Aus ihren Lautsprechern lärmt eine undefinierbare Kakophonie durch die sonst friedliche Stille des Südparks. „[…] Kickdown im Aston Martin, Benz, Bugatti […]“. Jeder hat eine Flasche in der Hand; Bier oder billige Spirituosen, gemischt mit noch billigeren Softdrinks. Die meisten sind fortwährend am Rauchen; Zigaretten oder – wie dieser ekelhaft süßliche Geruch indiziert – noch schlechtere Drogen. Ihre Stummel drücken sie einfach auf der Tischtennisplatte aus oder schnipsen sie achtlos auf den Rasen. „[…] Dicke Karren vor der Tür, doch auf MPU […]“. Den brutalistisch-abgehackten Sprachduktus dieser kriminellen Pseudo-Musiker haben Sie sich längst selbst angewöhnt: „Digga, jetzt ex die Scheiße …“, „Alter, der Spast ist mir mega auf den Sack gegangen …“, „Bro, die hat aber doch echt geile Titten?“. Auch ihre Kleidung identifiziert sie schon von weitem als Mitglieder einer kulturell verkommenen, und gänzlich ungebildeten Jugend. Schon als ich den Park vor einigen Minuten über die kleine Fontane-Brücke kommend betrat, reichte ein Blick, um mein Urteil zu fällen. Nach einem fortwährenden Studium ihres Verhaltens und ihrer Unterhaltungen, der gänzlichen Art der gelebten Kommunikation und des gezeigten Auftretens kann ich mich nur in diesem ersten Eindruck bestätigt sehen. „[…] Komm, wir schlagen euch kaputt vor der Tür […]“.
Ich erinnere mich noch, wie ich als junger Student mit Professor Wiesenhof über die – damals noch gekiesten – Wege dieses Parks flanierte und mit ihm lebhafte Debatten führte. Wir redeten über Veränderungen in den Rechtsauffassungen und analysierten gesellschaftliche und juristische Rahmenbedingungen für ein geregeltes Zusammenleben. Ich war von diesen lebhaften Diskussionen derart beeindruckt, dass der Professor eines meiner erstrebenswertesten Vorbilder wurde. Auch als er schließlich einer Intrige zum Opfer fiel und die Universität verlassen musste, hielt ich zu ihm – beraubten sie damit doch auch mich meines designierten Doktorvaters. Doch Wiesenhof war noch ein Mann von echtem Schrot und Korn und ließ sich auch von so einem Schlag nicht unterkriegen! Er eröffnete seine eigene Kanzlei und holte mich trotz meiner – aufgrund von ihrerseits entstandenen Zerwürfnissen mit der neuen Leitung der Universität – lediglich cum laude abgelegten Promotion zu sich. „[…] Aber wenn der Beat läuft, dann fickt dich das Camp in den Bauch […]“.
Er war ein Mann von solch herausragender Kultur, er liebte die Oper und die Klassik, sein Latein und sein Auftreten waren noch eines richtigen Juristen, überhaupt eines Mannes, würdig. Aber was soll man tun: Er gehörte eben noch der alten Schule an, einem Menschenschlag, wie es ihn heute kaum mehr gibt. Seit er sich in den Ruhestand verabschiedet und mir seine Kanzlei übergeben hat, erlebe ich es immer häufiger selbst: Die jungen Menschen sind zu immer weniger zu gebrauchen. Selbst die fähigeren, ordentlicheren und vernünftigeren derer, die sich nach ihrem Abschluss in der Kanzlei bewerben sind nach damaligen Maßstäben wohl nur zweite oder dritte Garde. „[…] Leg’ ihr paar Lines und wir landen im Bett; Schampus und Sekt, schamloser Sex; Geb’ ihr von hinten – Rammbockeffekt […]“.
Es reicht! Diese widerwärtige Veranstaltung muss ich mir wirklich nicht länger anschauen. Im Gehen frage ich mich noch, wie man wohl so tief sinken kann, wie man seine Würde nur so stark vergiften kann … Mir kommen die Gespräche mit dem Professor in den Sinn, als wir einmal intensiv über die Verantwortung der Jugend gegenüber der Gesellschaft diskutierten. Konkret ging es um die Studentenunruhen der Sechziger Jahre. Was damals noch ein Novum war – das kollektive Aufbegehren einer heruntergekommenen und pflichtvergessenen Jugend – ist heute schließlich zum Status Quo geworden. Er selbst – mein hochgeschätzter Professor Hermann Otto Wiesenhof – fiel schließlich den Exzessen dieser Horde verkommener und bekiffter Hippies zum Opfer. Als er damals prophezeite, dass es ab diesem Zeitpunkt definitiv und unabwendbar mit Deutschland bergab gehen würde, wollte ich ihm noch nicht glauben.
Aber nun haben sich seine Vorhersagen bestätigt. Ich kann dazu nur seine – vor seinem Abschied von der Universität letzten – Worte an mich wiederholen: „Mein lieber Adlatus, es ist mir doch wohl noch die letzte große Freude, in dieser heutigen, heruntergekommenen Gesellschaft noch einen vernünftigen, pflichtbewussten und aufrichtigen jungen Mann wie Sie zu finden. Um die heutige Jugend steht es derart schlecht, dass ich mir Sorgen um die Zukunft unseres Vaterlandes mache. Sie hätten in meiner Zeit jung sein sollen, als alles noch stramm stand wenn der Professor den Hörsaal betrat und ehrenvoll und treu den Gruß auf den Führer entrichtete. Ihn hätten Sie erst kennenlernen müssen, er hat keine Scheu gehabt, zum Schutz unserer Kultur durchzugreifen. Notfalls hätte er persönlich jeden dieser Hippie-Partisanen einzeln niedergeschoßen! Aber heute kuschen die Regierung und der Präsident der Universität und machen Zugeständnisse an Frauen und Neger und das Juden- und sonstige Zigeunerpack. Es kommt mir das Mittagessen hoch, wenn ich bedenke, dass ich mein halbes Leben – im Hörsaal und an der Front – für die Ausrottung dieser Untermenschenrassen gekämpft habe. Und jetzt muss ich mir das ansehen, wahrlich, mein Herz blutet.“
Wahrlich, auch mein Herz blutet im Angesicht dieser Zustände. In gewisser Weise beneide ich ihn darum, dass er nicht mehr miterleben muss, wie sich sein geliebtes Deutschland endgültig selbst begräbt. Ich verlasse den Park über die Zeppelinallee und gehe – in froher Erinnerung an die besseren Tage, doch mit einem betrübten Blick auf die heutigen Zustände – durch die Straßen meines einst verehrten Vaterlandes nach Hause.