„Uns fehlte noch ein Jazz-Trompeter“

Annäherung an Talia Klenk, 06. Juli ‘21

 

Prolog: Racoon Dog – Tanuki

 

„Der Marderhund (Nyctereutes procyonoides), auch Waschbärhund, Tanuki oder Enok, seltener Obstfuchs genannt, ist eine Art aus der Familie der Hunde. Aufgrund konvergenter Evolution weist der Marderhund Ähnlichkeiten mit Mardern und Kleinbären auf, insbesondere mit dem Waschbären, mit dem er aber nicht näher verwandt ist.“

Wir sitzen im Raum. Talia, Yannik und ich; Yannik erzählt mir, während das Aufnahmegerät schon läuft, vom Racoon Dog, den Waschbärhunden Japans. Von den alten Gegenständen in japanischen Haushalten, die im 99. oder 100. Jahr ein Innenleben entwickeln, von Dämonen bewohnt. Es gibt gute, schlechte Dämonen, dann gibt es auch noch den Tofu Boy, einen kleinen Schelm, der die Leute mit kleinen Tofustücken auf Tellern erschreckt – ich frage mich, ob er Dämon. Ich frage mich, ob der Weihnachtsmann auch schon seinen Schrecken davontrug in japanischen Haushalten. Yannik erzählt von japanischen Papierlaternen, mit Rissen an gewissen Stellen, für Mund, für Zunge. Dann geht er.

„Im Gegensatz zu den Füchsen sind die tanuki typischerweise männlichen Geschlechts (obwohl es auch weibliche gibt). Eines ihrer Charakteristika sind denn auch ihre übergroßen Hoden (natürlich ein Glückssymbol). Wenn sie wütend werden, können sie diese Hoden auch als Schlagwaffen verwenden. Ihr Strohhut kennzeichnet die tanuki als Reisende bzw. als Vagabunden.“

 

DELLE IN DER ZELLE

 

Talia Klenk hatte einmal ein Buch geschrieben, über einen Detektiv Mike Johnson, der war ziemlich rough around the edges, ließ es reifen – Californication und Bukowski öffneten derweil Türen für das Leben unter der harten, amerikanischen Sonne – und brachte es dann zehn Jahre später heraus. Immerhin hatte sie es mit fünfzehn geschrieben, damit die gesamte Klasse einer Wirtschaftsschule unterhalten, Klassenkamerad:innen wurden selbst zu Figuren, der aus der Sekte zum Beispiel. Wir reden bei knackender Pizzakruste und knarzendem, schwarzen Ledersofa. Auf der Aufnahme hört es sich jedes Mal so an, als würde ich in die Tiefe stürzen, nur weil ich meine Arschbacken neu kalibirere.

„Hab ich selber gebaut.“ (lacht und weist auf Wandschrank.)

„Mmh, ich weiß. Das hattest Du erzählt.“

„Ich find’s immernoch geil.“ (beißt in die Kruste. Pause. hebt wieder an.)

„Da kommt dann noch mein Spiegel (unverständlich) und meine Poledance-Stange hin.“

„Spiegel und was noch?“

„Polcedance-Stange.“

„Ahja.“

Wer sagt etwas? Und wer hört wem zu? Vielleicht bin ich bei Talia, damit sie mir zuhört. Die Stange stammt von einer früheren Mitbewohnerin, sie würde laut Aussage regelmäßig bei Hausfeierei die Gäst:innen zum Tanzen animieren, in ihrer Verankerung.

„Wie schaut’s eigentlich aus mit der Abrissfete, in der alten WG?“

„Ich glaub das schaffen wir nicht mehr. […] Und außerdem haben wir gar keinen Strom [mehr] da. Ich hab‘ die Wohnung doch schon abgemeldet.“                   

(enttäuschtes Aufraunen)„[…] einfach ganz viele Kerzen aufstellen.“

(ungläubiges Aufraunen) „Ja, aber Besoffene und Kerzen? Da fackelt doch die ganze Bude ab.“

Der Balkon ist schwer vom Weltschmerz, es ist eine rote Sonne über Würzburg in diesem verregneten Sommer; über den Innenhof ein anderes Haus, alte Leute nutzen das dortige Gerüst der Verputzer um ihre Wäsche daran aufzuhängen, sagt Talia. Zwei Tauben knusern eng an eng, sie kennt das Paar, sie kennt die einsame Taube, die sich sichtlich dazudrängt. Sie kennt das zweite Paar nicht, und sagt: „Die müssen neu sein.“                           Später reden wir, dem Sinn nach:

„Ein Künstler, eine Künstler:in, muss doch – selbst wenn alles um sie herum zum Erliegen kommt […], schaffen, kreieren können als wäre sie der letzte Mensch. Ähnlich einer Isolationszelle.“

„Ich würde Dir da recht geben.“

„– ich meine ich komme darauf, weil ich vor einiger Zeit das Interview eines Musikers gelesen habe; die Aussage war dann ungefähr jene: ‚Unsere Tournee wurde abgesagt, und jetzt wissen wir nicht, was wir tun sollen. Wir haben keinen Ansporn, neue Musik zu machen.‘ (etwas brummig) Warum macht ihr denn Musik? Weil sie aus euch herauskommt, oder weil ihr ein Publikum braucht? Schreibst Du Texte, weil Du Texte schreiben willst, oder schreibst Du Texte, weil es eine Audienz dafür gibt?“

„Beides. Also ich würde genauso schreiben, weil ich das vorher schon gemacht hab. Das Ding ist einfach, dass Dir die Motivation genommen wird, weil Deine Konzentration auf andere Dinge gelenkt ist. […] ich war fucking in der Zeit … andere Leute haben sich Klopapier gesichert, wir haben uns Gin gesichert. Alter, wir sind in den Aldi rein, weil wir dachten, nachdem die Leute sich Klopapier gesichert haben, sie auch noch anfangen Alkohol zu bunkern. Eigentlich wäre es die ideale Zeit gewesen, sich die Zeit zu nehmen, zu sagen: Ich schreib was. Voll.“

„Ich meine das ja nur von diesem existenziellen Künstler:innenbegriff aus. Natürlich: das verläuft ja immer so asynchron; dass man dann plötzlich, in den Zeiten, in denen man alles gehabt hätte, um es ungestört zu machen, macht man es dann halt nicht. Und wenn um einen herum dann wieder was los ist und alles tobt, dann isoliert man sich plötzlich und nimmt sich heraus.“

„[…] Für mich war das schwierig: zu merken, ich brauche die Auftritte, brauche das Publikum, brauche die Bühne.“                                                                                 

  „Es ist Rap-Einzelhaft in einem Knast ohne Musik/

Und ich schlage eine Delle in die Zelle für den Beat/

Dann fang ich an zu rappen bis der Aufseher schreit/

Er kann mich boxen, wie er will, ich sage weiter ich bin tight!/

YEAH – Also ritze ich die Texte in die Wand/“

 

Epilog: Warum stellst Du Dich wieder auf diese Bühne?

 

Das Universum hatte sie ausgespuckt. Ihr falle es schwer, zurück- wie jetztblickend, sich noch mit ihrem Mike Jonson zu identifizieren, ein Sequel wäre sogar noch derber geworden als der Auftakt, somit nicht mehr zu verantworten. Abgesehen von der Schreibstube, bleibt Talia Klenk – was? Der Kampf gegen die künftige Diktatur der Fahrräder, möglicherweise ausbaldowert in ihrem hauseigenen Podcast drunkenlivingroom, FFF trifft auf – ?; Die Bühne selbstredend. Selbige Woche, in der auch das Gespräch stattfand, hielt für sie eine verstopfte Kellerlesung bereit, und einen PoetrySlam goes Metal Event. Die Bühnen sind offen, wie lang auch immer, und Talia wirkt erleichtert; im Hyperfokus, in ihren Anlagen gewissermaßen enthalten, werden drei Tage und Nächte durchgeschrieben, Telefonate negiert, Pizzen verbrannt im Ofen aufgefunden, die fälligen (Ver-)(Brand-)Opfer für den Prozess.

Synchronisiert Isolation und Audienz, lebt die Flamme von den Vereinzelten, von Talias Texten hingerissen zu Identifikation, Out-Coming, von den Bewohner:innen der Bühnenstädte, sie laden ein zum Übernachten nach den Lesungen, Improtheatern und Slams. Durchgesprochen die langen Nächte, langgefahren die Tage in den Nah- und Fernzügen, Wort und Vortrag in gegenseitiger Blüte. Es liegt eine gewaltige Akkuratesse in kunstinduzierten Gefühlsweisen und Verhaltensarten. Eben getätigter Satz als greifbarste Erkenntnis der Begegnung.

„Kannst Du nicht einfach Zeit verbringen? – Äh, ne, das ist ‘ne Bühne, ich muss da jetzt hin.“

 

Gezeichnet,

der unbezahlte Praktikant (UP)

 

Zu Talia Klenk und ihren Unternehmungen:

Prosa-Debüt von 2018: Mike Jonson – die spannenden Kurzgeschichten eines schlechten Detektivs (ISBN: 978-3-7450-8979-0)

drunkenlivingroom, der Podcast – über all wo es Podcasts zu hören gibt (Spotify etc.)

Improvisationstheater