Kapitel 1:
Wie Sardinen aus der Dose

Aufblende.

101 Dalmatiner; betraten eine andere Welt. Anfang des Sommers, Rundhut, heruntergeschlagene Mantelkrempe und Absatzschuhe. Frischer Wind in den Laden, die Peitsche die wir brauchten, eine neue Schreibmaschine, frisch geölt. Wir begrüßen KMP im Kollektiv samt Gitterhelm und Fuchs- Stoffette; tat sich durchaus hervor. Doch folgende Fragen sollen aufklären:

UP: KMP, wie groß ist Dein Weinvorrat?

KMP: Njaa, der ist so ein bisschen alternierend immer, ich erwähnte damals [erste Begegnung mit dem Kollektiv in Blut und Fleisch, Anm.], dass ich den Wein aus dem Keller habe, und wie ihr mittlerweile festgestellt habt, ist das auch einfach die Wahrheit gewesen. Zurzeit ist er nicht mehr so groß, aber – (prustet.) man kann sich immer mal wieder bedienen und immer mal wieder ihn so ein bisschen auffrischen. Das ist eben der Vorteil wenn man (..) Weingroßhändler in spe ist.

UP: Hatte die KLW etwas damit zu tun, dass der Weinkeller sich in kürzester Zeit signifikant geleert hatte?

KMP: Mhh, mhh, die KLW war da nur ein, ein marginales Steinchen im riesigen Schotterhaufen des Weinkonsums in diesen Räumlichkeiten.

UP: Um nicht weiter auf die eingehende Frage Bezug zu nehmen – welchen Stellenwert hat für Dich die Illusion im sozialen Miteinander?

KMP: Die Illusion? –

UP: Im sozialen Miteinander.

KMP: Dass man sich als Mensch, immer wenn man im sozialen Kontakt steht, präsentiert und dort ein Abbild erschafft, was man zum Teil selbst ist, was aber zum Teil auch – man nicht selbst ist, meinst Du das?

UP: Trugbilder?

KMP: Trugbilder?

UP: Vielleicht?

KMP: Jaaa [„a“ geht mit dem Laut nach oben, Anm. d. Red.], das ist denke ich bei jedem anders. Manch einmal erscheint man authentisch, manch einmal ist man quasi – wie ein Schauspieler – nur mit Maske, mit einem Gitterhelm vor dem inneren Ich. (Pausiert. Zieht Luft ein.) Ich denke es spielt eine große Rolle. Es kommt natürlich immer darauf an mit wem man sich wie sozial auseinandersetzt. Manchmal ist es hilfreich, manchmal auch hinderlich, aber um ein konkretes Statement zu geben: Ja ich mag schon die Illusion, ich, ich, ich mag schon den Film, ich bin so’n richtiger Fan von diesen Method-Acting-Robert-De-Niro-Filmen, wo so richtig so … Stimmungen erzeugt werden. Also da würde ich schon sagen: Ja, Illusionen spielen schon ’ne große Rolle.

UP: Wie würdest Du den Zeitgeist beschreiben? Siehst Du Dich als Teil von diesem?

KMP: Schwerlich. Ich meine ich lebe in dieser Zeit und damit muss ich mich abfinden; und dann muss ich das Beste daraus machen, aber bin so ein bisschen der Träumer, ich denke mir manchmal so: Ahh, Prohibition, 1920er -30er Jahre, so die guten alten Gangsterzeiten, so als … die Männer alle noch Hüte getragen haben, das war noch gut. Aber naja, man muss sich mit dem abfinden, was man hat und – wie gesagt: Die Filme, die Literatur, helfen einem da doch schon in die alten Zeiten zu enfliehen.

UP: Hast Du noch Sekt da? Ich glaube ich habe noch einen kleinen Schluck.

KMP: Keine Ahnung wo mein Glas ist.

UP: (erhebt sich, läuft am langen Holztisch entlang.) Bleib ruhig sitzen, ich hol’s Dir, ich hab‘ noch eine Frage für Dich: Also wenn Du sagst, Du musst Dich damit arrangieren, sinngemäß – was findest Du denn vor? Im Zeitgeist?

KMP: Heutzutage?

UP: Ja, Du sagst —

KMP: (Stößt seufzend Luft aus.) Das ist, das ist … was heißt schwierig, eigentlich ist es einfach, uhm: Der Mensch neigt irgendwie so dazu immer die Vergangenheit, das was war, das was früher war, immer zu verklären. Das ist schon dieser Spruch „Früher war alles besser“ und, naja, wenn jeder zurückdenkt, dann denkt man so:

„Achja, früher, die eigenen Tage waren so cool, und jetzt ist irgendwie alles so schlecht“ – das stimmt nicht immer, aber das ist bei mir auch in der Form ausgeprägt, dass ich mir halt so denke: „Es wird nicht einfacher auf dieser Welt und —„

UP: Klenk! (Trinkwort. Stößt an mit Glas.)

KMP: (spielt mit, wirkt darunter jedoch etwas betreten.) Klen —
„…es wird nicht einfacher auf der Welt und es wird gefühlt oberflächlicher.“ Ich bin auch einfach so der technische Anachronist —

UP: Die frisch geölte Schreibmaschine –

KMP: Ich komm‘ aus der DDR [KMP ist nach 1990 geboren, Anm. d. Red.], mein Vater fährt noch Trabant, so. Der hat ein noch älteres Handy als ich, und das ist auch alt was ich habe. Das war immer so ein bisschen Gegenkultur fand ich. Nicht: Neuestes Handy, neueste Sneaker, sondern so Altes, Bewährtes, Traditionelles, Handwerkliches – ’ne Schreibmaschine halt.

UP: Wie beschreibst Du Dein erstes Aufeinandertreffen mit KLW – in Printform, sowie Dein erstes Stelldichein mit dem Kollektiv in Blut und Fleisch?

KMP: Also das erste Aufeinandertreffen in Printform, das ist eine Bilderbuchgeschichte für die Verbreitung der KLW, und zwar war das im Sommer 2019 auf dem Fachschafts-Vernetzungstreffen am Hubland zwischen Physik, Chemie, Bio, keine Ahnung, Geo und so’n Schrott war wahrscheinlich auch alles da, und – naja, da ham wa halt gegrillt und in dem Kasten, wo das Holz zum Anfeuern vom Grill lag, lag halt da so ein Stück Papier…