Schlagzeile: Krieg in der Ukraine. Schwerer Luftangriff auf eine Schule.
Ich mag die Farben der Flagge nicht wirklich. Der Kontrast wirkt beunruhigend. Kontraste sind für mich wie ein morgendliches, unergründliches Nervositätsgefühl; ich hasse die Schere bei Schere Stein Papier; ich hasste sie schon immer. Ich mag Graustufen, Sepiatöne; opioide Verschmelzungsphänomene, gleichgültiges ineinander übergehen; ich mag Smoothies; Müsli, wenn es für geraumer Zeit schon in der Milch schwimmt und sich hergibt, die farbliche Veränderung der Flüssigkeit; ich mag sehr langsamen Sex; Ich verstehe nicht, warum Google das Design seines Logos so infantil gestaltet hat; diese volkschulartige Verwendung von Farben; der Font ist auch nicht mit Bedacht gewählt; vielleicht passieren solche Dinge nun mal in der hastigen Frühphase eines Unternehmens, Kinderkrankheiten sozusagen, aber eigentlich gibt es da nichts zu verstehen, man kann ja auch nicht behaupten, der Name „Google“, „Googie“ „Gugl“, wäre seriös, das fügt sich dann halt alles, neoliberale Infantilisierungsfutter, man müsste ja noch Ernst finden können wenn man irgendwo hinschaut in dieser Welt. Bei Apple: Ein abgebissener Apfel, wenigstens elegant irgendwie, vielleicht erotisch, man könnte sich ja vorstellen, es wären laszive Frauenlippen gewesen, die da an der Haut des Apfels waren, dieser süße, saure Saft dieses Ursymbols für Fruchtbarkeit wäre an einem ästhetischen, zarten Kinn heruntergeronnen, ok. Milky Way hat ein scheiß Logo. Man muss dazu nichts erklären. Jeder Mensch mit einem Bewusstsein für Schönheit sollte sowas erkennen. Wer sind eigentlich berühmte Ukrainer beziehungsweise Ukrainerinnen – aja, Klitschko – aber außer dem – gibt es noch irgendwelche Ukrainer*innen, die ich kenne? Fein, ich gendere sogar wenn ich denke. Ich bin links.
Schlagzeile: Krieg in der Ukraine: Flucht vor den russischen Horden.
Ich mag das Wort Horde. Horrrrddddee. Horde. Es gibt nicht so viele Wörter, die so sind wie dieses Wort. Ich mag auch das Wort Germ – „Germ Knödel knöö“ oder „Schrott“. Das Wort Flucht beunruhigt mich. Wenn ich mich mit meinem Psychotherapeuten über dieses Wort „Flucht“ austauschen würde, dann würden wir, glaube ich, herausfinden, dass es in mir nur auf spezifische Art und Weise Gefühle von Gefahr und Angst hervorruft. Also nämlich nicht die Kälte und die Hitze und die Probleme mit dem Essen, natürlich, das sind existentielle Probleme, aber das führt ja auch zu einem existentiellen Zusammensein, also mit den anderen Flüchtlingen und der Familie und den Freunden und man hätte vielleicht gar keine Zeit dazu seine Bindungen zu hinterfragen, vielleicht kommt es ja zu einer innigen Solidarität, zu einem Oxytocin Fest, ich meine, ich weiß, dass es nicht so ist, dass das alles katastrophal und traumatisch ist, aber im Kontext der Narrativen, die ich im Kontext meiner Psyche erstelle, dann ist alles viel wärmer wenn man gemeinsam auf der Flucht ist. Die Flucht, wie sie von den meisten Menschen wahrscheinlich verstanden wird, wühlt mich nicht auf. Ganz innerlich beunruhigt mich als Individuum spezifisch der Moment der Trennung, also wenn Verwandte noch dort sind oder sterben oder gezwungen sind, eine andere Route zu nehmen, als man selbst. Und kurioserweise beschäftigt mich ganz enorm das „geflohen werden“ – die Angst davor, dass Land, der Boden, der Grund, die Stadt, der Staat zu sein, dem man entflieht, das Kriegsgebiet als „Ich“, als Person, dass man allein gelassen wird, mit den Bomben- und Stahlgewittern, die in einem wüten. Ich glaube, das hat etwas mit Verlustangst zu tun.
Schlagzeile: Zerstörung in der Ukraine – die Menschen leiden
Ich stelle mir beim Essen vor, dass jedes Lebensmittel, dass ich esse, mit übertriebener Sorgfalt, einer ganzen Geschichte von menschenerdachter Qualität – Traditionslinien – Hoffnungsträger – Familien – Rezepte wie Verfassungen, Rezepte als a priori ganzer Bindungsgeschichten – produziert werden. Dabei denke ich auch an billige, ungesunde, massenhaft produzierte Lebensmittel. Mit diesem Trick erlaube ich mir, jede Mahlzeit wie eine Delikatesse einnehmen zu können. Visuell sehe ich einen Film der einer Werbung ähnelt: Bei jedem Bissen wird eine andere Zutat imaginiert, rinnende Schokolade, gesammelte Beeren, zuneigungsvoll, sinnlich, marinierte Steaks. Praktisch ist es so, dass wenn ich zum Beispiel Snickers esse, ich mir vorstelle, dass der Chef oder was auch immer von Snickers liebend, liebend, darüber spricht, wie bedacht die Geschmackskomposition zusammengestellt wurde, wie wichtig die Kombination der Schokolade mit den Nüssen ist, und so weiter, ähnlich wie in einer Kochsendung oder Dokumentation, und dann schmeckt das Snickers auch wie eine Delikatesse (Leider wirkt das Logo zu imperialistisch, zu industriell, aber man kann es trotzdem ansehen. Das Braun in der Gestaltung der Verpackung kompensiert auch die, an und für sich, abstoßenden amerikanischen Farben des Logos). Und ich will, dass alles, was ich esse, oder alles was ich fressen muss, wie eine Delikatesse schmeckt. Her mit dem schönen Leben.
Aber ja die Ukraine Schlagzeile. Bilderbuch ist bei einem Benefizkonzert. Buntspecht ist bei einem Benefizkonzert. Bilderbuch Buntspecht Benefizkonzert. Das ist eine Alliteration. Unangenehme Farben.
Schlagzeile: Türkei überfällt kurdische Gebiete im Nordosten Syriens
Das ganze Leid kann man allein nicht ertragen. Man muss es nicht allein ertragen. Man sollte es nicht allein ertragen. Man sollte es nicht allein ertragen müssen. Deswegen melde ich mich sofort bei meinen Freund*innen, Bekannten und bei meiner Familie. Mein Puls eilt, mein Kiefer knirscht, ich sehe diese Menschen in meinem Unterbauch, ich spüre diese Menschen zwischen meinen Gedärmen, jede einzelne Person, jedes einzelne Schicksal, mir wird übel. Wenn euch dabei nicht übel wird – ich würde euch es übelnehmen. Ich werde wütend über die Leute, die unbeirrt ihren Tagesabläufen nachgehen. Ich werde wütend über meine Machtlosigkeit. Es soll eine Demo geben. Ich wäre wütend, wenn meine Freunde nicht mitkommen. Ich verstehe nicht warum sich alle mit profanem Alltag beschäftigen. Ich schaffe es nicht, meinen Toast zu schlucken. Ich schreibe eine Nachricht: Dieser Krieg betrifft uns alle – es ist ein Krieg gegen die Menschlichkeit. Wir rufen nicht umsonst bei jeder anderen Demo auch „Hoch die internationale Solidarität“. Die Menschen dort leiden und wer sich als politisch-bewusster Mensch versteht, leidet mit. Am Sonntag ist eine Demo am Karlsplatz um 17:00.
Wer Integrität hat, leidet mit.
Wer schweigt,
macht mit.
Ich schweige nicht
Ich glaube
Ich denke,
ich glaube
ich denke
mit