Neben meinem Bett steht ein Bücherregal.
Darin finden sich Wörterbücher, die Dexter-DVD-Box, eine Sonnenbrille, Kafkas gesammelte Erzählungen, ein Päckchen Kreide, ein Reiseführer Südkorea, aus einem Hotel geklaute Shampoo-Pröbchen, die Harry-Potter-Reihe (der fünfte scheint beim letzten Umzug verloren gegangen zu sein), eine Box mit Taschentüchern, alles was Neil Gaiman je zu Papier gebracht hat, Ukulelesaiten und alte Mitschriften aus Kirchengeschichtsvorlesungen.
Und zwischen dieser Ansammlung aus Zeug, die ich fotografieren und vorzeigen sollte, wenn jemand fragt: „Wer bist du?“, findet man Kinderbücher. Wenn man sich ein bisschen Zeit nimmt und sich auf den Teppich vor dem Bett setzt und in den Büchern herumblättert, trifft man auf einen kleinen Vampir, der lieber Spinat als Blut zu sich nimmt und Hanni und Nanni feiern Mitternachtsfeste. Anastasia will keinen kleinen Bruder und ein blauer Dschinn fegt mit Emma und ihrem Hund durch die Straßen von Bagdad.
Einem Herdmann-Kind wächst ein Baum aus dem Ohr, in der Hasengasse in Wien streiten sich Gabi und Franz und auch Mini und Maxi haben im schönsten österreichisch viel zu sagen.
Ich habe Erinnerungen an den Schwimmunterricht im Kindergarten und die „Schlittentage“ mit den Nachbarskindern auf dem Hügel neben Oma Annas Gemüsebeet.
Aber es fühlt sich so an, als würde ich durch ein Fliegengitter hindurch Fremde vor meinem Fenster beobachten.
Dafür weiß ich noch ganz genau, dass es in der Nacht, in der Ronja Räubertochter geboren wurde, ein fürchterliches Gewitter gab und wie die „Wilden Hühner“ zu ihrem Namen kamen.
Ich habe kein Fotoalbum in meiner Wohnung.
Ich sammle meine Kindheitserinnerungen in einem weißen Billy-Regal.
Alles, was ich weiß und alles, was ich bin, findet man dort.
Und jeden Tag arbeite ich daran, die Regalbretter meiner Erinnerungen weiter zu füllen.