Vorwort #9

  • 03/09/2022

HINWEIS: IN DIESER ONLINE-AUSGABE BEFINDEN SICH NUR TEXTE DER RUBRIK „FREIER TEIL“. FÜR DEN GENUSS EINER VOLLSTÄNDIGEN AUSGABE KONTAKTIEREN SIE UNS PER MAIL (autorenseelsorge@literatur-wuerzburg.de) ODER BESTELLEN SIE EIN EXEMPLAR AUF liberladen.org.

 

Vorsicht jetzt, subtilste Zeilen, sanfte Hinführung in sensiblen Worten sich deiner Blicke versichernd, hinweg von den Leuchtschirmen der dummdreisten Kulturversiffung, hinweg von den Randsteinen der Lokal-Journal-Tiktok-Mediengosse, jetzt ein paar Sätze von den Lippen getrunken. (Der Nachwort-Schreiber schreibt: Amuse-gueule aus gequirlten Worten.) Aber du: Ihr haltet euch wohl für was besseres, hast du gesagt. Ihr wollt eure kleine Kopfwelt noch kleiner machen, hast du gesagt. (Ich notiere: Ich weine.) Du wieder: Total wichtig das alles, eure scheiß Wichtigkeit, eure Sattheit, scheiß Freundlichkeit. (Ich bohre schluchzend ein Loch in KLW #9.) Totale Scheiße ist das alles, Brechmittel, Totinformation; Sätze mit Strichpunkten lese ich nicht, aus Prinzip nicht, sagst du. Wir müssen ja alles bewahren heute, weil alles so angegriffen ist, ich bewahre nichts, ich verwerfe alles, kaum gehört, erbreche ich alle Worte in den Orkus deiner Gegenwart, sagst du. (Ich stecke meinen Finger in das Loch, es ist noch zu klein. Mit von Tränen nassen Nägeln weite ich den Krater, schweigend.) Ich haue auf den Tisch, sagst du, weil man doch endlich mal wieder auf den Tisch hauen muss, so jung hauen wir nie wieder auf den Tisch, überhaupt brauchen wir keine Tische, weil wir nicht an Tischen sitzen, nicht an Tischen arbeiten, essen. Ich schlafe auf dem Boden, sagst du, auf dem Boden, wo die Erde noch hart ist und ehrlich ist und kalt. (Ich kann jetzt schon fast zwei Finger stecken in KLW #9.) Ich renne auch zu den Kopfärzten, sagst du, aber ich lüge sie nicht an und ich weine nicht und ich kann gar nicht weinen, weil meine Schmerzen zu groß sind für die Kindertränen und ich lese keine Bücher, weil die Bücher zu klein sind für meine Schmerzen. Ich starre in mein Telefon, bis ich einschlafe, sagst du, damit ich, wenn ich wach bin, nicht mit dir reden muss und mit deinen scheiß Ängsten mich nicht behängen muss, weil ich frei sein will, endlich mal wieder frei sein, wild sein, sagst du, also schlafe ich ein auf dem Boden und träume und vergesse meine Träume, weil ich dann ja noch viel freier bin so ohne Träume und dann habe ich wieder Schmerzen, aber alle meine Schmerzen habe ich in mich aufgenommen wie Geschenke, weil die mich nur immer noch grausamer machen gegen dich, sagst du. (Langsame Bewegungen: mit meiner ganzen Faust ficke ich KLW #9.) Ich bin eigentlich gar nicht dagegen, sagst du, ich bin auch überhaupt nicht dafür, also für was?, für alles, was mir meine Kopfärzte übel nehmen, aber nicht so übel wie dir, weil ich nicht lüge, weil ich also wirklich nicht dagegen bin und dafür bin, sagst du. Gegen was überhaupt? Ich bin erschöpft, sagst du und du setzt dich an den Tisch und ziehst von meinem Arm KLW #9 und ich schaue aus dem Fenster auf die Weinberge und in der Scheibe spiegeln sich deine zerzausten Haare und du blätterst zur ersten Seite und du liest unter dem faustgroßen Kraterloch die Reste des Vorworts und alles, was noch nicht zerfickt ist, lautet:

– – –

Hoch oben auf den steilen, virussterilen Elfenbeinklippen irgendeiner provinzstädtischen Kalkverkliffung ordinieren die Spindoktoren des Kollektivs. Über weißweintriefende Modems gluckern Wortplasmen, Sätze, Stanzen, Kurzgeschichten. Und alle haben wir bewundert, gesiebt, beweint oder gedruckt. Unter deinen Fingern: alles was wir sagen konnten. (Der Nachwort-Schreiber schreibt: Sie stehen schwarz auf weiß, aber im Herzen sind sie Wolkenfetzen.)

Subtilste Zeilen, Vorsicht jetzt, es wird WILD.
KLW #9, Bühne frei.