Ewig gestrig #3

Dieser Text ist eine Fortführung aus den Ausgaben #5 und #6, auch online abrufbar auf literatur-wuerzburg.de.

Kopfschüttelnd – nicht weil die Welt so schlecht ist oder die Zukunft so prekär, sondern der Mensch so fragil – bewegen wir uns von dem Stamm flussaufwärts zu einem steinernen Flussbett.

Eiskaltes Bergwasser umfasst unsere nackten, kreidebleichen Füße. Geröll bohrt sich tief in unsere Fußsohlen, so tief, dass mir ist, als hätte es nie etwas Weicheres gegeben, Geschmeidigeres zu meinen Füßen gelegen. Nun gilt es, das hüfthohe Gewässer zu durchqueren.

Für mich ist die Strömung nicht abschätzbar. Das ist sie nie. Knöchel und Knie versinken. Schlussendlich der ganze Körper – taucht ein, wird wieder an die Oberfläche geschwemmt. Aber es regt sich nichts – nicht mehr. Wie der Käfer auf dem Rücken, der Käfer unter dem Canapé. Es verliert. Weil weder das ist, was ist. Noch das ist, was war, weiß ich das, was wird. Er ist er und ich. Sie bleibt sie.

Synchronschwimmen

Und wenn es das gegeben hätte, dass er nackt in Sandalen durch den Wald springt, sich niederlässt auf totem Gehölz und auf seiner Mundharmonika spielt. Und wenn er heute noch dort leben würde, wo das Zelt stand und sie sich auf die Suche nach Feuerholz begab und in einem Wald nur das fand, dass ihm zu bleiben schien.

Ich kreise und ist es nicht das einzig Richtige?
Ich treibe und bin fassungslos.
Entferne mich Stück um Stück von Malice. Auch wenn wir die nasse Kleidung an Aststummeln zum Trocknen aufhängen und glauben, dass der Ort uns gehört und wir alleine sind, weil die Leute sagten, dass der Ort gefährlich ist, und wir dabei vergessen, dass es gesagt wird.

Ein von Amtsgnaden abgesegneter Besuch des Bundeswehrorchesters im Garten. Die Bundeswehr kommt, vernahmen die Alten. Schießt mich. Nehmt mich. Hand aufs Herz. Mit einer musikalischen Darbietung »The old men washing dishes«-Blues rechnete niemand. Nun stehen sie da, seht sie an. Stehen da, wo sich das Laub überholt und alte Männer mit Säuglingen an der Brust nichts tun. Stehen da und musizieren. Warum? Felsenfest und stark ist euer Gott. Hab ihn selig und euch auch! Und ufftata ufftata
dum dum tschaka tschaka uff. Wir winken ab. Unseren Frieden wollten wir, den Frieden über den sie sagen, man findet ihn sowieso nicht. Suchen soll man erst gar nicht. Finden wollten wir den. Und jetzt stehen wir da und ufftata ufftata – nichts als Lärmbelastung.

Da kann man doch nicht einfach liegen bleiben. Stellen an denen das Wasser nicht allzu hoch, Strömungen nicht allzu stark und Chancen an denen das Ufer nah ist – greifen nach dem, was in der Hand zerrinnt und im Kopf versinkt. Man möge lebendig fleischlos werden oder die Extremitäten an die Vogelnestschaukel gefesselt sehen und nach schneller schreien. Nur so schnell, dass man vergisst, was für sich selbst schnell erscheint.

Tage hätte es gegeben, da wären Bäume noch Brücken gewesen, Nächte kalt und die Heizung in-das-Feuer-gelegte-Steine im Schlafsack. Und wenn du dann nie sagtest, dass du dieses Licht noch nie gesehen hast, dann hättest du es gesehen, denn du hast sie gesehen.

Peter von nebenan, der steht immer noch. Hand aufs Herz und blüh im Glanze. Passt zu seiner Glatze, der Flachwichser. Und Sonntag in aller Herrgottsfrühe lässt der die Anne zum Rommé spielen kommen, dass es keiner merkt. Alle machen sie das, was sie sich selbst sonst nie zutrauten. Alle spazieren sie zum Frühstückswagen, schleichen sie, um Namenskärtchen auf den Tabletts auszutauschen. Spucken sich das Abgehustete, das sich im Laufe der Nacht ansammelte, gegenseitig ins Essen. Die Verhältnisse sind so. Wer schreit was anderes? Wer weiß etwas anderes? Nichts, nichts, sagt ja keiner was. Ist ja alles ruhig. Wie lange noch? Sie schlafen ja Tag und Nacht. Nur nicht wenn die Musik an ist und Sonntags in der Herrgottsfrühe nicht.

Und sie sahen uns. Halbnackt wie die Alpensäue und ich verspreche ja, es lebte sich gut.

Ich griff nach Steinen – mehr nicht – und sah Malice verwunderten Blick, dass ich mal damit aufhören sollte, denn der Wasserfall war ja auch nicht mehr allzu weit.

Wir sind alle froh, dass wir mittelfristig kompostierbar sind, da sind wir uns alle einig. Der Peter sagt ja auch, er möchte einfach nur in Frieden einschlafen. Wir alle kämpfen unsere Kämpfe. Bleibst du länger unter uns, frage deinen Genotyp um Entschuldigung. Aber diese Musik und der Mecha-Kuckuck, die Judith Deborah Rakers-Pfaff, so unsäglich, wie sie es schreien »schaffe, schaffe Häusle baue« und der Genitiv auf Papier und im Sprech. Was ist mit uns? Unsäglich. Der nächtliche Gang auf Toilette. Flatulenz – der flatus vocis der Ungenierten. Auf dem Gang treffen wir zusammen, nicken, verschwinden. Schlagen Duden auf, suchen nach dem Säglichen – finden es nicht. Hinzunehmen, nicken, verschwinden.

– in der Mitte des Tiefen: ein Friede