Der Raum ist von ooooben bis unten mit EQUIPMENT vollgestellt: Der Vox-Verstärker, 30 Watt, Vollröhre, schwarz, da auf dem Tisch. Daneben die Lavalampe, mattgrau, blubbert. Das Yamaha PSS-A50 ist mit Klinke am Vox angestöpselt, soll man laut Lehrbuch eigentlich nicht machen, aber der Kompressor vom Vox klingt ehrlich gesagt zu gut, um wahr zu sein. Das Tone-Work Effektgerät muss fürs erste unbestromt bleiben, bis Darius ein neues Netzteil vom Saturn klaut. Die E-Gitarre klingt auch so einfach mal irresistible. So holzig jazzy schwebend süß. Zwei Mikrophons, ein Starzz-Allround und eines dieser Zoom-Exemplare, die einem in den 2010ern von thomann.de hinterhergeschmissen wurden. Das Starzz hängt im Stativ, auf Lippenhöhe, das Zoom liegt in einer Kaffeetasse auf der Küchenzeile. Drumcomputer gibts hier logischerweise auch. Zwo Stück. Ein Pocket-Operator K.O., das da nackt auf dem Kommödchen in der Sonne schmort, mit einem Dreikommafünf Millimeter am Vox, dann noch ein Korg Volca. Der Korg ist nicht angeschlossen und sequenziert da so still vor sich hin. Ist echt enigmatisch, dem Korg beim Blinken zuzusehen, ohne dass Sound rauskommt, man kann nur draufgucken und sich zusammenreimen, was da rauskommen würde, wenn der Korg angeschlossen wäre, dann könnte man sich den delikaten Beat einfach mal reinziehen, aber nö, geht nicht, die Konnektivität ist auf Krise, der Korg trommelt da so still und allein in sich rein, und was mildly interesting ist: Kein Philosoph kann widerlegen, ob der Drumcomputer in den Hinterzimmern seiner Platinen gerade das vierte Reich vorbereitet. Das hat Darius mal so in den Raum gestellt. Er meinte mal, es wäre theoretisch möglich, dass die Elektronen und Schaltkreise im Inneren eines Drumcomputers sich zufälligerweise zu einer Entität anordnen, die der subatomaren Struktur von Adolf Hitler ähnelt. Er meinte auch mal, die ultimative Einstiegsdroge ist Musik. Deshalb hat die Diktatur des Drumcomputers auch leichtes Spiel: Weil Leute, für die Musik ein Thema ist, grundsätzlich latent drauf sind.
Wenn Darius sich mal die Mühe machen würde, an das Fenster seines Zimmers/Tonstudios so etwas wie Vorhänge zu montieren, würde die Sonne hier auch nicht so ungefiltert reinknallen. Ihn stört das nicht. Nicht, wenn er im Flow ist, so wie jetzt gerade. Er nimmt sich alle möglichen Gerätschaften vor, seine Guitar, seinen Pocket-Operator, sein PSS-A50, seine Mics. Er produziert Musik, man hört es, man sieht es, und das, was man hört, und was man sieht, scheint, sich für die gefühlten 40 Grad im Zimmer nicht die Bohne zu interessieren.
Es geht um die VIBES. Die VIBES müssen gesynced werden. Seit Darius von Frida einen Crashkurs in atmosphärische Klangproduktion bekommen hat, geht es ihm nur noch um die VIBES. Kannst du jetzt ohne Scheiß mal das Bad putzen? Und den Müll rausbringen? Mann Mann Mann Mann Mann, wie lange muss man denn hier rumturnen, bis was passiert? Ich stehe hier schon seit vier fucking Monaten in der Ecke dieses Zimmers oder Tonstudios oder whatever und muss mir diese Tretmühle angucken. Jeden Tag dudelt er da rum! Jeden Tag! Wann kann ich mich endlich mal aufs Ohr hauen? Ich bin müde, Brother, ich möchte mich endlich im Weltgeist auflösen, aber du und deine Künstlerkarriere, ihr haltet mich gefangen.
Darius meinte, man kann die Preissegmente seines EQUIPMENTs als Stilmittel benutzen, um auf die sozialen Umstände seiner Lebenssituation hinzuweisen. Die Herstellerinnen von EQUIPMENT wissen das, meinte Darius, deshalb wollen die ihre Produkte auch immer billiger machen.
Aufnahmestopp. Darius muted alle Instrumente. Er legt seine Hände auf die Laptoptastatur und drückt auf Play, hört sich seine Gitarrenspur an. Ich würde sagen, so, wie er nickt, ist er happy.
Was du brauchst, sind Audiointerfaces → Audiointerfaces → Audiointerfaces. Nur 170 Euro Anschaffungskosten für ein Audiointerface. Nur 170 Euro! Du wirst doch wohl 170 Euro entbehren können, oder, Darius?
Tja, wie soll ich sagen: Er hat einen Fetisch auf subversive Garagenvibes, mit all ihren finanziellen Shortcomings inklusive. Praktisch gesehen produziert er einfach nur Musik, aber theoretisch gesehen geht es dabei auch um das Bilden von Gegenkulturen als metaphorisches Koten auf die Schreibtische irgendwelcher Plattenbosse. Warum müssen Künstler immer so heroisch sein? Würden die alle mal ihre Don Quijote-Komplexe abstellen, würden unsere Badezimmer auch wieder glänzen.
Darius, wie er da hochkonzentriert am Arrangieren ist … Das wird jetzt stundenlang so weitergehen. Stundenlang wird er zwischen Gitarre, Pocket-Operator und PSS-A50 trigonometrisch durchiterieren. Das fensterförmige Rechteck wird über den Boden kriechen, die Tischbeine hoch, entlang der Tastatur, einmal quer über das Face von Darius, der sowas von absackt in seinem Flow, dass er gar nicht mitkriegt, wie der ganze Spätnachmittag einfach so um ihn herumpassiert. Ich bleibe hier stehen. Mache seit vier fucking Monaten ja eh nix anderes. Meine Arbeit macht echt keinen Spaß, aber irgendwer muss dem Darius ja sein Gewissen verderben. Übrigens steht heute Abend zur Abwechslung mal Entertainment auf dem Plan: Heute Abend wird Darius einen Stromschlag vom Vox verpasst kriegen, er wird durchdrehen, und er wird alles, was auf dem Schreibtisch liegt — Laptop, Lavalampe, Gitarrenverstärker, Drumcomputer — quer durch den Raum schleudern, bis sein gesamtes EQUIPMENT vollständig und irreversibel Schrott sein wird.