 5 Unentschieden – 20 Niederlagen – Minus 33 Tore – 32 Punkte – 0,94 Punkte pro Spiel. In etwa so schlecht wie Michael Frontzeck während seiner Amtszeit bei Arminia Bielefeld 2008/2009. Er kam auf 0,87 Punkte bei 53 Spielen.”

“Ich muss ehrlich sagen, dass die Statistik wohl noch besser ist als die reale. Als Cheftrainer war ich nur bei circa 5 Spielen im Einsatz und an Siege kann ich mich da nicht erinnern.

Es war eine unglaubliche Erfahrung, da ich einfach nicht der Typ bin ein Training für eine Gruppe von 10 bis 15 erwachsenen, gestandenen Männern zu leiten. Auch die Vorbereitung der Trainings, die Ansagen vor den Spielen. Das war eine ungeheure Verantwortung und nicht zuletzt auch stressig und anstrengend. Aber die Erfahrung war es wert.”

“Du hast dich entschieden dein Werk Der Fremde einzusenden. Warum sollte dieser deiner Texte an die Öffentlichkeit gelangen?”

“Einfach weil mir das Thema persönlich so wichtig ist. ‚Der Fremde‘ wurde schon vor Jahren für ein Wettbewerb geschrieben und war auch schon viele Jahre vorher in meinem Kopf. Ich hatte auch die Idee aus der Kurzgeschichte ein Buch zu machen. Aber mir fehlt das Talent ein Buch zu schreiben, deswegen habe ich versucht die ganze Energie in wenige Worte zu bringen. Dazu dient der Stil des Bewusstseinsstroms, der die geistige Verwirrtheit des Ichs widerspiegeln soll. Ähnlich wie bei Döblins Berlin Alexanderplatz.”

“In der Kurzgeschichte berichtet der Ich-Erzähler von einem Gift: Wenn Gift zu lange in dir bleibt, dann stirbst du irgendwann. Was ist das Gift? Was ist deiner Meinung nach ‚das Gift der Zeit‘?”

“Ich sehe in der heutigen Zeit vor allem eine große Gefahr im Internet. Grundsätzlich ist das Internet erstmal eine komplett logische Entwicklung in der heutigen Zeit. Aber es ist ein sehr sensibler Bereich. Gerade für junge Menschen, die dort aufwachsen. Aber ich gebe nicht den jungen Menschen die Schuld. Wir müssen darauf achten, was wir an die nächste Generation weitergeben. Ich meine, dass man alleine durch das Lesen von Kommentaren plötzlich Teil einer Diskussion ist. Es ist alles so gegenwärtig, ungefiltert. Ich habe Angst, unter tagesschau-Artikeln in die Kommentarspalte zu schauen.”

“Der Ich-Erzähler zog in den Osten. Du auch! Ist nicht alles schlecht im Osten, denn auf eine verkorkste Weise hatten wir ein zu Hause gefunden in der Szene, in lauter Musik, in Spätverkaufen […]. Wie war es bei dir?”

“Ich hatte am Anfang Probleme meinen Platz zu finden hier. Nach einer schwierigen Anfangszeit wurde Leipzig dann mein erstes richtiges zu Hause. Ich konnte mich frei ausleben, habe mich wohlgefühlt.
Das Schreiben war und ist für mich eine sehr persönliche Art und Weise Geschehnissen abzuhandeln und sie so zu einem Abschluss zu bringen. Der Text vereint viele Geschichten, die ich vor allem gehört habe und mich aufgewühlt haben. Folgende Geschichte erzähle ich dir gerne: Während am 11. Januar 2016 250 Nazis Connewitz verwüsteten, war ich in einer Bar, die ein mögliches Angriffsziel darstellte. Die Bardame verkündete dies und wies uns daraufhin, gegenseitig aufeinander aufzupassen, gerade auf dem Heimweg. Es war ein komisches, mulmiges Gefühl. Ich war noch nicht lange in der Stadt. Es war schwer zu verstehen und jetzt schwer zu erklären, weil die Gefahr so unreal schien. Man gewöhnt sich daran, dass viel passiert, dass man viel erlebt. Gerade dieses Szeneleben. Dieses Erlebnis war rückblickend eine Inspiration.“

“Leipzig ist ja auch sehr stark geprägt von einer linken Szene. Ist sie dein zu Hause geworden?”

“Ja, ich finde, dass man gerade in Leipzig dieser viel zu verdanken hat. Aber man lebt dann auch in seiner eigenen linken Filterblase. Das kreiert einen ‚alles ist gut‘-Zustand – aber gerade auf dem Land ist es das nicht.”

“Dein Zuhause ist also mittlerweile Leipzig. Wie ist deine Beziehung zu Würzburg?”

“Würzburg ist relativ cool – aber ich empfinde nicht sowas wie einen Heimatpathos. Mittlerweile gibt es auch mehrere Clubs wie das Dornheim, MS und das Kurt, die sich aus der grauen Masse heraus bewegen und nicht mehr Teil des Einheitsbreis sind. Das hat man jungen Leuten zu verdanken, die das aufbauten, denn so eine Entwicklung ist in Würzburg viel schwieriger ohne unterstützende Szene, ohne Blase. Diese Leute bekommen zu wenig Aufmerksamkeit, wenig Wertschätzung”

“Dann kommen wir nun zu den Entscheidungsfragen: Anti-Flag oder Pro Asyl?”

“Pro Asyl – der Patenonkel von Pro Asyl ist Tocotronic und Toco ist halt einfach geil”

“Identitäre Bewegung oder ungleiche Stagnation?”

“Da kann man ja nur ungleiche Stagnation sagen. Die IB wird in Deutschland vom Verfassungsschutz beobachtet. Wenn man sich ihre Werbevideos und die darin enthaltenen militanten Aufrufe anschaut, auch vollkommen zurecht. Man bekommt das Gefühl, dass man sich im Kreis dreht. In den 90ern war es auch schon da. Ich erinnere da nur an Rostock-Lichtenhagen.”

“Daniel Glück oder Pech in der Liebe?”

“Immer Daniel Glück. Alleine wegen der Dancemoves. Daniel Glück kann man nur lieben.”

“mywurscht oder Frittenbude?”

“Ich esse selten Currywurst, also Frittenbude.”

“Damit sind wir am Ende unseres Interviews angelangt. Danke für den schönen Abend und den Einblick in dein Leipziger Leben! Auf ein baldiges Wiedersehen- vielleicht schon bei der Druckkostenlesung der KLW am 19. Februar?”

“Vielleicht schaffe ich es. Vielleicht traue ich mich auf die Bühne. Aber ich kann mir gut vorstellen den Text in Vertretung vorlesen zu lassen.”

Danke für das Interview!

Der Text “Der Fremde” wurde weder von einer radikalen Person geschrieben, noch soll er radikalisieren. Er beruht auf gehörten Geschichten, die zusammengefasst wurden und soll keine Kritik an der linken Szene sein.