Überall war sie bekannt. Im ganzen Land hatte es sich herumgesprochen, dass im kleinsten Theater der Stadt eine Tänzerin jeden Abend die gleiche Vorstellung gab. Und jeden Abend drohte der Saal aus allen Nähten zu platzen. Denn die Tänzerin, die grazil über die Bühne schwebte, hatte eine Gabe. Eine Gabe für die Menschen von nah und fern anreisten. Zuerst wurde es nur gemunkelt in dunklen Gassen und Spelunken. Doch schnell war es im ganzen Land verbreitet, dass die Tänzerin im kleinsten Theater der Stadt wahre Wunder vollbrachte.

Bald wurde sie nur noch die gute Fee genannt, die jeden Abend die Sorgen der Zuschauer verschwinden ließ. Im Saal herrschte vor der Vorstellung reges Treiben. Über die verbreiteten Gerüchte und die Vorfreude auf die Vorstellung. Nur vereinzelt saßen die Zuschauer, gebannt auf den roten Vorhang starrend, auf ihren Sitzen.

Als hätten sie sich den ganzen Tag darauf gefreut. Bei denen, die sie schon gesehen hatten, stimmte das wohl auch. Nur unter diesen, die sie noch nie gesehen hatten, herrschten vereinzelt Zweifel, ob an den Gerüchten auch wirklich etwas dran war.

Zur gleichen Zeit, hinter dem Vorhang in ihrer Umkleide, saß die Tänzerin. Vor ihr im Spiegel lächelte sie sich zwar entgegen. Doch obwohl sie sich schon so oft so gesehen hatte, kam sie sich immer noch fremd vor. Die Haare waren perfekt hochgebunden, sodass keines aus der Reihe tanzen konnte. Ihre Augen übertrieben geschminkt, dass man ganz vergaß, ihr in diese zu schauen. Und das Kleid saß perfekt, als hätte jemand ihren Körper nach den Maßen geformt. So makellos sah sie aus, als wäre sie nicht von dieser Welt. Man hätte sie wirklich für eine Fee halten können.

Ihre Flügel glitzerten im Licht der Umkleide, als die Tänzerin sie anzog und sich im Spiegel betrachtete. Sie war noch nie nicht aufgeregt gewesen, bevor sie auf die Bühne ging. Vollkommen egal, wie oft sie es schon getanzt hatte. Jedes Mal schlotterten ihre Knie so sehr, dass sie glaubte, nicht einen Schritt ausführen zu können und alle Zuschauer zu enttäuschen.

Mit jeder Vorführung stiegen die Erwartungen an sie. Mit jeder Vorführung stieg der Druck, der auf ihr lag. Doch sobald sich der Vorhang öffnete, die Musik erklang, sie die ersten Schritte tanzte, wusste die Tänzerin, dass ihre Sorgen unbegründet waren. Grazil schwebte sie über die Tanzfläche, als wäre Das genau Das, wozu sie geschaffen war. Als wäre sie exakt an dem Punkt, an dem sie seien sollte. Mit fließenden Bewegungen, die so spektakulär und doch so natürlich wirkten, verzauberte sie ihr Publikum. Auf ihren höchsten Zehenspitzen tanzte sie so bewegend, dass im ganzen Saal kein Zweifel gehegt wurde: Sie war die gute Fee.

Gebannt lagen die Augen aller Zuschauer auf ihr, während sie still und heimlich ihre Sorgen klaute. Ihnen Feenstaub in die Augen streute und damit ein kleines Stückchen Glück schenkte.

Jedem außer sich selbst.

Denn mit jedem Schritt schien sie ein Stück von sich selbst zu nehmen, um die Zuschauer glücklicher zu machen. Schon lange tanzte sie für die Massen. Noch lange würde sie weitermachen. Doch nun, da er Realität war, schien ihr Traum, den sie sich ihr ganzes Leben lang erträumt hatte, gar nicht mehr so traumhaft zu sein.

Während die Zuschauer vor Glück erfüllt nach Hause gingen, in ihre warmen, weichen Bettchen krochen, um dort von den schönsten Träumen zu träumen, die sie sich erträumen konnten, saß die Tänzerin in ihrer Umkleide.

Allein.

Und wünschte sich nichts anderes, als auch einmal eine gute Fee zu haben. Sie nicht immer nur zu sein.