KOLUMNE #7

Die Tage fiel mir die db, die deutsche bauzeitung in ihrer Ausgabe 04.2022 zum Nulltarif in die Hände – ich fand sie in einem Zeitschriftenständer auf dem Campus. Da der Titel des Hochglanzmagazines einen regulären Preis von 19,00 € ausweist, freute ich mich zugleich doppelt über den Schnapp: Ich schätze gedruckte Fachmagazine, bin ich doch auch in diesem Jahrzehnt noch immer Freund von bedrucktem Papier zwischen den Händen – und ich bin ein heimlicher Liebhaber der Architektur, des immobil gewordenen, funktionalen, essenziellen Designs. Architektur ist Handwerk und Kunst zugleich (wie Literatur), sie ist unabdingbar für unser Dasein (wie Literatur, vielleicht noch etwas unentbehrlicher) und sie definiert Zeiten – Orte – ganze Existenzen, ohne einseitige Abhängigkeit im Wechselspiel mit diesen Instanzen (wie …): Sie kann stumpf sein wie ein Werbetext oder bahnbrechend, hochfunktional, disruptiv; die Umsetzung ist teurer und erfordert eine Menge mehr Hardware, der anschließende Nutzen ist unmittelbarer und umfassender und physischer – aber auf dem Papier sind ein guter Text und ein gut entworfenes Gebäude nichts als ein Genuss für die Seele. Ich halte es für nicht allzu unrealistisch, dass mich meine Pfade in 20/30 Jahren, wenn meine sonstigen Tagwerke erledigt sind oder mich anöden und mein Geist nochmal etwas ganz anderes verlangt, doch noch zum Architekten werden lassen. Einen Architekten der »Statik der Träume«, wie ich mich an ein dickes gleichnamiges WWF-Buch aus meiner Kindheit erinnere … Doch im besten Fall werde ich nicht so lange warten müssen, sondern werde bereits früher Gelegenheit haben, auch diese Kunst in mein Werk einzubinden, sie zu verweben mit der Wissenschaft, mit der Wirtschaft, mit den Projekten und Ideen die alle bedacht, geplant und erledigt werden wollen – Es gibt zu viel zu tun in dieser Welt, als dass ein einzelnes Leben zu gering wäre, sich dieser Arbeit anzunehmen!

Der Raum, in dem wir leben, durch den wir uns bewegen, der uns beim Denken – Arbeiten – Lieben – Träumen umgibt, dieser Raum prägt uns nicht bloß, dieser Raum determiniert uns bis zu einem gewissen Grad. Ich frage Sie: Bewegen Sie sich gerne durch das Quartier, durch das die nicht wiederaufgebaute Würzburger Altstadt ersetzt wurde? Fühlen Sie sich in diesen kalten und leblosen, wiederaufgebauten Würzburger Kirchen wohl? Mögen Sie diese neuartig-sterilen Bauten, die am Hubland aus dem Boden wachsen, zusammengekleistert aus Kompositmaterialien, horizontal geschichteter zukünftiger Sondermüll aus vertikal unflexibel platzsparend aufgestapelten Quadern? Und dann dieser innerlich schimmelnder und außen verfallender Monolith von Denckler … Wo ist in dieser Stadt, der es ohnehin an gescheiten Grün- und Zwischenflächen mangelt und der kontinuierlich der Boden ausgeht, Raum zu finden, der wirklich progressive Konzepte der variablen, adaptiven Nutzung in einem sozial und ökologisch nach- und insbesondere werthaltigen Sinn verspricht und fördert? Das Bürgerbräu – wird an Investoren verscherbelt; Skyline Hill – hatten wir schon … ?

Die Zukunft des Bauens ist – wie auch die Zukunft der Mobilität oder des Wirtschaftens oder der Produktion – schon da, also herausgearbeitet, erforscht, beschrieben – an Ideen mangelt es nicht, bloß an Mut und der Bereitschaft, auf 5 % Rendite zu verzichten (In Anbetracht von 8 % Inflation nicht völlig unverständlich …). Schauen Sie sich zum Beispiel Florian Naglers Vortrag »Einfach Bauen« vor dem BDA (frei im Internet verfügbar; Bund Deutscher Architekten, Anm. d. Red.) an: Eine Offenbarung, ein visionäres Konzept, das so alt ist wie die Menschheit: »keep it simple«. Die verfasste Autorenschaft (zugehörig jedes texten- und publizierende Wesen) mag das Konzept verinnerlichen und die Parallelen etablieren: Einfach schreiben, nachhaltig schreiben, anpassungsfähig schreiben, recycelbar schreiben. Heute denken wir: Worte kosten nichts, kein Mönch muss sie mehr von Hand vervielfältigen. Daher können wir drucken, was wir wollen, soviel wir wollen und wo wir wollen. Nehmen Sie diese Kolumne, nehmen Sie diesen ganzen Wisch einer Zeitschrift, sehen Sie die Packen an Kopierpapier, die der Plotter frisst und die Patronen an Schwärze, die er säuft. Was rauskommt ist bestenfalls biologisch abbaubar; doch ich hörte mal vom Freund eines Bekannten, des Nachts unterwegs an den Ufern der Elbe, zur Rechten die Villen Blankeneses, zur Linken die Lichter der Kais, vor ihm wurde etwas angespült, eine ölverschmierte KLW #4, aufgeweicht im Salzwasser, doch noch problemlos zu lesen, erzählte sie die Geschichte eines Frachters unter der Flagge Malaysias, eines Schiffsjungens, eines Sturms vor Gibraltar … Ich schweife ab, was ich für eine Frage aufwerfen wollte: Hat jemand sich mal die Mühe gemacht, den Carbon-Footprint einer KLW zu kalkulieren und in einem Feldversuch untersucht, wie es um die Zersetzung in verschiedenen Böden unter verschiedenen Bedingungen bestellt ist? Ich fordere die Herausgeber auf, die uneingeschränkte Verrotbarkeit ihrer in die Welt gesetzten Publikationen nachzuweisen. Asche zu Asche, Staub zu Staub

Wenn ich an die Evolution der Verschriftlichung der Sprache denke, ihren Weg von in Stein gemeißelten Hieroglyphen über handbemalte Pergamente bis zur Erfindung des Buchdruckes – die Wiege der massenweisen Bildung, der Aufklärung und somit der modernen Zivilisation – so wird mir wieder die Bedeutung von Infrastruktur in Bezug auf Gebäude bewusst: ohne ein schützendes Dach keine Druckerei, ohne feste Mauern keine Bibliothek. Der Begriff eines Literaturhauses ist daher viel mehr als die Beschreibung eines Gebäudes, das eben der literarischen Nutzung gewidmet ist – es bezeichnet einen Ort und einen Moment, einen Punkt in der Raumzeit, wo Einbände aufgereiht in Regalen stehen, wo Schreibmaschinen auf Tischen gleichmäßig klappern, wo leise Gespräche durch Flure klingen, wo ein Mann_eine Frau des Geistes, mit einer Tasse Kaffee in der Hand – in einem bequemen Ledersessel sitzend –, in den Hinterhof auf die sanft im Wind rauschenden Blätter einer Platane blicken und nichts als frei denken kann. Gelöst von Zeit und Raum. Beteiligen Sie, ja Sie, die Leser und Autorinnen und Zeitungszustellenden dieser im Talkessel ächzenden Stadt sich daran, dass Literatur einen Ort findet, eine physische Konstante, wo die Wände beklebt, wo Teppiche ausgelegt und Sofas aufgestellt werden können. Wo der Pförtner mit einer Pfeife im Mundwinkel jedem Zutritt gewährt, der 5 Zeilen Kleist fehlerfrei rezitieren kann oder auch nicht, ganz egal. Wo in einem Raum unterm Dach immer des Nachts Licht brennt und der rastlose Herausgeber in regelmäßigen Abständen den Verschnitt seiner Arbeit in zusammengeknüllten Blättern aus dem Fenster in die Pfützen der Stadt expediert. Alles, meine Damen und Herren, alles, nur nicht diesen peinlichen uns unfähigen, charakter- und stillosen, degenerierten Haufen Biomüll, der sich geziemt, unter Domain »literaturhaus-wuerzburg.de« erreichbar zu sein …

Ich blicke aus dem Bürofenster eines recycelten Militärbaus, in dessen ungelüftetem Flur das Polymer ausdünstet: Birke, Hecke, grasüberwucherter Kiesparkplatz. Dahinter eine Kastenvilla in schrecklichem Braun, nur bewohnbar dank Jalousien; davor der Lärm von Straßenbaumaschinen. In Ermangelung eines richtigen Abendessens (mein Lieblings-tegut wird gerade umgebaut und sonst ist hier fernab des Zentrums nichts zu finden, was Nährwert aufweist) ernähre ich mich von einer im Schreibtisch gefundenen Tafel Lindt 78 % und abgelaufener Kaffeesahne, während ich diese Kolumne kurz vor der Deadline schustere. Sie fließt aus mir heraus, und die Zeit vergeht beim Schreiben, ich bin kaum gezwungen, Songs aus der Spotify-Playlist zu skippen. Ich erinnere mich an einen regen Austausch mit dem Herrn Herausgeber darüber, was diese Kolumne für die KLW und ihre Leserinnenschaft eigentlich sein soll. Ich denke gerade kaum daran, was jemand wohl an dieser Kolumne finden mag und verlasse mich ganz auf meine selbstgefällige Ansicht, dass hier bereits derart viel gegeben sei, dass ich meine in der gestrigen Nacht formulierten Ausführungen über Heinrich Manns »Untertan« nicht mehr zum Besten zu geben brauche, um Konsistenz zu schaffen – es wäre Arbeit des Abtippens, diese erledige ich erst, wenn mich jemand aus Interesse näher nach dieser Materie befragt.

… jeder Traum hat ein Fundament, auf einem Yoga-Plakat las ich: »Der Schlüssel, damit deine Träume Realität werden, lautet: Disziplin.« Soweit das bedingt auf meine Tagträume zutreffen mag: Würden meine Nächte gelebte Realität werden, ich hätte keine Angst mehr um mich, mehr um die Welt, die mich umgibt …