Bläulich schimmert das Wasser im Pool. Kerzenlicht flackert in Bambussträuchern und Bonsaibäumen, lässt Sonnenschirme aus rotem Stoff leuchten. Kellnerinnen in farbigen Kostümen fügen sich in den Klangteppich elektronischer Livemusik ein. Pailletten reiben aneinander, Gold und Diamanten liegen locker auf straffer Haut. Auf Teppichen stehen silberne Designstühle und bunte Skulpturen, in denen sich die Gäste spiegeln. Dosen bedruckt mit Pop Art von Andy Warhol berühren Lippen. Der Nachtisch schmeckt nach Unendlichkeit. Es werden Pillen und Pulver auf Tontellern, getrocknetes Gras in Papierrollen und als grüne Pastillen gereicht.
MZ nimmt sich den Tag darauf frei, schläft viel. Am Dienstag wird er wie gewohnt um 9:30 Uhr geweckt. Neben ihm bewegen sich Schalen, die in Form und Farbe Planeten ähneln. Grüntee, Smoothie, Bananenpancakes, Obst und Wasser drehen sich im Kreis. Der Dampf aus zwei Schalen kräuselt sich in der Luft, vereint sich mittig der Gefäße. MZ schiebt die Kühlmaske von den Augen. Darauf steht: „Du sagst, ich bin ein Träumer. Aber ich bin nicht der einzige“. Er greift nach einer Traube aus der Merkur-Schale und wartet, bis sich der grüne Smoothie in der Uranus-Schale langsam in seine Richtung bewegt. Saugt am Strohhalm, die Temperatur stimmt, er trinkt die Schale in wenigen Zügen aus. Es folgen ein, zwei, drei Pancakes. Mit zehn mittelgroßen Schlucken leert er die Schale Tee, in drei Zügen das Wasser aus der Mond-Schale. MZ lässt seinen Kopf in die grauen Seidenkissen sinken, bewegt seine Handfläche über den Sensor an der Bettkante. Das Frühstück verschwindet und ein iPad erscheint. MZ liest dreißig Minuten lang vorsortierte Emails. Seine Gedanken zu den Antworten diktiert er wie jeden Tag seinem Kollegen Bastian. Am liebsten mag MZ es, wenn Basti in der Ecke neben dem rechten Fenster steht. Dort, wo die große Sukkulente steht. Dort, wo das rote Mobile des Bildhauers Alexander Calder sich bewegt und kleine Schatten an die Wand zeichnet. Noch ein klein wenig weiter nach rechts. So steht Basti richtig. Während der zweiten Mondlandung, im November 1969, berührt das erste Kunstwerk den Mond. Nur sieben Leute, inklusive sechs Künstler, wissen davon. An Bord von Apollo 12 wird ein kleiner Keramikschirm transportiert. Er sieht aus wie einer dieser Party-Schirme, die am Glasrand farbiger Cocktails stecken oder auf Muffins für Geburtstagsfeiern landen. Sechs US-amerikanische Künstler haben sich auf dem Keramikschirm verewigt. Andy Warhol, Robert Rauschenberg, David Novros, Forrest Myers, Claes Oldenburg und John Chamberlain. Warhol hat seine Initialen, die zugleich eine Rakete darstellen sollen, ganz oben links auf den Schirmstock gezeichnet. Daneben ein schwarzes Quadrat von Novros, darüber Rauschenbergs Linie. Auf dem Schirmdach ist eine Mickey Maus von Oldenburg verewigt, sowie die Schaltkreiszeichnung von Chamberlain und Myers Figur aus sich mehrfach kreuzenden Linien. Von dem Keramikschirm gibt es weitere zehn Exemplare. Nur einesdavon ist auf dem Mond und bereits von Mondstaub überdeckt. Die anderen Schirme befinden sich auf der Erde. Recherchen eines wissenschaftlichen Instituts ergaben, dass die Kunstwerke unter anderem in den Plastikbecher eines Obdachlosen gelegt oder in einem Keramikkochtopf versteckt, der auf einem Flohmarkt verkauft wurde. Ein Exemplar soll auf dem Grab einer Frau namens K. Zaan stecken. Dass sich ein Unikat auf dem Mond befindet, ist nicht offiziell bestätigt. Als Indiz dient alleinig ein Telegramm, das damals an den Künstler und Initiator der Idee, Forrest Myers, zwei Tage vor dem Raketenstart adressiert wurde.
Auf diesem steht: „Alles hat funktioniert. Die Systeme sind bereit“. Weitere Recherchen ergaben, dass wahrscheinlich ein Ingenieur den kleinen Schirm mittransportiert und auf dem Mond stationiert hat. Dieser Ingenieur ist laut Forschungsergebnissen bereits verstorben, was allerdings nicht stimmt. Denn die Recherchen haben nicht den richtigen Ingenieur aufgespürt. 1969 ist MZ noch nicht auf der Welt. Trotzdem fühlt sich das alles für ihn wie eine verpasste Chance und manchmal gar als Kränkung an. MZ sammelt Kunst. Schon als kleines Kind stand er vor der Sammlung seines Vaters und hatte das Gefühl, etwas Großartiges geschaffen zu haben. Mit sechs Jahren wirft er seiner Mutter vor, dass er nicht früher geboren wurde.
So weiß er nicht, ob und wo das Kunstwerk bei der zweiten Landung auf dem Mond platziert wurde. Seine Mutter hatte darauf keine Antwort, ganz abgesehen davon, dass diese Art von Frage nicht auf eine Antwort wartet. Jetzt sagt MZ zu seiner Mutter „Stell dir vor, es gibt keine Grenzen“. Er stellt eine kleine Teetasse auf die Erde und träufelt Wasser aus dem Rokkō-Gebirge in Japan auf den Grabstein.
MZ ist sich sicher, dass er das Kunstwerk auf dem Mond finden wird, genauso wie die weiteren Keramikschirme. In seinen Träumen sieht er die Schirme vor sich in einer Ausstellung. Er ist Sponsor und Kurator, die Kunstwerke sind seine. Damit MZ noch mehr Einfluss auf den Kunstmarkt bekommt, muss er ihn beherrschen. Deshalb will er bei den nächsten Mondreisen dabei sein, trainiert sich bereits in Schwerelosigkeit. Vor ein paar Monaten startete er eine öffentliche Ausschreibung. Acht Künstlerinnen und Künstler sollen mit ihm zum Mond fliegen. MZ zahlt alles. „Lieber Mond“ heißt die Mission und dauert insgesamt sechs Tage. Es soll Kunst entstehen und MZ wird ein Teil dieser Kunstwerke sein. Sein Name wird überall auftauchen. Nebenbei werden die Künstler*innen den Traum des Weltraumtourismus als erstrebenswert darstellen. Unternehmer der Tech- und Startup Szene haben Kunstschaffende längst als soft power für sich entdeckt. Und die Künstler beißen an, genauso wie hungrige Fische den Köder. MZ will mit seinen Freitickets gleichzeitig die Gemüter beruhigen. Unter seinen Posts auf Instagram oder X melden sich viele, die darauf hinweisen, das Geld doch klüger zu verteilen. Die Einstellungen zum Weltraumtourismus gehen auseinander. Das Problem ist, dass Leute Fragen stellen, sobald Themen öffentlich werden. MZ, kannst du uns Geld geben? MZ, kannst du uns mit auf den Mond mitnehmen? MZ, denkst du nicht auch, dass wir erstmal die Ungerechtigkeit auf der Erde lösen müssen? Wer kann sich einen Urlaub für 20 Millionen Dollar leisten, außer Milliardäre? Hier ist es wieder, dieses Fragezeichen, das MZ verabscheut, weil es seiner Ansicht nach für Kapitulation und Schwäche steht. Weil das Fragezeichen alles so unnötig kompliziert macht. Weil MZ Kopfschmerzen davon bekommt.
MZ ist Unternehmer, Kunstsammler, Billionär und Weltraumtourist. So steht es zumindest im deutschen Wikipedia-Artikel. Seine Ideen fallen ihn am Morgen ein, zwischen Merkur und Uranus, zwischen Traube und Smoothie. Dass ab einer Million Menschen aufhören, Fragen zu stellen, ist erstaunlich. Erschreckend ist es, dass es ab einer Billion das Konzept der Frage nicht mehr gibt. MZ, der Billionär, stellt deshalb keine Fragen, hat noch nie welche gestellt. Ihm ist das Konzept der Frage fremd. Es gibt nur Antworten, Möglichkeiten. Geld hebt Grenzen auf, vermittelt das Gefühl von Unendlichkeit. Ohne Grenzen und Endlichkeit werden gesellschaftliche Maßstäbe ausgehebelt, lösen sich Fragen in Luft auf. Ein Individuum kann sich aus gesellschaftlichen Strukturen lösen, vor ihm ein Horizont an Möglichkeiten. Manche würden das Befreiung nennen. Andere Ignoranz und Egoismus. MZ sieht diese Zweideutigkeit nicht. In seinem Leben sind Dinge klar, es gibt weder Ambivalenz noch Zweifel. Für ihn steht fest, dass er 2024 einen spaßigen Ausflug machen wird. Ausflug klingt nach Rucksack, Wanderschuhe und Butterbrot. Deshalb nennt er den Ausflug einen Trip. Trip bedeutet Reise ohne allzu große Vorbereitung. „Wir wollen eine tolle Zeit zusammen haben“ schreibt er auf seinem Instagram-Profil. „Wenn wir das teilen, können alle eine gute Zeit haben. Ich will alle lachen sehen“.
Der Mond ist für MZ ein Planet, der für Zukunft und das Wahrwerden von Träumen steht. Das Leben findet jetzt und hier statt, sagt MZ, lässt eine Traube durch die Finger gleiten, schiebt sie sich in den Mund. Am Abend steht er auf der Bühne und spricht über die Kunst der Momenthaftigkeit, über Unendlichkeit. Seine Augen funkeln im Scheinwerferlicht wie Sterne an einem klaren Abendhimmel. Applaus schwappt um seinen Körper wie klares, sauberes Meerwasser in einer Bucht. MZ fühlt sich gut, er ist sich dieses Momentes bewusst, er nimmt ihn sich wie einen Pancake, er isst ihn mit der Hand.
MZ lässt weiter nach den Minischirmen suchen. „Wir werden die Schirme finden, alle“, versichert ihm Basti, der in der Ecke am Fenster steht. „Ich weiß“ sagt MZ. Basti schaut kurz auf, dann blickt er auf das Tablet in seiner Hand, nuschelt „ja“ und muss sich räuspern. „Weißt du eigentlich, warum ich dich gerne Basti und nicht Bastian nenne“ sagt MZ und macht eine Dehnübung im Bett. Bastian schüttelt den Kopf. „Weil du schon so alt bist, dass ich es nicht aushalte, dich Bastian zu nennen. Es fühlt sich besser an, dich mit der Kurzform anzusprechen. Der volle Name klingt nach Alter, er riecht nach Endlichkeit“. Bastian atmet etwas lauter aus. Am liebsten würde er sich kurz hinsetzen. Aber in der rechten Ecke ist kein Stuhl. Da steht nur diese stachelige Sukkulente und die Deckenskulptur wirft Schatten an die Wand neben ihm. Die Schatten bewegen sich, sehen aus wie kleine Schirme. Sehen aus wie Fragezeichen. Bastian wird schwindelig.
Plötzlich hat Bastian das Gefühl, dass er hier raus muss und zwar sofort. Dass er all das hier beenden, dass er MZ die Kündigung reichen sollte. Sich als alt bezeichnen zu lassen, ist eine Sache. Sich als alt bezeichnen zu lassen, obwohl er als Ingenieur an den ersten beiden Mondlandungen beteiligt hat, eine andere Sache. MZ weiß davon nichts, weil Bastian es ihm nie erzählt hat. Weil er auf Empfehlung an diesen Job gekommen ist. Und warum erzählen, wenn niemand fragt? Plötzlich überkommt Bastian ein Gefühl der Wut. Doch anstatt zu gehen, bleibt er. Wenn MZ sich am Können anderer labt und damit Geld verdient, wenn er sich um nichts als um seine eigenen Träume schert, dann lohnt es sich, hier in der Ecke stehenzubleiben und das Versprechen ins All zu jagen, dass das Kunstwerk gefunden werde. Es ist ein Akt der Rebellion, MZ nie die Keramikschirme auszuliefern. Vielleicht, denkt sich Bastian, wird diese Entscheidung sogar die Menschheit vor falschen Träumen und trügerischem Fortschritt schützen. Wird so etwas wie Zukunft machbar machen. Während Bastian sich all das denkt, hat er eine Hand in der linken Hosentasche. Vorsichtig umfährt sein Zeigefinger den kühlen Gegenstand in der Hosentasche. Vorsichtig umfährt sein Zeigefinger den kühlen Gegenstand in der Hosentasche. Er spürt die Spitze, die Rundung, Kerben. Draußen beginnt es zu regnen. Mit ruhiger Stimme sagt Bastian „Ich freue mich stets, Ihre Meinungen zu hören“. MZ schaut von seinem Smartphone auf. Das erste Mal innerhalb der letzten acht Jahre schaut er Bastian fragend an.