Er sieht sie.
Und sie sieht sich in der Spiegelung seiner Augen,
sieht eine klanglose Interpretation einer Person, sieht sich selbst ohne sich selbst zu erkennen und fragt sich, was er an ihr sieht.
Sie sucht sich.
Sie sucht sich in jedem Spiegel, jeder Spiegelung, jeder spiegelnden Oberfläche, die sie nur finden kann. Sie sucht Antworten.
Das Inszenieren gefällt ihr.
Es lässt sie vergessen, es verwandelt sie in eine Persönlichkeit. In
eine Person, die beeindruckt und ihm nicht aus dem Kopf gehen wird.
Das Inszenieren fühlt sich richtig für sie an, in einer Welt gefüllt davon.
Denn der Blick in den Spiegel wirft Fragen auf.
Er fährt über ihre Haut und sucht sie ab, sucht nach Fehlern und Unstimmigkeiten. Der kritische Blick beginnt, sie zu formen und neu zu erfinden, schreibt ihr Merkmale zu und invertiert ihre Gesichtszüge, zerstört Interpretationsspielraum. Er zerstört.
Also inszeniert sie. Und sie sucht.
Doch sie findet nicht.
Denn die Erinnerung ihrer selbst entzieht sich ihr mit jeder Offenbarung, mit jedem Blick.
„Identität…“, denkt sie sich, „Identität scheint sich mir zu entziehen.
Als könnte ich nur als Moment existieren. Als kleines Teilchen eines großen Ganzen, als schwindender Tropfen auf Glas.
Als könnte ich nicht bleiben. Ich fürchte, ich bin rastlos.“
Sie fürchtet sich selbst.
Denn sie kann ihren verschwommenen, gespiegelten Umriss in seinen Augen nicht ertragen. Sie sieht hastig zu Boden.
Er nimmt es als Ablehnung auf.
Es tanzt ihm auf der Zunge, das Wort, das sie auf ewig von ihm trennen wird: „Bleib.“
/ / /
Sie schwimmt in einem Wahn, im stillen Verlangen, sich wieder zu finden. Sieht sich nicht, spürt sich nicht, doch dort ist sie: An der Oberfläche. An der oberen Fläche eines Flusses aus Trauer, aus Liebe, aus Reue. Sie schwimmt ihm durch den Kopf, direkt in sein Herz.
Auf dem Weg schnürt sie ihm den Hals zu, er verengt sich, drängt sie, ihn zu verlassen. Er ist sprachlos. Sie hat ihn stumm gemacht. Er sie verschluckt.
Und sie trifft es. Sie trifft sein Herz, zerreißt es mittendrin und nistet sich ein in den Resten, die übrig sind. Und er fällt und liegt und lebt nicht mehr, er lebt nicht mehr für sich, er sehnt sich nicht, nein, er liebt.
Da lehnt sie sich von hinten über ihn, über seinen gesamten Geist, seine Empfindung, seine Welt, sie steht dort in seinem Rücken und sieht ihn an.
Er sieht sich um.
Er sucht mit zitternden Augen und schwirrenden Blicken und weiten Pupillen und atemberaubender Schnelligkeit, sie suchend, sie rufend, sie fürchtend. Trägt sie dicht in sich.
In seinem Herzen ein Feuermeer aus Trauer, aus Liebe, aus Reue.
Doch er findet sie nicht.
Und so trafen sie sich nie wieder.
Verdammt auf Ewigkeit, verdammt zu Zweit.