Er empfängt mich in ein verwaschenes braunes T-Shirt gehüllt, wirkt müde, etwas erschöpft, neben ihm ein abgegriffenes Buch in altem Einband, vor ihm eine Schale Tee. Wir beginnen unser Interview und die meiste Zeit wirkt er sehr ernst, gefasst, überlegt lange und antwortet bedacht auf meine Fragen.
„Wie und wann bist du zum Schreiben gekommen?“
Er überlegt. Fragt was ich meine, literarisches Schreiben oder Schreiben generell. Ich antworte ihm, Schreiben um des Schreibens selbst willen, ein Text um des Textes Willen. Wieder langes Schweigen.
Dann antwortet er: „Nach dem Abitur oder noch während des Abiturs fing ich an eine Serie zu schauen, namens Californication und der Hauptprotagonist inspirierte mich. In der Zeit war ich wohl ziemlich größenwahnsinnig, sperrte mich in meinem Kinderzimmer ein, hab geraucht und geschrieben. Das war wohl das erste Mal, dass ich um des Textes selbst willen Texte verfasste.“
„Da du Kinderzimmer erwähnst, wie alt warst du?“
„17, 18, sowas.“
„Auf welche Weise bereichert Literatur dein Leben? Was gibt dir die Literatur?“
Wieder überlegt er lange, schaut in die Ferne und beginnt langsam. „Es gibt da eigentlich keine feststehenden Definitionen. Es gibt immer Nuancen, wo gewisse Dinge mehr Sinn machen. Jetzt gerade würde ich sagen, Literatur ist die vom Menschen gemachte Selbstvergewisserung. Der Raum, den man betreten kann während der Zahn der Zeit an einem nagt. Und es bringt natürlich immer neue Denkanstöße.“
„Nagt der Zahn denn an dir?“
„Naja, er nagt, solange bis nur noch das von uns übrig ist, was ich als Seele bezeichne. Also, allgemein auf Menschen bezogen. Am Ende steht der Tod, das wird einem früher oder später bewusst. Dann merkt man die Endlichkeit der Tage, ist ja noch kein Gegenmittel gefunden worden.“
„Ja, außer bei den Daoisten, aber die sind alle auf Tigern in den Westen geritten.“
Er lacht. „Dann müssten sie doch bei uns ankommen.“
“Welches persönliche Ziel verfolgst du mit dem Schreiben? Bildungsauftrag? Unterhaltung? Fame & Bitches?“
Er lacht kurz herzhaft auf, wird dann aber wieder ruhig. „Also gar nicht was ich für andere Menschen verfolge, sondern für mich selbst?“
„Ja, persönliche Ziele“
„Für mich gibt es da keine Ziele. Wie ich schon bei meiner spontanen Definition von Literatur sagte, es ist Selbstvergewisserung. Da gibt es kein Etappenziel, das klar zu benennen ist. Ich sehe mich oft als Zeitzeuge, jemand der genauso im Fluss der Ereignisse steht und wie ein Chronist wird, auch für mein eigenes Leben. Das ist so ein wiederkehrender Gedanke den ich oft habe. Daneben, während des Schreibens so zu leben, dass ich das als Selbstvergewisserung immer brauche.“
,,Während des Schreibens so zu leben, dass du das als Selbstvergewisserung brauchst? Wie meinst du das?“
„Gestern Nacht stand ich rauchend vor meinem Zimmerfenster und hab eine Gefahr darin gesehen, dass man sich das Leben zu komfortabel macht und dann nichts mehr hat, wessen man sich vergewissern muss, worüber man schreiben muss.“
„Und was verfolgst du dann für andere Menschen?“
„Wenn man sich das literarische Schaffen nicht für sich selbst sondern andere Menschen denkt, dann gibt es einen Katalog, dann ist es einfacher zu kategorisieren, bietet einen Auswahlkatalog, wie die Sachen, die du da aufgezählt hast.“ [Denkpause] „Fällt mir nicht leicht drauf zu antworten. Literatur befriedigt verschiedene Bedürfnisse. Solange Menschen ihre Nische finden und damit zufrieden sind bin ich auch zufrieden. Das verbinde ich auch mit KLW, dass jedem eine Plattform gegeben wird, denn jeder kann etwas schreiben. Am Wichtigsten ist mir das Menschen nicht sagen, sie hätten es nicht drauf oder die Geduld nicht.“
„Was würdest du diesen Menschen sagen?“
„Man sollte sich fragen, wie ernst meint man es mit sich selbst oder ob man wirklich schreiben muss. Wenn man kontinuierlich schreibt kommt irgendwann die Phase, wo man sich ständig fragt: Bin ich wirklich gut genug, sind meine Texte nicht einfach nur Mist. Wenn man von Phase zu Phase immer Gründe finden kann es fortzuführen, daraus kann man das Selbstvertrauen ziehen. Ich hab auch neulich einen Briefwechsel von Rilke und einem jungen Dichter gelesen, eigentlich nur den ersten Brief, und da meint er auch, man sollte gar nicht unterscheiden nach gut oder schlecht, das kann schon hemmen, man sollte nur darauf hören was aus einem Selbst kommt.“
„Wieso braucht es die KLW in Würzburg?“
„Ursprünglich“ [dreckiges Lachen] „ist die KLW ja ein Baustein in dem größeren Projekt Würzburg zur unterfränkischen Literaturmetropole auszubauen, entstanden in einem Anflug von betrunkenem Größenwahn. Mehr praktikabel ist es, dass es in Würzburg kein solches Format hat und Leute eine Anlaufstelle brauchen. Schön wäre es, wenn es weitere Kreise zieht. Weil ich Literaturzeitschriften erlebt habe, die etwas abgehoben daherkommen. Damit es einen Anlaufpunkt gibt und um den Diskurs zu ermöglichen.“
„An wen richtet sich die KLW?“
„Es richtet sich an Menschen, die kein Geld haben und sich einfach mal in Ruhe mit einem Glas Leitungswasser ins Café setzen und über der KLW die Tristesse ihres Lebens vergessen. Damit ich nicht immer so ernste Antworten gebe.“
Der Kellner bringt ihm ein Glas Leitungswasser.
„Nun vier Entscheidungsfragen mit Begründung. Juli Zeh oder Günter Grass?“
Herzhaftes Lachen. „Ohoho, der Wichser hats echt gelassen.“ (Gemeint sein Bruder, der die Eckpunkte des Interviews geliefert hatte) „Naked Lunch von William Burroughs.“
„Warum?“
„Weil weder Juli Zeh noch Günter Grass“
„Schreiben oder Lesen?“
„Lesen. Ist einfacher.“
„Beatsteakes oder Seitan Schnitzel?“
Gelächter. „Beatsteakes. Ganz klar.“
„Wieso?“
Langes Überlegen, dann Gelächter. „Scheiße. Schreib einfach, dass ich mich daraufhin kaputtgelacht habe. Was soll man da noch begründen?“
„Würzburg oder Leipzig?“
„Würzburg fürs Dahinvegetieren, Leipzig für höhere Lüfte“
Danke für das Interview!