In der Corona-Atempause des Sommers 2020 besuchen wir mittags in einer Kleinstadt in Thüringen ein Wirtshaus, das damit wirbt, sein Fleisch aus dem Biosphärenreservat der Rhön zu beziehen. Wir warten, zum Glück nicht allzu hungrig, 50 Minuten und bekommen dann die beste Lammkeule seit je aufgetischt. Damit könnte diese Geschichte keine sein, wäre da nicht der Nachbartisch …

Da sitzen zwei Herren, ein rüstiger Rentner mit monströser Honecker-Brille, und ein fünfschrötiger, aufgeschwemmter, etwa sechzigjähriger Mann. Die Rollen sind eindeutig verteilt, der Rentner hört zu und nuckelt gelegentlich an seinem Bier, der andere redet, redet und redet. Und zwar so laut, dass wir und andere nicht umhin können, den Mist mitzubekommen. Es geht ums Essen und Trinken in Ost und West. Meine Dame übt sich in der Kunst des Weghörens und studiert die Landkarte, ich beherrsche diese Kunst leider nicht und muss wie ausgeliefert zuhören. Der Typ kommt aus dem Westen, spricht mit gemäßigtem Ruhrgebietsakzent und hat Verwandtschaft im Osten. Die hatten ja nichts Gescheites zu trinken, außer Radeberger natürlich, aber das gab’s ja nicht überall. Da hat er mit einer Palette DAB aus dem Intershop Abhilfe geschaffen, die Verwandtschaft staunte nicht schlecht. Aber sie waren ganz schnell duhn, weil sie eben so ein gutes starkes Bier nicht gewohnt waren. Und so geht es weiter, bei den Schnäpsen kann er nur den Nordhäuser Doppelkorn gelten lassen, und den Zubrowka aus Polen, aber der Ost-Whisky: Igitt. Also wieder zum Intershop, Racke rauchzart für die Herren und Eckes Edelkirsch für die Damen. Mochten die gerne!

Der Intershop war auch für andere Vergnügungen gut, mit den kleinen Mädchen aus dem Frisiersalon ging er dorthin, die durften sich ein Parfüm aussuchen, und dann ging schon was, Zwinker, Zwinker.

Ist denn keiner hier, der ihm eine aufs Maul gibt? Der Rentner an seinem Tisch ist offenbar schwerhörig und nimmt das Geschnatter nur als Hintergrundrauschen wahr. Nun kommt das Eisbein für den Wessi, er strahlt es an und fragt den Rentner, ob er nichts bestellt habe. »Ich brauch nüscht viel, mir g’nügt’s Bier.«

Gott gab uns nur einen Mund,
Weil zwei Mäuler ungesund.
Mit dem einen Maule schon
Schwätzt zu viel der Erdensohn.
Wenn er doppelmäulig wär,
Fräß und lög er auch noch mehr.
Hat er jetzt das Maul voll Brei,
Muß er schweigen unterdessen,
Hätt er aber Mäuler zwei,
Löge er sogar beim Fressen.

Leider trifft Heinrich Heines Aussage nur auf Brei, nicht aber auf Eisbein zu. Wir hören also mancherlei zur Qualität des vorliegenden Eisbeins (sehr gut, für meine Frau wär das zu viel, schmatz schmatz), zu schon verzehrten Eisbeinen (zahlreiche), zu noch zu verzehrenden Eisbeinen (zahlreiche), zu besonders leckeren Eisbeinen (in Bayern), usw. usw.

Im Kabarett hätte man längst gesagt, das geht so nicht, der trägt viel zu dick auf. But truth is stranger than fiction, es geht also doch. Folgen die Autos. Er arbeitet ja bei der Bundesbahn im Innendienst, nur im schrecklichen Winter 78/79 musste er auch raus, Schnee von den Weichen fegen. Eine gewisse Empörung ob des unerhörten Vorgangs schwingt noch mit. Privat hätte er immer Golf gefahren, vom Golf I bis zum Golf VII heute, keinen ausgelassen. Feine Wagen das. Ihr hattet ja nur … usw.usw. »Sogar unser Benzin roch besser.«

Da wir keine Ohrenlider haben, bezahlen wir, so schnell es geht; auch der Wirt schaut grimmig zum Nebentisch. Am Parkplatz sehen wir neben unserem Wagen einen roten Golf VII mit Wittener Kennzeichen stehen. Die Versuchung war groß, aber nein, wir haben ihn nicht zerkratzt.